"Nicht ich, sondern Gott in mir"

Dag Hammarskjöld, UN-Generalsekretär von 1953-61, wollte der Welt dienen und sie unter den spirituellen Grundsätze einer Menschheitsethik vereinen. Dieser Traum kostete ihn das Leben.

Demut heißt sich nicht vergleichen. In seiner Wirklichkeit ruhend ist das Ich weder besser noch schlechter, weder größer noch kleiner als anderes oder andere. Es ist - nichts, aber gleichzeitig eins mit allem.

Dag Hammarskjöld

Wer ist es, der diese Worte schrieb? Ein christlicher Mystiker des Mittelalters? Ein arabischer Gelehrter? Ein Philosoph des Fernen Ostens? Keine dieser Vermutungen trifft zu. Diese Worte sprach ein Politiker. Das glauben Sie nicht? Es ist auch schwer zu glauben, daß sich gerade auf dem Feld der Politik, in dem es nur zu oft um Macht und eigene Interessen geht, ein Mann bewegte, der sich mit Mystik befaßte und dessen Leben eine Suche nach Gott war. Sein Name: Dag Hammarskjöld (ausgesprochen: Hammarschöld).

Dag Hammarskjöd: Schwedischer Uno-Generalsekretär mit Visionen.

Er war schwedischer Politiker, UN-Generalsekretär 1953 bis 1961 und Friedensnobelpreisträger 1961 - ein Preis, der posthum verliehen wurde. Hammarskjöld führte ein Leben, das im Geheimen der Spiritualität und dem Weltfrieden gewidmet war; eine etwas andere Art des Doppellebens. Im Geheimen deshalb, weil ein Politiker von Weltformat damals wie heute verheimlichen muß, welchen Geistes Kind er ist - um nicht aufzufallen, nicht anzuecken, kein unnötiges Aufsehen zu erregen - und um seine wahren Ziele zu erreichen, die vielleicht sogar höheren Ursprungs sind.

Hammarskjölds wichtigste Funktion war die des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Die Uno war 1945 gegründet und zur Erhaltung des Friedens geschaffen worden. Und zu Beginn - anders, als es etwa momentan der Fall ist - sah es auch so aus, als könne diese Organisation ihre ehrgeizigen (und friedlichen!) Ziele verwirklichen. Das war unter anderem auch Dag Hammarskjöld zu verdanken. "Während seiner Zeit als Generalsekretär stand das Vertrauen in die Uno auf einem Höhepunkt", las man etwa im Mai 1995 im schwedischen Ordfront Magasin. Warum er aufgrund seiner Politik sterben mußte und welches Geheimnis sich hinter dem Menschen Dag Hammarskjöld verbirgt, soll im folgenden aufgezeigt werden.

Der Weltöffentlichkeit war Hammarskjöld als hochrangiger Politiker mit Einfluß auf die Weltpolitik und das Weltgeschehen bekannt. Das ist aber nur die eine Seite des Menschen Dag Hammarskjöld. Abseits von der Politik übersetzte er die Werke der Philosophen Martin Buber und Saint John Perse ins Schwedische und schrieb selber seine Gedanken und Eindrücke in einem Tagebuch auf. Aufgrund der Inhalte dieses Tagebuchs wurde er später als "moderner Mystiker" bezeichnet.

"Mitten im Gelärm das innere Schweigen bewahren."

Über seine Herkunft - er wurde am 29. Juli 1905 als jüngster von vier Söhnen in Jönköping am Wettern in eine alte schwedische Adelsfamilie hineingeboren - sagt Hammarskjöld selbst Folgendes: "Die Familie meines Vaters bestand aus Soldaten und Regierungsbeamten, die mir die Überzeugung vererbt haben, daß nur ein Leben lebenswert genannt werden kann, das selbstlos dem eigenen Land oder der Menschheit zu dienen bereit ist, was die Zurückstellung aller persönlichen Interessen bedeutete, zugleich aber auch dazu ermutigte, im Blick auf Recht und Wohlfahrt entschlossen eigene Überzeugungen zu vertreten, wie immer auch der Zeitgeist beschaffen war. Von den Gelehrten und Männern im kirchlichen Dienst, aus denen die Familie meiner Mutter bestand, habe ich den Glauben geerbt - und zwar im radikalen Verständnis der Evangelien -, daß alle Menschen als Kinder Gottes gleich geschaffen sind und daß wir sie auch als solche in Gott anerkennen und behandeln sollten. Der Glaube ist ein Bestimmtsein des Geistes und des Herzens. In diesem Sinne verstehen wir auch die Worte des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz: ,Der Glaube ist die Einheit der Seele mit Gott.'"

"Morgen treffen wir uns, der Tod und ich -. Er wird den Degen stoßen in einen wachen Mann."

Sein Vater, Hjalmar Hammarskjöld, war 1914-17 als parteiloser Konservativer schwedischer Ministerpräsident. Er wurde, nachdem die schwedische Regierung die Lebensmittelrationierung eingeführt hatte, "Hungerskjöld" genannt. Sein Sohn Dag startet seine politische Karriere 1936 als Staatssekretär im Finanzministerium - eine Tätigkeit, die er bis 1945 ausübt. 1941 bis 1948 ist er Präsident des schwedischen Reichsbankdirektoriums, ehe er 1949 zum Staatssekretär im Außenministerium, und 1951 zum Minister ohne Portefeuille ernannt wird. In dieser Funktion agiert er als Stellvertretender Außenminister. Dag Hammarskjöld wird zum Mitbegründer des modernen schwedischen Sozialstaats.

Am 7. April 1953 beruft man ihn für fünf Jahre zum Generalsekretär der Vereinten Nationen und wählt ihn 1957 wieder. Anläßlich seiner Ernennung zum UN-Generalsekretär 1953 finden sich in seinem Tagebuch die Worte: "Keiner ist stolz als im Glauben. Denn die Spielarten geistig unreifer Anmaßung sind kein Stolz. Demütig und stolz im Glauben: das heißt dies leben, daß ich nicht in Gott bin, aber Gott in mir." "Nicht ich, sondern Gott in mir", ist eine seiner wichtigsten, im Tagebuch festgehaltenen Erkenntnisse in dieser Zeit einer neuen Herausforderung.

"Nur der verdient Macht, der sie täglich rechtfertigt."

Gewiß wurde Hammarskjöld von einigen Kreisen, die seiner Wahl zum UN-Generalsekretär zugestimmt hatten, in hohem Maße unterschätzt. Der schwedische Publizist Gösta von Uexküll etwa schreibt am 15. November 1956 in der Hamburger Wochenschrift Die ZEIT: "Was Hammarskjöld als Kandidat für das höchste Uno-Amt empfahl, war sein Ruf als Mann der Mitte. Er hatte nie irgendwo angeeckt (...) ein idealer Kompromißkandidat. Niemand glaubte ferner, er könne den Ehrgeiz haben, aus der Uno mehr zu machen, als sie war: ein universaler Club - und kein Überstaat!" Mögle-Stadel bemerkt dazu in seinem Buch Dag Hammarskjöld. Vision einer Menschheitsethik: "Unter dem Deckmantel eines politisch harmlosen Managers bekamen die Regierungen jenen Menschen zugespielt, welcher wenig später schon zu einer Verkörperung des Uno-Geistes werden sollte." Dies offenbarte sich deutlich an der Suez-Krise.

"Das höchste Gebet des Menschen bittet nicht um den Sieg, sondern um den Frieden."

Im Oktober 1956 rücken, ausgelöst durch die Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägypten, England, Frankreich und Israel in die Kanalzone ein. Die Suezkrise wird im November durch die erstmals eingesetzten UN-"Blauhelme", die eine "Erfindung" Hammarskjölds sind, beigelegt. "Die Ereignisse dieses Jahres haben den Generalsekretär in scharfen Gegensatz zu dreien der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates - Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion - gebracht, die durch ihre Aktionen gegen die Charta [der Vereinten Nationen] verstießen", meint Anton Graf Knyphausen in der Einleitung zu Zeichen am Weg, dem deutschen Titel des Tagebuchs Hammarskjölds.

"Es ist sehr leicht, sich den Wünschen einer großen Macht zu beugen. Es ist eine andere Qualität, dem zu widerstehen."

Hammarskjöld war für die Weltmächte ein "Unbequemer". Und er war sich der destruktiven Mächte, welche das Weltgeschehen beherrschten und noch immer beherrschen, bewußt. In seiner berühmten Rede The Walls of Distrust ("Die Mauern des Mißtrauens"), die er am 5. Juni 1958 an der Universität Cambridge gehalten hat, spricht er über die Qualitäten spiritueller Führerschaft, meint aber auch: "(...) zerstörerische Kräfte, die schon immer mit uns gewesen sind, machen sich in neuen Formen fühlbar. Sie repräsentieren, jetzt wie auch zuvor, die größte Herausforderung, welcher der Mensch ins Angesicht zu schauen hat."

Und in einem Brief vom 14. Mai 1956 an seinen persönlichen Pressesprecher George Smith schreibt er über das Wirken von Kräften des Lichtes und der Finsternis in der Weltpolitik: "Andere und größere Mächte, uns teilweise unbekannt und unergründlich, scheinen das Zepter übernommen zu haben. Es scheint, als habe Ormazd nun entschieden, daß Ahriman für eine Weile verstummen soll." Hammarskjöld beendet den Brief mit den Worten: "Wie auch immer, es ist besser an diesem Punkt anzuhalten. Du verstehst auch so, was ich meine; andere mögen schockiert sein."

"Bete, daß deine Einsamkeit der Stachel werde, etwas zu finden, wofür du leben kannst, und groß genug, um dafür zu sterben."

Der Konfrontationskurs Hammarskjölds gegen einige der mächtigsten Staaten dieser Erde sollte sich noch auswirken. Zu Beginn des Jahres 1961 hatte in der Stadt Leopoldville die Armee die Macht übernommen: Im Kongo war der Bürgerkrieg ausgebrochen. Die Provinz Katanga, ohne deren Bodenschätze wie Kupfer und vor allem Uran der Kongo nicht überlebensfähig war, hatte sich abgespalten. Rußland, England und Belgien wurden zu heftigen Gegnern der Kongo-Aktion der Vereinten Nationen. Katanga mit seinen geostrategisch bedeutenden Uranvorkommen als UNO-Protektorat? Das war für einige Großmächte undenkbar.

Nachdem Verhandlungen in Leopoldville für Hammarskjöld völlig unbefriedigend verlaufen waren, beschloß er völlig überraschend, am 17. September nach Ndola an die Grenze zwischen Rhodesien und Katanga zu fliegen, um mit Tschombé, dem Anführer der abtrünnigen Provinz Katanga über einen Waffenstillstand zu verhandeln. In seinem Zimmer in Leopoldville ließ er seine letzte Lektüre zurück, Die Nachfolge Christi von Thomas von Kempen. In diesem Buch fand sich der Amtseid von Dag Hammarskjöld als UN-Generalsekretär eingetragen: keiner einzelnen Regierung zu gehorchen, sondern nur dem Geiste der Uno-Charta verantwortlich zu sein. Später, nach seinem Tod, fand man auf seinem Nachttisch im Schlafzimmer Werke über asiatische Kultur und Zen-Buddhismus. Manfred Baumotte beschreibt im Buch Nur der Frieden lastet nicht auf der Erde die Ereignisse vor dem Abflug nach Ndola folgendermaßen: "Um vier Uhr nachmittags sollte die Maschine der Vereinten Nationen von dem Flugplatz Ndjile bei Leopoldville, wo sie unbewacht gestanden hatte, aufsteigen. Alle an Bord wußten, daß sie sich auf ein gefährliches Unternehmen eingelassen hatten. Das Flugzeug nahm einen weiten Umweg über den Tanganjika-See; denn Tschombés Luftwaffe beherrschte den Luftraum über Katanga. Den Vereinten Nationen stand kein Jagdschutz zur Verfügung, denn die hierfür bestimmten Maschinen des Negus waren noch nicht eingetroffen.

Um 20.35 Uhr näherte sich das Flugzeug Ndola, wo Lord Lansdown mit Tschombé verhandelte. Der Turm auf dem Flughafen empfing die Nachricht, die Maschine setzte zum Landen an. Aber erst sechs Stunden später meldete der Flughafen, daß sie nicht eingetroffen sei. In dieser Zeit ist sie, etwa neun Kilometer von der Grenze Katangas entfernt, in der Landeschleife abgestürzt. Man fand das ausgebrannte Wrack am Tag darauf. Die Leichen von Hammarskjölds Leibwache waren mit Kugeln gespickt. Noch vor der Rettungsmannschaft waren Plünderer am Werk gewesen. Von den fünfzehn Passagieren war nur noch der UN-Beamte Harold Julien am Leben. Die Polizei von Nordrhodesien verhörte ihn, ehe er starb - das Protokoll wird noch immer geheimgehalten."