Südamerika: Vom Schuldenjoch befreit

Die Stunde Südamerikas scheint gekommen zu sein. Gewisse Staatsführer haben genug vom Gängelband des reichen Westens und wollen gemeinsam für das Wohl ihrer Völker kämpfen. Sie haben lange genug am Gängelband der westlichen Hochfinanz gedarbt.

Von der in den Händen des Großkapitals liegenden Presse der westlichen Welt weitgehend ignoriert, zeichnet sich in Südamerika ein dramatischer Wandel ab, der die Herzen der lateinamerikanischen Völker hoffnungsvoll höher schlagen läßt. Am 3. Januar 2006 zahlte Argentinien seine Schulden in der Höhe von 9,8 Milliarden US-Dollar an den Internationalen Währungsfond zurück – beinahe zwei Jahre vor ihrer Fälligkeit. „Mit dieser Zahlung beerdigen wir einen wichtigen Teil einer schändlichen Vergangenheit“, verkündete Argentiniens Präsident Nestor Kirchner.

Viele Argentinier geben dem Internationalen Währungsfond die Hauptschuld an der Finanzkrise von 2001, die das einst reichste Land Südamerikas wirtschaftlich verkrüppelte – eine Sichtweise übrigens, die der Internationale Währungsfond inoffiziell teilt, wie aus einem internen IWF-Bericht klar hervorgeht. (Lesen Sie dazu auch unseren Bericht über „Wirtschafts-Attentäter“ im Dienste der Weltbank, deren Aufgabe es ist, Entwicklungsländer zu machtlosen Sklaven der internationalen Hochfinanz zu machen:
Präsident Kirchner beschuldigte den IWF, sich in die Wirtschaftspolitik Argentiniens zum Schaden des Landes „eingemischt“ zu haben. Je tiefer Argentinien in die Schulden abrutschte, desto mehr verdienten die internationalen Bankinstitute an den Zinsen. Kirchner erklärte, durch die verfrühte Rückzahlung der Kredite könne man in den nächsten drei Jahren Zinskosten in der Höhe von 1,1 Milliarden Dollar jährlich vermeiden. Das hatte auch Brasilien erkannt und schon 2005 angekündigt, man wolle die dem IWF geschuldeten 15,5 Milliarden Dollar frühzeitig zurückgeben, nachdem Brasilien bereits 2,6 Milliarden Dollar an den Paris Club (bestehend aus 19 Gläubigerstaaten) gezahlt hatte, um sich von dessen Einfluß zu befreien.

Boliviens Präsident Evo Morales (links) und Venezuelas Präsident Hugo Chavez

In Caracas tauschen Boliviens Präsident Evo Morales (links) und Venezuelas Präsident Hugo Chavez vor dem Bild des südamerikanischen Freiheitshelden Simon Bolivar Dokumente aus.

Venezuelas helfende Hand

Möglich wurde die Schuldentilgung Argentiniens durch die finanzielle Unterstützung Venezuelas, das allein im vergangenen Jahr für über eine Milliarde Dollar argentinische Staatsanleihen gekauft hatte. Dessen populistischer Präsident Hugo Chavez erklärte dazu öffentlich: „Venezuela hat Argentinien geholfen, sich von den Schulden gegenüber dem IWF zu befreien, und wir werden nach unserem besten Vermögen damit fortfahren.“

Die Möglichkeiten Venezuelas sind wahrlich groß: Das Land steht in der Erdölförderung weltweit an fünfter Stelle und verfügt über die größten Ölreserven außerhalb des Nahen Ostens. Mit den großzügig sprudelnden Erdöleinkünften unterstützt Venezuela in ganz Lateinamerika wirtschaftliche Reformen zugunsten der Bevölkerung. Mit dem Beginn dieses Jahres hat sich der venezolanische Staat deshalb die Kontrolle über sämtliche Ölfelder gesichert. Im Jahre 2001 wurde nämlich ein Gesetz erlassen, wonach der Staat Mehrheitseigner von allen Firmen sein muß, die in Venezuela Erdöl fördern. Mit dem 1. Januar 2006 lief die zugestandene Übergangszeit aus und das Gesetz trat vollumfänglich in Kraft. So kamen die letzten 32 von Privatfirmen betriebenen Ölfelder unter die Kontrolle Venezuelas.

Hugo Chavez will die Länder Südamerikas aus den Klauen des Internationalen Währungsfond und der Weltbank (die mehrheitlich den USA gehört) lösen und die „Dollarisierung“ Lateinamerikas unterbinden. Deshalb fordert er die Gründung einer überstaatlichen Zentralbank – die „Bank des Südens“ –, welche von den internationalen Währungsreserven Venezuelas, Argentiniens, Brasiliens und anderer Länder getragen werden soll. Chavez rief Südamerika dazu auf, sein Geld aus den reichen Staaten abzuziehen, „die manipulieren, Geld verleihen und aus unseren Bodenschätzen Profit schlagen“. Allein im ersten Halbjahr von 2005 hatte Venezuela deshalb US-amerikanische Staatsanleihen und andere Kapitalanlagen im Wert von über zehn Milliarden Dollar abgestoßen. Eine südamerikanische Zentralbank könnte all dies Geld „gemäß unseren eigenen Interessen verwalten“, erklärte Chavez.

Die Präsidenten von Venezuela, Bolivien und Kuba haben sich zu einer „Achse des Guten“ (Chavez) zusammengeschlossen, welche das Los von ganz Südamerika verbessern will. Der neugewählte bolivianische Präsident Evo Morales – er wurde als erster Präsident mit einer absoluten Mehrheit von 54 Prozent der Stimmen gewählt und ist der erste Präsident Boliviens mit einer indianischen Abstammung – kündigte an, die riesigen Erdgasvorkommen Boliviens verstaatlichen zu wollen: „Wir haben das gleiche Ziel wie Fidel Castro in Kuba und Hugo Chavez in Venezuela. Wir wollen auf die Bedürfnisse unserer nationalen Mehrheiten antworten und Neoliberalismus und Imperialismus bekämpfen.“ Dabei macht er auch vor persönlichen Einschnitten nicht halt. Im ersten Regierungsdekret hat Morales seinen eigenen Lohn um mehr als die Hälfte gekürzt, auf umgerechnet 1850 Dollar. Nun schrumpfen auch die Saläre von Ministern und hohen Regierungsbeamten, da laut bolivianischem Gesetz kein Staatsfunktionär mehr verdienen darf als der Präsident.

An die Adresse von George Bush richtete Morales am 3. Januar 2006 die Worte: „Wenn die USA bilaterale diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen wollen, dann werden sie das bekommen, aber ohne Unterwürfigkeit, ohne Bedingungen und ohne Erpressung.“
Venezuela geht mit gutem Beispiel voran und liefert Bolivien monatlich 150'000 Fässer Dieseltreibstoff, ohne dafür Geld zu fordern. „Ich werde keinen Cent von euch annehmen“, erklärte Hugo Chavez. „Bolivien wird uns mit landwirtschaftlichen Produkten bezahlen.“ Venezuela liefert an über ein Duzend weiterer lateinamerikanischer Länder stark verbilligtes Erdöl – wie übrigens auch an gewisse Bundesstaaten der USA, um dort Programme zu fördern, die einkommensschwachen Amerikanern günstiges Heizöl für den Winter verschaffen, nachdem die großen amerikanischen Ölkonzerne ihre Mithilfe verweigert hatten.

Hugo Chavez – ein Risikofaktor

Wie verkündete Boliviens Präsident Evo Morales doch zu Beginn dieses Jahres: „Die Zeit des Volkes ist gekommen. Dies ist das neue Millennium des Volkes.“ Doch das Wohl des Volkes – der Mehrheit – liegt nicht im Interesse der kleinen Elite finanzkräftiger Oligarchen, die mit ihren hinter internationalen Institutionen verborgenen Machenschaften ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben können. Für Hugo Chavez ist klar, wer dahinter steckt: „die Nachkommen der Christusmörder“. In einer Weihnachtsansprache, die der venezolanische Präsident am 24. Dezember 2005 in einem Rehabilitierungszentrum hielt, sprach er nicht nur über Jesus, den „Nomaden des Kreuzes“, und das „Mandat Christi – die Liebe“. Er forderte auch, daß „Christus in uns leben muß“, und er pries Gott, der in seiner Weisheit genügend Wasser und irdische Reichtümer in die Welt gelegt hat, damit alle Menschen ohne Not leben können.

Doch dann holte Hugo Chavez zum Rundumschlag aus: Die Nachkommen derjenigen, die Jesus Christus ermordet hätten, würden sich die Reichtümer der Welt aneignen. Eine Minderheit habe Besitz ergriffen vom Gold der Welt, vom Silber, den Mineralien, vom Wasser, vom besten Land, vom Erdöl. Sie hätten diese Reichtümer in wenigen Händen konzentriert. Allen Zuhörern im Rehabilitierungszentrum ist klar, daß ihr Präsident nicht etwa von Römern und ihren italienischen Nachfahren spricht, sondern von den Juden, „die die Welt kontrollieren“.

Die Abneigung scheint gegenseitig. So ist der Präsident Venezuelas den Zionisten seit Jahren ein Dorn im Auge. Dies machte niemand deutlicher als der einflußreiche amerikanische Televangelist und glühende Israelverehrer Pat Robertson, der sich in seinem Fanatismus zur Behauptung verstieg, der Herzinfarkt des israelischen Premiers Ariel Sharon sei Gottes Strafe gewesen für den Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen. In einem christlichen Fernsehsender hatte sich derselbe Robertson am 23. August 2005 dazu hinreißen lassen, öffentlich die Ermordung von Hugo Chavez zu fordern: „Wir haben die Möglichkeiten, ihn auszuschalten, und ich denke, daß die Zeit nun reif ist, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Wir brauchen keinen weiteren 200 Milliarden Dollar teuren Krieg, um uns einen gewalttätigen Diktator vom Hals zu schaffen. Es ist viel einfacher, wenn eines unserer Teams für Geheimoperationen diese Arbeit erledigt – und damit hat’s sich.“

Es ist ein offenes Geheimnis, daß die CIA schon verschiedene Male erfolglos Putschversuche gegen Chavez angezettelt hatte, beispielsweise 2001, kurz nachdem Venezuela verkündet hatte, sein Erdöl in Euro statt in US-Dollar auszupreisen. Kennt man die Ansichten und Absichten von Hugo Chavez, dem „bolivarischen Revolutionär“, kann man verstehen, weshalb die amerikanische Machtelite diesen Mann aus dem Weg haben will.