Pflanzen, diese Plaudertaschen!

Forscher entdecken, daß Pflanzen erstaunlich vielfältig kommunizieren. Noch ahnen sie allerdings nicht, was sie so plauderfreudig macht.

Das Buch auf meinem Schreibtisch erregt mein Interesse: Intelligenz in der Natur, verfaßt vom kanadischen Anthropologen Jeremy Narby. Beim Blättern stoße ich auf das Kapitel „Pflanzen als Gehirne“. Dort postuliert der Autor, daß Pflanzen nicht nur eine Intelligenz besitzen, sondern – in Ermangelung eines Gehirns – sozusagen die gesamte Pflanze Hirn sei. Verkörperte Intelligenz, wobei die Wissenschaftswelt nicht zu orten vermag, was denn genau diese Intelligenz ausmacht.

Pflanzen, so erzählt der schottische Biologieprofessor Anthony Trewavas dem Autor, besäßen

  • Intelligenz , weil sie in der Lage seien, Ausweichmanöver durchzuführen, sich Richtung Sonnenlicht zu bewegen und die unbesonnten Teile absterben zu lassen, wie es die Fächerpalme tut. Ganz allgemein schaffen sie es, ihr Wachstum und ihre Entwicklung so den Umständen anzupassen, daß ihre Existenzmöglichkeiten in einer sich ändernden Umwelt maximiert werden.
  • Sie zeigten aber auch Zielstrebigkeit und ein intelligentes Wahlverhalten. Der Forscher verweist auf ein Exemplar von Efeu-Gundermann, das superschlau die nährstoffarmen Gegenden im Versuchsbeet ohne Blätter- oder Wurzelbildung übergeht und erst dort wieder Wurzeln schlägt und Blätter bildet, wo der Boden viel zum Leben hergibt.
  • Die Pflanze zeige eine große Wendigkeit – Trewavas nennt es Plastizität – wenn es darum geht, ihre Gestalt und ihre Wachstumsrichtung den Umständen bestmöglich anzupassen. Das sei nicht einfach reine Mechanik, sondern eine Form der Pflanzenintelligenz. Permanent muß die Pflanze eine Wahl treffen und sich optimal bewegen – bloß nehmen wir diesen „Tanz der Pflanzen“ nicht wahr, weil die einzelnen Tanzschritte nicht wie bei uns Bruchteile von Sekunden, sondern Wochen oder Monate dauern.

Pflanzen-WesenNeu ist das alles nicht. Jeder Gartenliebhaber hat diese Fähigkeiten schon – je nach Pflanze – mit Freude oder Verzweiflung bemerkt. Neu ist allenfalls, daß sich die Wissenschaft dafür interessiert, wurde man doch in ihren hehren Reichen noch vor wenigen Jahren ausgelacht, befaßte man sich mit so etwas „Esoterischem“ wie Pflanzenintelligenz.

Um so erstaunlicher also, daß das ganz und gar nicht esoterisch angehauchte deutsche Nachrichten-magazin Der Spiegel der Intelligenz der Pflanzen volle drei Seiten widmet.1 Unter dem Titel „Die Pflanzenflüsterer“ reportiert der Spiegel aus dem Forscheralltag von Ian Baldwin und Wilhelm Boland, beide Wissenschaftler am Max-Planck-Institut(MPI) für Chemische Ökologie in Jena.

„Bohnen führen Selbstgespräche, Tabakpflänzchen rufen um Hilfe, Tomaten schreien vor Schmerzen: Botaniker entschlüsseln die geheime Sprache der Pflanzen“, schreibt der Spiegel. Dabei ist die Sprache des „Grünzeugs“ „reine Chemie“. „Das Vokabular: ein Sammelsurium giftiger Wirksubstanzen und hochpotenter Duftstoffe. Sogar Selbstgespräche führen die grünen Schwatzmäuler“, wundert sich Autor Philip Bethge. Dem Laien klingt das nicht gar so neu und spektakulär. Allerdings seien die Pflanzen in der Lage, olfaktorisch „hochkomplexe Informationen“ untereinander auszutauschen. Manche Pflanzen beherrschen über hundert verschiedene „dufte“ Mitteilungen. Mittels modernster Biochemie, grüner Gentechnik und handfester Mechanik sind die Forscher am MPI nun daran, den Sprachcode der Pflanzen zu enträtseln.

Da ahmt beispielsweise eine Maschine das Freßmuster von Schädlingen nach – und dokumentiert gleichzeitig „den Aufschrei der malträtierten Tomatenpflanze. Luft wird durch den kleinen Behälter gesaugt, in den das Blatt der Tomatenpflanze eingeschlossen ist. Ein Massenspektrometer analysiert die von dem Nachtschattengewächs freigesetzten Stoffe: ‚Das Gerät zeigt uns genau, wie raffiniert Pflanzen auf Angriffe reagieren.’“
Zunächst herrscht Chaos, „die Pflanze läuft quasi aus“, erläutert Boland. Dann jedoch beginnt eine fein abgestimmte Reaktion, die schließlich zur Vorwärtsverteidigung und zum Absetzen von SOS-Rufen führt.

„Blitzschnell verbreitet sich die Nachricht der Attacke über die gesamte Pflanze. Hormonähnliche Substanzen fließen durch die Pflanzengefäße und erreichen in wenigen Minuten selbst die Wurzeln. Das Verblüffende: Der botanische Signalweg gleicht chemisch in Teilen jenen Vorgängen, die bei Entzündungen im menschlichen Körper ablaufen. So spielen Phytohormone eine Rolle, die chemisch mit schmerzauslösenden Gewebshormonen des Menschen verwandt sind“, erklärt der Spiegel. Die Forscher nennen es „Pflanzenkopfschmerzen“. Sobald ein Schädling zubeißt, verändern die Pflanzengene ihre Aktivität. Wie das geht, haben die Forscher an der Limabohne untersucht, die eine Meisterin der strategischen Kriegführung ist. Sobald sie von Spinnmilben befallen ist, sondert sie an ihren Blattstielen Nektar ab und setzt zugleich Duftstoffe frei. So aktiviert sie mehrere Verteidigungsarmeen. Während die Ameisen auf den Nektar reagieren und den Milben zuleibe rücken, lockt der Duft andere Räuber an. Allesamt machen sie mit den an der Bohne nagenden Plagegeistern kurzen Prozeß.

„Den Feind des Feindes herbeizurufen ist eine weitverbreitete Strategie im Pflanzenreich. ‚Wissenschaftler sind sich heute einig, daß die Beschäftigung von Bodyguards eine Charakteristik der meisten, wenn nicht aller Pflanzenarten ist’, sagt der Biologe Marcel Dicke von der niederländischen Wageningen-Universität, der diesen Trick als einer der ersten beobachtet hat. Inzwischen beginnen die Forscher zu ahnen, wie ausgefeilt das System ist“, erläutert der Spiegel.

Die Pflanze ist dabei ihr eigener Diagnostiker. „Pflanzen sagen nicht nur, ich bin verletzt, sie sagen sogar ganz genau, wer sie verletzt hat“, schwärmt Forscher Ian Baldwin. Je nachdem sondern sie nämlich eine leicht andere Duftmarke ab.

Besonders sprachgewaltig ist der Wilde Tabak. In Utah untersuchte Baldwin, wie der dort wachsende Wüstenbeifuß den benachbarten Tabak vorwarnte. Begaste er Tabakpflanzen mit dem Duft verletzter Beifußpflanzen, brachten diese sofort ihr Verteidigungssystem in Alarmbereitschaft – für den Fall, daß die Schädlinge auch sie anfallen sollten. Auch sonst ist der Tabak ungemein trickreich. Keimt er in Massen nach Buschbränden in Utah, wird er sofort von feindlichen Räuberheeren heimgesucht. Also reichert der wilde Tabak, sobald sie ihn überfallen, Nikotin in seinen Blättern an. Das Nervengift tut dann das Seinige. Mit einer Ausnahme: Die Raupen, aus denen später einmal graubraune Tabakschwärmerfalter schlüpfen, lassen sich vom Nikotin nicht betäuben. Das hat die Pflanze offenbar gelernt und drosselt deshalb ihre Giftproduktion. Statt dessen ruft sie per Duftstoff die Feinde der Tabakschwärmerraupe herbei und produziert gleichzeitig in ihren Blättern Stoffe, die den Schädlingen die Verdauung ruinieren. Die Raupen bleiben dadurch recht kümmerlich und können von den heraneilenden Feinden leichter getötet werden.

Die Natur weiß also sehr genau, was sie tut – wenn man sie nur machen läßt. Genau dies wollen die Forscher des MPI aber eigentlich nicht. Funktioniert das Verteidigungssystem bei Wildpflanzen nämlich noch wunderbar, sind Kulturpflanzen „wohlstandsträge“ geworden. Sie haben, so der Spiegel, „oft weitgehend verlernt, Hilferufe abzusetzen, Nützlinge herbeizurufen und Schädlinge mit biochemischen Tricks abzuwehren. Wilde Baumwollpflanzen beispielsweise geben bis zu zehnmal mehr Duftstoffe ab als ihre kultivierten Vettern.“ Und Feldfrüchte seien geradezu „ziemlich dumm“, weil „die Kompetenz zur Selbstverteidigung nie Zuchtziel war“, sagt Baldwin. Und: „Wir fragen uns jetzt, ob man den Kulturpflanzen diese Eigenschaften zurückgeben kann.“
Wir sehen also: Gentechnik ist einmal mehr der Hintergrund für die nähere Beschäftigung mit dem Pflanzenwesen.

Bereits basteln die Forscher am Sinnessystem der Pflanzen herum. „’Stumm’ oder ‚taub’ sind die Pflanzen, die Baldwin im Labor erschafft. Während die stummen Gewächse gewisse Duftstoffe nicht mehr produzieren können, ist den tauben Exemplaren die Fähigkeit genommen worden, bestimmt Duftmoleküle wahrzunehmen. ‚Wenn wir die entsprechenden Rezeptoren hemmen, fangen die Pflanzen sogar an zu schreien, weil sie sich selbst nicht mehr hören können’, sagt der Forscher. ‚Wir reden ja auch lauter, wenn wir uns die Ohren zuhalten’.“

Per Gentransfer wollen die Forscher künftig Weizen oder Tomaten das ‚Sprechen’ wieder beibringen, „um sie fitter zu machen für den Überlebenskampf auf dem Acker“, formuliert es Bethge.

Mit „Intelligenz“ habe das ganze nichts zu tun, sondern, so Boland, „mit den großen Regelkreisen der Natur“. Allerdings überrasche „die Vielfalt der Abwehrstrategien“ die Forscher immer wieder.

Glücklicherweise gibt es noch reichlich „schlaue“ Wildpflanzen, bei denen die Forscher punkto Abwehr in die Lehre gehen wollen. Es müsse, so Baldwin, „sich nur jemand entschließen, ihnen zuzuhören.“

Der Geist hinter dem Duft

All dies lese ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ist es doch ein weiteres kleines Indiz in der Beweiskette dafür, daß eine Art von „Geist“ die Pflanzen beseelt, die offensichtlich ja über kein Hirn verfügen, aber dennoch „schlau“ sind. Bestimmt wird es noch viele Jahre brauchen – oder viele Whisky-Promille, bis ein schottischer oder andersstämmiger Forscher kühn genug ist, Max Planck’s These, daß letztlich hinter allem ein lenkender Geist steckt, wissenschaftlich zu beweisen.

Quellenangaben

  • 1  Spiegel 26/2006, S. 114 ff.