Datensammeln: „Ich habe doch nichts zu verbergen!“…

…sagen fast alle, die völlig arglos im Internet shoppen und Mitglieder in sozialen Netzwerken sind – und sehen im Preisgeben von Persönlichem nichts Negatives. Eines muss uns allerdings klar sein: Je mehr wir freiwillig über uns verraten, desto mehr arbeiten wir jenen in die Hände, die uns an die Leine legen wollen – sei es als Konsumsklaven oder als politische Manipuliermasse. Anders ist nicht zu erklären, weshalb Facebook bereits 100 Milliarden Dollar wert sein soll!

Der gläserne Mensch im Internet.

Die Datenfresser im Internet agieren klammheimlich und leise.

Das Unternehmen Google verbucht derzeit vierteljährlich einen Gewinn von mehr als 2 Milliarden Dollar. Auch andere Computer- und Internetunternehmen verdienen prächtig und sind viel Geld wert: Der Aktienwert von Facebook beispielsweise betrug im Sommer 2010 noch 33 Milliarden Dollar. Am 2. Dezember 2011 hatte sich diese Zahl bereits verdreifacht, wie die NZZ Online verkündete („Facebook soll 100 Milliarden Dollar wert sein“). Nichts Außergewöhnliches? Nun, wenn man bedenkt, dass beide Unternehmen kostenlose Dienste anbieten, stellt sich schon die Frage, woraus denn dieser astronomische Geldwert entsteht.

Die meisten wissen, „es hat irgendetwas mit Werbung zu tun“. Aber wie das genau funktioniert, das wissen die wenigsten. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Für all die praktischen, scheinbar kostenfreien Dienste bezahlen wir mit unseren Daten. E-Mail-Adressen, Profile, Postleitzahlen, Telefonnummern, Fotos usw. sind viel, viel Geld wert. Wir haben uns längst daran gewöhnt, bei allen möglichen Gelegenheiten verschiedene persönliche Daten angeben zu müssen und selbstverständlich wissen wir auch alle, dass wir bei vielen alltäglichen Tätigkeiten eine breite Datenspur hinterlassen. Das scheint uns auch gar nicht so problematisch: „Was können die denn schon anfangen mit meinem Namen, meiner Adresse und dem Geburtsdatum?“ Das mag auf den ersten Blick stimmen – bloß sind die technischen Möglichkeiten schon viel weiter entwickelt, als uns bewusst ist, und vor allem wissen „die“ bedeutend mehr, als wir meinen.

Viele, viele kleine „Cookies“

Der erste Schritt beim fröhlichen Datensammeln ist in der Regel die Verwendung kleiner Dateien, sogenannter „Cookies“, die beim Besuch praktisch jeder Website im Internet auf der Festplatte des Besuchers abgelegt werden. Das Cookie dient vor allem dazu, die einzelnen Besucher voneinander zu unterscheiden und bei einem erneuten Besuch der Webseite auch wiederzuerkennen. Die Cookies können den Betreibern einer Website aber auch mitteilen, welche Angebote der Website ein Besucher nutzt, wie häufig er das tut oder auch wie lange. Außerdem können nicht nur Cookie-Dateien des Website-Betreibers auf der Festplatte des Nutzers gespeichert werden, sondern auch Cookies von dessen Werbepartnern. Da können sich in kurzer Zeit, meist unbemerkt, eine ganze Menge von diesen kleinen Dateien auf der Festplatte des Computers ansammeln. Für sich alleine liefern die Cookie-Daten – sollten sie beispielsweise weiterverkauft werden – nur kleine Informationshappen und enthalten auch keine Namen. Allerdings braucht es nur sehr wenig, um diesen Daten einen Namen zuweisen zu können, d. h. herauszufinden, um wen es sich handelt. Verknüpft man die Cookie-Daten mit einer bestehenden Datenbank, die beispielsweise Angaben zu Geburtsdatum, Geschlecht und Postleitzahl beinhaltet, ist die Sache schon geritzt. Kommen noch Cookies von Kooperationspartnern dazu, lässt sich das Verhalten eines Surfers über mehrere Websites hinweg verfolgen. Und damit kommen auch Hinweise z. B. zu Besuchsgewohnheiten, Kaufpräferenzen oder auch Art und Einstellungen des Computers hinzu. Durch diese Verknüpfungen von verschiedenen Informationen sind sogar psychologische und geographische Analysen der Benutzer möglich.

Und genau hier liegt der Hund begraben. Scheinbar harmlose Informationen werden durch Kumulation und Vernetzung zu individuellen Dossiers mit präzisen Verhaltens- und Kaufprofilen, die zielgerichtet verwendet werden können. Die Werbeindustrie erhält damit einen viel direkteren Zugang zur potentiellen Käuferschaft. Wer nun denkt, er wisse den Verlockungen der Werbung zu widerstehen, überlege besser nochmals. Immerhin sind unsere Daten den Werbetreibenden Milliarden wert…

Problematisch daran ist, dass die Industrie uns nun auf unser Kaufverhalten maßgeschneiderte Angebote ins Haus schicken kann – portofrei. Sitzen wir ermüdet vor dem Computer, ist die Verlockung groß, sich diese Angebote – die ja genau jenen Waren entsprechen, für die wir eine Schwäche haben – mal anzuschauen. Und da es zum Kauf nur ein paar Klicks braucht, ist der Weg zur Kaufsucht extrem kurz. Der zur Verschuldung allerdings auch; müssen wir uns doch bei Online-Käufen niemals auf unser real vorhandenes (Bar-) Geld beschränken.

Die Grenzen zum Betrug am Nutzer sind oft fließend und ethische Bedenken werden zugunsten von Profit und Steigerung des Unternehmenswerts1 leichtfertig über Bord geworfen. Obwohl wir unsere Daten zum Teil auch freiwillig hergeben (und dies auch geschickt gefördert wird…), ist es wie beim Eisberg: Der größere Teil bleibt unsichtbar. Wer welche Daten über uns wozu sammelt und an wen weitergibt respektive -verkauft, wissen wir meistens nicht. Geht ein Unternehmen pleite oder wird verkauft, werden die Data Warehouses zur begehrten Handelsware. Wohin unsere Daten in einem solchen Fall ins World Wide Web entschwinden, entzieht sich vollständig unserer Kenntnis und auch unserer Kontrolle.

Außerdem profitieren von der „Sammelmania“ nicht nur die Unternehmen selbst und die Werbetreibenden. Je genauer die Datensätze, je detaillierter die Informationen, desto attraktiver werden sie auch für Kriminelle, desto besser funktionieren auch Datenverbrechen. Insbesondere Daten, die mit Zahlungsinformationen verknüpft sind, beispielsweise bei Hotels, Läden oder Internet-Shops, sind besonders gefährdet. Datenpannen und Datenverluste kommen ziemlich häufig vor und längst nicht immer erfährt die Öffentlichkeit davon.

Alle Macht dem Algorithmus

Algorithmen sind Abfolgen von Rechenanweisungen nach denen ein Computer vorgeht, beispielsweise bei Tabellenkalkulationen. Und Algorithmen sind mathematische Methoden zur Ableitung von neuen Erkenntnissen und Einordnungen. Und als solche können sie eben nicht nur verwendet werden, um beispielsweise das Haushaltsbudget zu berechnen, sondern sie können – werden sie mit den entsprechenden Daten gefüttert – den Computer zum Orakel machen. In den Daten, die wir im Netz hinterlassen, bildet sich unsere Persönlichkeit ab, unsere Vorlieben, Gewohnheiten, Kaufmerkmale etc. Mithilfe algorithmischer Berechnungen kann so von einem Menschen ein digitaler Schatten erstellt werden. Obwohl dieser bloß ein verzerrtes Spiegelbild der eigenen Identität ist, wird ihm von verschiedenen Stellen bereits große Bedeutung zugemessen: Werbetreibende können uns – wie schon erwähnt – zielgerichteter bedienen, Unternehmen können die Qualität von (zukünftigen) Mitarbeitern besser erfassen, Behörden können die Bürger besser verwalten. Nicht zuletzt ist es auch möglich, prognostische Werte zu erstellen, damit zum Beispiel eine Versicherung abschätzen kann, wie viel ein Versicherungsnehmer in Zukunft kosten wird.

Diese prognostischen Profile sind selbstredend noch viel wertvoller als die aktuellen Profile, wie sie sich eben z. B. durch die Auswertung der Cookies ergeben. Die intelligente Analyse der von Milliarden Google-Nutzern hinterlassenen Daten macht es sogar möglich Börsenbewegungen vorherzusagen und zu erkennen, wo in naher Zukunft verstärkt investiert werden wird! Der Wert eines solchen Informationsmonopols ist gigantisch!

Wenn wir nicht Acht geben, wächst dieser digitale Schatten zusehends und entwickelt unter Umständen ein Eigenleben, dessen Auswirkungen wir nicht erahnen können. Niemand weiß, welche Risiken er längerfristig eingeht, wenn sein Leben digital zu großen Teilen erfasst und gespeichert ist. Denn digitale Daten sind sehr beweglich, sie gleiten schnell und flüchtig durchs Netz. Gleichzeitig bleiben sie beharrlich für lange Zeit an vielen Orten gespeichert. Und schon gibt es einige, deren digitaler Schatten länger wurde, als ihnen lieb war, und die sich fragten, warum sie die angepeilte Lehr- oder Arbeitsstelle nicht bekamen. Denn es ist unterdessen ein offenes Geheimnis, dass zwei Drittel der Personalverantwortlichen von Unternehmen bei einer Stellenbesetzung routinemäßig auch das Internet konsultieren, um noch mehr über die Kandidatin oder den Kandidaten zu erfahren. Da macht sich dann das Oben-ohne-Foto aus dem letzten Mallorca-Urlaub ganz schlecht…!

Übrigens sind Algorithmen lernfähig. Und sie lernen desto besser, je mehr Datenmaterial sie erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob neu hinzukommende Daten die bereits berechneten Werte, beispielsweise über Eigenschaften eines Menschen, bestätigen oder widerlegen. Der Computer lernt auch durch Fehler und passt die Formeln an. Und daher ist jede Suchanfrage bei Google nicht nur eine Frage, sondern auch gleichzeitig eine Antwort…

Quellenangaben

  • 1 Nebst dem tatsächlich erzielten Umsatz gibt es zur Unternehmenswertberechnung eines Internet-Unternehmens drei Kriterien: Die Anzahl der Benutzer, wie viel Zeit diese auf der Website verbringen und vor allem, wie viele Daten sie von sich offenlegen!