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Das große Geschäft mit dem Hunger

Enthüllender Bericht vorgelegt: Nahrungsmittelhilfe für Elendsgebiete fest im Griff des US-Agrobusineß

Von Jim Lobe, Washington (IPS) Während Niger hungert, wurde in Washington eine entlarvende Untersuchung vorgelegt. Sie stammt vom Institut für Landwirtschaft und Handelspolitik (IATP) im US-amerikanischen Minneapolis/Minnesota. Die mediale Reaktion auf ihre Veröffentlichung Ende Juli fiel eher dürftig aus, was angesichts des brisanten Stoffs nicht unbedingt verwundert. Und während auch am gestrigen Dienstag wieder Hiobsbotschaften über sterbende Kinder in Niger verbreitet wurden, finden die bitteren Fakten über den Zustand internationaler Nothilfeversorgung kaum Verbreitung. Sie handeln vom großen Geschäft mit dem Hunger - in diesem Fall auf dem nordamerikanischen Kontinent. IATP-Programmdirektorin Sophia Murphy und die Geographin Kathleen McAfee von der Berkeley University in Kalifornien stellen auf den von ihnen erarbeiteten 37 Seiten des Berichts "U.S. Food Aid: Time to Get it Right" fest: Das System der US-amerikanischen Nahrungsmittelhilfe für Länder der Dritten Welt ist ineffizient, verschwenderisch und vor allem darauf bedacht, dem heimischen Agrobusineß und Schiffahrtsunternehmen Vorteile zu verschaffen. Sie fordern eine grundlegende Reform der staatlichen Nahrungsmittelhilfe, die bislang weniger Hungernde als vielmehr bestimmte US-amerikanische Großunternehmen gefüttert hat. Vor allem dürfe die Hilfe nicht länger an Bedingungen zugunsten der einheimischen Wirtschaft geknüpft werden, die den Empfängerländern schaden. Klagen bei der WTO "Nahrungsmittelhilfe soll Menschenleben retten. Doch sie sollte auch Teil einer Strategie werden, die darauf abzielt, die Nahrungsmittelversorgung in den Empfängerländern langfristig zu sichern und zu schützen", betonte Murphy. "Wir müssen verhindern, daß Menschen, denen wir heute helfen, in 20 Jahren immer noch von Nahrungsmittelhilfe abhängig sind." Was als Nahrungsmittelhilfe deklariert wird, sollte den Autorinnen zufolge kostenlos abgegeben oder zu einem Sonderpreis verkauft werden. Im internationalen Nahrungsmittelhandel machen diese Hilfsgüter nicht einmal zwei Prozent aus. Ihr Anteil an der weltweiten Nahrungsmittelproduktion liegt bei minimalen 0,015 Prozent. Mit 7,5 Millionen Tonnen ging die Nahrungsmittelhilfe 2004 gegenüber dem Vorjahr (10,2 Mio. Tonnen) deutlich zurück. 2003 wurden zwei Drittel der Hilfsgüter als Katastrophenhilfe verteilt, im vergangenen Jahr lag dieser Anteil bei 59 Prozent. Mit 56 Prozent kam 2004 der größte Anteil der internationalen Nahrungsmittelhilfe aus den USA. Die Europäische Union (EU) lieferte 20 Prozent. Japan beteiligte sich mit acht Prozent, und mit jeweils 2,75 Prozent waren Australien, China, Kanada und Südkorea dabei. Die USA und Südkorea sind die einzigen Länder, die ihre Hilfsgüter verkaufen. Die dominierende Position, die die USA bei der internationalen Nahrungshilfe einnehmen, hat nach Angaben des IATP-Berichts zu zwei Klagen bei der Welthandelsorganisation (WTO) geführt. Moniert wird, daß Geldspenden an NGOs, die eigentlich für die Beschaffung von Nahrungsmitteln bestimmt sind, auch für andere Hilfsaktionen verwendet werden können. Weil sie den Produzenten und Händlern in den betroffenen Ländern die Preise verderben, sollten alle derartigen Hilfsprogramme auslaufen. Die zweite Klage bezieht sich auf die dem US-amerikanischen Agrobusineß eingeräumten staatlichen Exportkredite. Sie bewirken ein Verschleudern der Nahrungsmittel zu Dumpingpreisen, die in den betroffenen Ländern unter den Erzeugerpreisen liegen. Die EU, so der Bericht, werde auf der nächsten WTO-Ministerkonferenz, die im Dezember in Hongkong stattfindet, einen Änderungsvorschlag machen. Danach soll die Nahrungsmittelhilfe nur noch aus Geldspenden bestehen, an die keine Bedingungen der Geberländer geknüpft sind. Der Bericht kritisiert außerdem, daß in den USA das Nebeneinander der für Nahrungsmittelhilfe zuständigen Behörden, des Landwirtschaftsministeriums und der US-Agentur für internationale Entwicklung, häufig zu bürokratischen Verwicklungen und zu doppelten Hilfsaktionen führt. Für weit bedenklicher allerdings hält die IATP-Untersuchung das sogenannte eiserne Dreieck von Agrobusineß, Schiffahrtsunternehmen und bestimmten NGOs, die von der Nahrungsmittelhilfe am meisten profitieren. "Diese drei Interessengruppen mit ihrer einflußreichen Lobby im Kongreß und in der US-Regierung haben das Hilfssystem fest im Griff", kritisieren die Autorinnen. So verfügt ein US-Gesetz, daß mindestens drei Viertel der US-amerikanischen Nahrungsmittelhilfe aus den USA stammen und dort auch verarbeitet und verpackt werden müssen. Nur eine Handvoll Firmen, darunter Cargill und Archer-Daniels, zwei US-Multis der Lebensmittelindustrie, können sich um entsprechende Verträge bemühen. Diese besonderen Bedingungen verteuern die US-Hilfe durchschnittlich um elf Prozent, weil günstigere Anbieter bei der Vergabe ausgeklammert werden. Die ebenfalls gesetzlich gestützte Auflage, daß 75 Prozent der US-Hilfsgüter auf Schiffen unter US-Flagge transportiert werden müssen, erhöhen die Kosten der Hilfssendungen zusätzlich. Unter fremder Flagge segelnde Massengutfrachter verlangen für die gleichen Routen bis zu 80 Prozent weniger als die ineffiziente US-Handelsmarine. Der Bericht verweist darauf, daß dieses engmaschige, gut funktionierende Interessengeflecht die auf Sparsamkeit und Effizienz bedachten NGOs praktisch zu Helfershelfern macht. "Sie unterstützen ein System, das entgegen ihrer eigenen Ziele Produzenten und Händler vor Ort bedroht." Lokale Förderung Andere Geber ziehen es vor, den NGOs ihren Beitrag zur Nahrungsmittelhilfe als Geldspende zu übermitteln. Sie wollen die lokalen Märkte nicht ruinieren und sind auf eine dauerhafte Sicherung der Nahrungsmittelversorgung in den armen Ländern bedacht. IATP fordert, Nahrungsmittelhilfe außer in ganz bestimmten Notfällen nur noch als finanzielle Hilfe zu leisten, Hilfsgüter nicht mehr über große Distanzen per Schiff zu transportieren und die Förderung der Nahrungsmittelproduktion in armen Ländern deutlich zu verstärken. Auch sollten die von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) propagierte Einstellung aufgegeben werden, die Empfängerländer verpflichtet, mehr in Agrargüter zu investieren, die für den Export bestimmt sind. Diese Strategie sei längst fehlgeschlagen. "Afrikanische Bauern sind durchaus in der Lage, in ihren Gemeinden und Regionen weit mehr Nahrungsmittel zu produzieren", erklärte McAfee. "Doch die USA, die Weltbank und die Welthandelsorganisation setzen sich dafür ein, daß afrikanisches Bauernland für Exportgüter genutzt wird. Deshalb vernachlässigen viele afrikanische Regierungen die Versorgung der einheimischen Bevölkerung. Wenn sich daran nichts ändert, wird es noch mehr Hunger geben." Quelle: Junge Welt, 3. 8. 2005 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite