Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Gewalt durch Videospiele

Das Spielen mit gewalthaltigen elektronischen Spielen ist stärkster Risikofaktor für Gewaltkriminalität. Drei deutsche Wissenschaftler schlagen Alarm.

Am 20. November findet an der Münchner Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München ein internationaler Kongress zum Thema «Computerspiele und Gewalt» statt. Medienforscher aus Deutschland und den USA präsentieren vier neue Langzeitstudien, die den Gewaltkonsum durch Computerspiele als Ursache für Veränderungen der Persönlichkeit und reale Gewalttätigkeit belegen. Alarmierend sind die zentralen Ergebnisse der deutschen Langzeitstudie «Media Violence and Youth Violence – a 2-Year Longitudinal Study» von Hopf, Huber und Weiss, die in der renommierten Fachzeitschrift «Journal of Media Psychology» veröffentlicht wurde 1 und auf dem Kongress erstmals vorgestellt wird.

Erstmals haben deutsche Wissenschaftler über einen Zeitraum von zwei Jahren die Auswirkungen des Konsums von Gewaltmedien auf Kinder und Jugendliche untersucht. Erschreckendes Ergebnis: Die Schülergewalt der Vierzehnjährigen wird am stärksten durch den früheren Konsum von Horror-Gewalt-Filmen beeinflusst. Die Gewaltkriminalität der Vierzehnjährigen, wie zum Beispiel schwere Körperverletzung, Vandalismus oder Automatenaufbrüche, am stärksten durch gewalthaltige Computerspiele.

«Je häufiger Schüler während der Kindheit (6–10 Jahre) Horror- und Gewaltfilme anschauen und je mehr sie sich mit gewalthaltigen elektronischen Spielen in der beginnenden Adoleszenz beschäftigen, um so höher sind ihre Gewalttätigkeit in der Schule und ihre Gewaltkriminalität im Alter von 14 Jahren.» (Abstract, S. 79)

Die Wissenschaftler fassen das Ergebnis der Befragung von 653 bayerischen Hauptschülern wie folgt zusammen: «Je häufiger Schüler während der Kindheit (6–10 Jahre) Horror- und Gewaltfilme anschauen und je mehr sie sich mit gewalthaltigen elektronischen Spielen in der beginnenden Adoleszenz beschäftigen, um so höher sind ihre Gewalttätigkeit in der Schule und ihre Gewaltkriminalität im Alter von 14 Jahren.» (Abstract, S. 79) Da Langzeitstudien Ursachen belegen können und nicht nur Zusammenhänge aufzeigen, sind kausale Wirkungen von Compu­tergewaltspielen, die bisher geleugnet wurden, nun durch die neue Studie von Hopf/Huber/Weiss bestätigt.

Computerspiele fördern auch die Entstehung von Hass

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie ist: Computerspiele und Horrorfilme fördern die Entwicklung von Hass, Wut und Rache bei Kindern und Jugendlichen. Diese Persönlichkeitsveränderungen beginnen schon in der Grundschule. Hass und Rache sind die emotionalen Hauptursachen für brutale Körperverletzungen, Schulmassaker und alltägliche Jugendgewalt. Die Studie zeigt, dass Kinder und Jugendliche durch Mediengewalt aggressive Emotionen lernen, die bei ihnen wiederum Gefühle der Stärke und Überlegenheit erzeugen. Die Studie konnte auch aufzeigen, dass sich ein starker Konsum von Gewaltmedien negativ auf die Englisch- und Deutsch­noten auswirkt.

Eine hohe Gefahr für die Gesellschaft

Die Ergebnisse der Studie waren für die Wissenschaftler Hopf/Huber/Weiss Grund genug, Alarm zu schlagen: «Die psychischen und sozialen Schäden durch Mediengewaltkonsum bei vielen Kindern und Jugendlichen sind eine hohe Gefahr für die Gesellschaft.» Diese Feststellung ist eigentlich nicht neu, doch nach Meinung der Wissenschaftler wurden in der Vergangenheit keine effektiven politischen Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr einzudämmen. Statt dessen sei der Konsum von Mediengewalt dem freien Markt und damit der Medienindustrie überlassen worden. Und diese treibt die Jugend immer tiefer in den Sumpf von Abhängigkeit, Schulversagen und Gewaltkriminalität und profitiert auch noch von diesem Elend. So kündigten die Hersteller von Computerspielen für die Games Convention (Spielemesse) in Leipzig im August diesen Jahres «völlig neue Dimensionen für die optische und dramaturgische Gestaltung und Steuerung von Spielen aller Genres» an mit der sogenannten «zukunftsweisenden Deep-3D-Technologie». Und in einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers wird für den Videospielmarkt in Deutschland bis zum Jahr 2012 ein jährliches Wachstum von 10,5 Prozent auf dann 4,1 Milliarden US-Dollar prognostiziert.

Verbote wären ein wirksamer Schutz

Wie können die Wirkungen von Mediengewalt auf Kinder und Jugendliche reduziert oder verhindert werden? Auf diese Frage antworten die drei Wissenschaftler folgendes (S. 93): Auf politischer Ebene werde in Deutschland seit langem ein Verbot von extrem gewalthaltigen Video- und Computerspielen («Killerspielen») gefordert. Hinsichtlich Drogen, Pornografie oder Waffen bestünden bereits gesellschaftlich akzeptierte Verbote. Hinsichtlich Mediengewalt werde jedoch von politischen und pädagogischen Gegnern eines Verbots immer wieder die Behauptung aufgestellt, derartige Maßnahmen nützten nichts, obwohl in vielen gesellschaftlichen Bereichen bewiesen sei, dass durch Verbote kein vollkommener, aber doch ein effektiver Schutz entsteht. Weiterhin würden die Verbotsgegner seit den 1990er Jahren die Vermittlung von Medienkompetenz an Kinder und Jugendliche fordern; dies sollen Familien und Schulen leisten.

«Die psychischen und sozialen Schäden durch Mediengewaltkonsum bei vielen Kindern und Jugendlichen sind eine hohe Gefahr für die Gesellschaft.»

Während etwa 30–40% der Familien in Deutschland sich verantwortungsvoll verhielten, so die Wissenschaftler, indem sie den Medienkonsum ihrer Kinder regulieren und reduzieren, geschehe keinerlei Medienerziehung in etwa 40–60% der Familien, aus welchen Gründen auch immer. Diese Eltern seien weder durch öffentliche Aufrufe noch durch medienpädagogische Maßnahmen zu erreichen. Bis heute sei das Illusionäre dieses Konzepts, durch Medienkompetenz Jugendschutz zu betreiben angesichts von Millionen betroffener Kinder und Jugendlicher, noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Solange aber keine effektiven ­politischen Maßnahmen ergriffen und die Verantwortung letztlich auf Eltern und Schulen abgeschoben werde, seien die psychologischen und sozialen Schäden bei Kindern und Jugendlichen, verursacht durch den Mediengewaltkonsum, eine ernste Gefahr für die Gesellschaft.
Der internationale Medienkongress in München richtet sich an Eltern, Lehrkräfte, Studierende, Wissenschaftler und Politiker und hat sich zum Ziel ge set zt, der gezielten Desinformation neue Ergebnisse der Medienwirkungsforschung entgegenzu set zen sowie politische und pädagogische Konsequenzen daraus abzuleiten. Den Veranstaltern ist deshalb viel Erfolg zu wünschen.

Quelle: Zeit-Fragen Nr. 44/2008

Lesen Sie weitere spannende Artikel auf unserer News-Seite.