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Mit der Ölwaffe zur Weltmacht

Eine Hintergrund-Analyse zur Ölstrategie der USA im Nahen Osten.
me. Die zuletzt rund 10000 amerikanischen Soldaten in Saudi-Arabien waren nicht nur islamistischen Extremisten ein Dorn im Auge. Auch die Bevölkerung im allgemeinen lehnten die US-Verbände in der Nachbarschaft der heiligsten Stätten des Islam zunehmend ab. Mit dem angekündigten Truppenabzug stärkten die USA deshalb auch dem wahhabitischen Herrscherhaus Saudi-Arabiens den Rücken: Saudische Islamisten verlieren ein für sie wichtiges "Dauerthema", und die Führung kann nun - wenn sie will - härter als bisher gegen radikale Muslime zu Felde ziehen.

Auch nach dem "gewonnenen" Irak-Krieg und unabhängig von einer Truppenstationierung wird das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und den USA von einer Art gegenseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet bleiben. Die Saudis sind auf amerikanische Käufer für ihr Öl angewiesen, und die USA hoffen auf mässigenden Einfluss der Saudis im arabischen Lager. Deshalb sind die USA an einer Stabilisierung der innenpolitischen Lage Saudi-Arabiens nach wie vor interessiert! Der Truppenabzug soll dabei helfen.

Mit dem Ölhahn zur Weltherrschaft

Hinzu kommen "ölstrategische Überlegungen": Mit direkten Einflussmöglichkeiten auf die Ölförderung im Irak und indirekten auf die Saudi-Arabiens könnten die USA in Zukunft einen Grossteil der "variablen" Ölförderungen kontrollieren. "Variabel" sind die Fördermöglichkeiten im Nahen Osten allein schon deshalb, weil die dortigen Ölvorkommen wegen der geologisch-klimatischen Bedingungen weitaus leichter zu fördern sind als die Vorräte der russischen Ölfelder. Die russische Ölindustrie kämpft gegen widrige klimatische Bedingungen (Sibirien) und muss das mühevoll gewonnene Öl noch über weite Distanzen transportieren. Dies ist wirtschaftlich - und zum Teil auch technisch - nur bei einer weitgehenden konstanten Produktion möglich.

Wenn es den USA nun dauerhaft gelingen sollte, grosse Teile der Ölförderung im Nahen Osten direkt oder indirekt zu kontrollieren, würden sie über ein "hervorragendes" Instrumentarium zur indirekten "Einflussnahme" auf andere Weltmächte verfügen: Eine Ausweitung der Ölproduktion würde den Preis drücken, was dem russischen Staatshaushalt schlecht bekäme. Eine Drosselung der Produktion würde in erster Linie Schwellenländer wie Indien und China (aber auch den Industriestaat Japan) treffen, die in hohem Masse auf Öl aus dem Nahen Osten angewiesen sind.

Ölpreis als Gängelband für Russland

Der Hebel, den Washington mit der Kontrolle über die arabischen Ölreserven in die Hand bekommt, ist gefährlich. Wer sowohl Mengen als auch Preis des wichtigsten Rohstoffes beeinflussen kann, hat die Möglichkeit:
a) den Ölexporteur Russland mit tiefen Weltmarktpreisen (Ölüberfluss) finanziell zu schädigen,
b) den Wirtschaftsboom des Ölimporteurs China mit hohen Preisen zu bremsen und
c) die japanische Industrie, die vollständig auf importiertes Öl angewiesen ist, in den Würgegriff zu nehmen - sollte Tokio jemals auf die Idee kommen, eigene Wege zu gehen.
Washington bekommt also sehr verschiedene Optionen in die Hand. Es geht dann nicht mehr um "freundschaftliche Vasallen", sondern um existentielle Abhängigkeit. Besonders brisant könnten die Auswirkungen auf das amerikanisch-russische Verhältnis sein. Der Konflikt zeichnete sich bereits ab, als der US-Botschafter in Moskau unmittelbar vor Kriegsausbruch den Russen öffentlich mit dem Entzug von Investitionen drohte - eine Drohung, die in Moskau ausgesprochen schlecht ankam.

Amerika, Russland und das Öl

Zum Hintergrund einige Fakten und Zusammenhänge:

  • " Lukoil und andere russische Ölkonzerne haben mit der bisherigen Regierung in Bagdad Verträge über die Ausbeutung irakischer Ölfelder geschlossen. Sie befürchten nun, dass diese Konzessionen an amerikanische Firmen gehen sowie an British Petroleum und Royal Dutch. Ausserdem befürchtet Moskau, dass eine zukünftige US-Satellitenregierung in Bagdad die irakischen Schulden an Moskau nicht zurückzahlen wird.
  • " Nachdem Bush im Mai 2002 in Moskau zu Besuch war und ein Treffen amerikanischer und russischer Vorstände von Ölkonzernen stattgefunden hatte, wurde mit grossen US-Investitionen in die russische Ölindustrie gerechnet. Auf die damalige Begeisterung ist Ernüchterung gefolgt. Die Zusammenarbeit kommt nicht richtig voran.
  • " Russland ist dem Weltmarktpreis für Öl ausgeliefert, ohne ihn selbst beeinflussen zu können. Jeder Dollar pro Fass mehr oder weniger verändert den russischen Staatshaushalt um eine runde Milliarde Dollar. 2002 war der Haushalt mit 5 Milliarden Dollar im Überschuss. Nach Moskauer Berechnungen würde er ins Defizit geraten, sobald der Ölpreis unter 18 Dollar je Fass sinkt. Damit wäre auch Russlands Fähigkeit beeinträchtigt, Auslandschulden zu bedienen und zurückzuzahlen. Hier zeichnen sich gefährliche Entwicklungsmöglichkeiten ab.

Via irakisches Öl die Opec ausschalten

Die gefürchtete Organisation wird einen schweren Stand haben. Die Opec produziert nicht einmal die Hälfte der 77 Millionen Fass, die pro Tag weltweit verbraucht werden. Aber nur die Opec (besonders Saudi-Arabien und später der Irak) hat den Spielraum, die Förderung hoch- oder herunterzufahren und damit den Preis zu manipulieren. Den Russen fehlt diese Option. Die USA kontrollieren oder beeinflussen via die irakische Ölförderung und eine allfällige spätere Marionettenregierung im Irak also auch die Opec. Der Persische Golf wird Quelle internationaler Spannungen und Konflikte - das betrifft auch das künftige Verhältnis zwischen Amerika und China

Wie sieht es Peking?

Peking ist über die Besetzung des Irak alarmiert. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas ist vergleichbar mit dem Japans von 1950 bis 1970 und dem Koreas in den Jahren 1965 bis 1995. In beiden Fällen hat sich der Ölverbrauch versiebzehnfacht!

Allein in den vergangenen sieben Jahren hat sich der Ölverbrauch Chinas verdoppelt. Er wird sich bis 2010 noch einmal verdoppeln und anschliessend noch einmal. 2002 zum Beispiel wurden 56% mehr Autos in China verkauft als im Jahr zuvor. Hier kündigen sich Ölverteilungskämpfe an, die durchaus in einen amerikanisch-chinesischen Krieg ausarten können. Für Peking, aber auch für Moskau, das sehr alte Interessen im Iran hat, muss es eine Horrorvorstellung sein, dass sich die USA auch noch im Iran festsetzen könnten.
Wenn sie dort jemals einmarschieren (das wurde in den Planspielen in Washington bereits erwogen), werden sie feststellen, dass der Iran - ganz im Gegensatz zu Saddam Hussein - mit einer hochmodernen Flug- und Panzerabwehr russischer und chinesischer Provenienz aufwartet. Obwohl Powell dieser Tage beim Gespräch mit Ivanov, dem russischen Aussenminister, bekanntgab man habe "at the moment" keine Pläne für militärische Aktionen, ist der Kriegsgrund schon gesetzt.
Zu Radio Moskau sagte er: "Der Iran hat Atomkraftwerke, obwohl das ölreiche Land sie nicht braucht. Wir gehen davon aus, es sollen verdeckt Nuklearwaffen entwickelt werden." Immerhin haben auch die ölreichen Länder USA und Russland Kernkraftwerke, und die Iraner lassen ihre Anlagen von der IAEA, der internationalen Atomenergiebehörde in Wien, inspizieren.

Powells Behauptungen im Rückblick

Bezüglich Powells Glaubwürdigkeit sei daran erinnert, dass er im UN-Sicherheitsrat am 6. Februar 2003 noch behauptet hat, Washington "wisse" von irakischen Raketenwerfern mit biologischen Gefechtsköpfen und "Saddam habe biologische Waffen und die Kapazität, rasch mehr, viel mehr davon zu produzieren". Und vor dem Kongress sagte er im April laut "New York Times": "Die Massenvernichtungswaffen des Irak werden gefunden werden. Alles was ich vor dem Sicherheitsrat sagte, war gesichert und gar doppelt und dreifach belegt." Nur gefunden hat man den damaligen Kriegsgrund noch nicht.

Quelle: Zeit-Fragen Nr.18 vom 19. 5. 2003; http://www.zeit-fragen.ch