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E-Voting ein Wolf im Schafspelz?

Werden die neuen elektronischen Wahlmaschinen Bush im Jahr 2004 gewinnen lassen?

W.E. Nach der Kontroverse über die fehlerhaften Wahlresultate bei den Präsidentschaftswahlen 2000 in Florida hat der US-Kongress ein neues Gesetz verabschiedet, das von Präsident Bush im Oktober 2002 unterzeichnet wurde: die "Help America Vote Act". Das Gesetz zwingt Staaten zwar nicht zum E-Voting mit Touch-Screen Computern, denn im amerikanischen System ist dies die Domäne jedes einzelnen Staates.
Aber es setzt einen Standard für Wahlen, der am einfachsten durch einen Wechsel auf Computer erreicht wird. Zusätzlich erhalten die Staaten, die zum System mit Computern wechseln, Geld; insgesamt ist eine Summe von 4 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Viele Staaten haben bereits auf Computer umgestellt, und noch mehr werden es voraussichtlich tun, einschliesslich Kalifornien, jetzt unter dem republikanischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger.

Während viele Amerikaner ehrlich davon überzeugt sind, dass die neuen Computer-Wahlmaschinen Betrug erschweren, sind ausgewiesene Sicherheitsexperten für Computer der Meinung, dass diese dem Betrug und Stimmendiebstahl in einer bislang nicht möglichen Art und Weise Tür und Tor öffnen.

Sie sind weit davon entfernt, Wahlen demokratischer zu machen, sondern ermöglichen einen Wahlbetrug, der nicht entdeckt wird, und zwar um Millionen von Wählerstimmen. Nachdem Professor Avi Rubin vom Institut für Informationssicherheit der Jon Hopkins University die von Diebold Corporation, einem der drei Hauptlieferanten der neuen Technologie, entwickelte Maschine untersucht hatte, sagte er kürzlich gegenüber der BBC: "Das Programm war sehr schlecht geschrieben; es verfügte über keinerlei Kontrollmechanismen, die man bei einem hochqualitativen System erwarten müsste." Rubin behauptet, dass der durchschnittliche Wähler theoretisch eine Wahl verändern könnte, wenn er ins Dieboldsystem hackte; ein schlauer Informatiker könnte eine gefälschte Karte herstellen und damit ganz viele Stimmen abgeben. "Ein Student meiner Klasse könnte das. Noch ein ernsterer Fall wäre ein skrupelloser und bösartiger Programmierer, der bei Diebold angestellt ist und der eine versteckte Funktionalität hinzufügt, durch die das Ergebnis der Wahlen später manipuliert werden kann."

Die meisten der wichtigen Lieferanten weigern sich ausserdem, verifizierbare Papierkopien zu produzieren oder Beweise für die registrierten Wahlstimmen, so dass Betrug nicht entdeckt werden kann.

In den USA selbst errreichen solche Themen bemerkenswerterweise kaum die Öffentlichkeit. Viele ehrliche Bemühungen, vor den Gefahren eines Betrugs zu warnen, hat man bei Diebold und anderen Herstellern aggressiv mit Prozessandrohungen beantwortet, wodurch viele Websites schliessen mussten. Die Computerexpertin Beverly Harris, eine der Kritikerinnen, musste ihre Seite www.blackboxvoting.org auf Intervention von Diebold hin schliessen. Sie beendet gerade ihr Buch über die Vorgänge. Harris sagt zum Thema Abstimmen mit dem Computer: "Was bislang immer ein transparenter Prozess war, der der Kontrolle vieler Augen unterworfen und ein Gut von allen war, ist nun geheim und der Besitz von wenigen geworden. Dies geschah in dem Augenblick, als Wahlsysteme Privatunternehmen übergeben wurden. Diese Firmen bestehen nun darauf, dass der dem Abstimmungsvorgang zugrundeliegende Prozess vor den Wählern geheimgehalten werden soll. Die Unternehmen der Abstimmungsmaschinen müssen uns nicht offenlegen, wer ihr Besitzer ist."

Noch alarmierender ist die Tatsache, dass sich die drei grössten Hersteller von Abstimmungsmaschinen, Diebold, ES&S und Sequoia, enger Beziehungen zur Bush-Kampagne der republikanischen Partei erfreuen. Als einer der wichtigen Träger der Wahlkampagne hat Wally ODell, CEO des zweitgrössten Herstellers Diebold Company, Bush auf seiner Crawford Farm besucht. ODell hat auch Geldbeschaffer von Dick Cheney gesponsort. Präsident des Diebold Wahl-Systems ist Bob Urosevich, dessen Bruder Todd jetzt ein Top Manager bei ES&S (Election Systems&Software) ist, dem grössten E-Voting Hersteller. ES&S gehört teilweise Senator Chuck Hagel und hat Beziehungen zu Jeb Bush in Florida. Hagels Unternehmen zählte die Wahlzettel, mit denen Bush seinen Senatorensitz gewann, eine böse Überraschung für den Kandidaten der Demokraten.

ES&S gehört mehrheitlich Howard Ahmanson und der Ahmanson Foundation. Ahmanson gehört dem Council for National Policy an, einer Organisation, die das Chalcedon Institute finanziert, einen der christlichen Rechten zugerechneten Think-tank. Das Chalcedon Institute fördert "die Notwendigkeit, zum Gesetz der Bibel zurückzukehren". Diebolds CEO ODell versprach kürzlich bei einer republikanischen Geldsammelaktion, "alles" zu tun, was notwendig ist, damit Bush 2004 in Ohio gewinnt. Ist alles möglich?

Zudem versucht eine andere Firma, VoteHere, ihre kryptographische Software in den E-Voting Maschinen zu installieren. Sie beliefern bereits Sequoia Maschinen. Ihr Vorsitzender ist Admiral Bill Owens, ein Freund von Cheney und wie Richard Perle Mitglied im Defense Policy Board; im Vorstand von Sequoia sitzt der frühere CIA-Direktor Robert Gates, Rektor der George Bush School of Business.

Quelle: Zeit-Fragen Nr.47 vom 15.12.2003