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Israel: Piloten verweigern Einsatz

Kriegshelden und Angehörige der israelischen Elite-Einheit weigern sich, in ihren Einsätzen künftig unschuldige Zivilisten zu töten.

yr. Am 24. September 2003 haben 27 israelische Piloten in einem Schreiben öffentlich erklärt, keinen Dienst mehr über den besetzten Gebieten, das heisst über dem Westjordanland und dem Gazastreifen, zu leisten. "Wir, ehemalige und aktive Piloten, die für den israelischen Staat Dienst geleistet haben und immer noch leisten, weigern uns, illegale und unmoralische Angriffe, wie sie die israelische Armee in den besetzten Gebieten durchführt, auszuführen. Obwohl für uns die israelische Armee und die Luftwaffe ein wesentlicher Teil unseres Lebens sind, weigern wir uns, weiterhin unschuldige Zivilisten zu töten [...]. Die andauerende Besetzung untergräbt in schwerwiegender Weise die Sicherheit unseres Landes und seine moralische Integrität", schrieben die Piloten in ihrem Brief ("Haaretz" vom 25. September). Mit dieser Aktion wandten sich die Piloten gegen die gezielte Tötung von radikalen Palästinensern, die nach Auffassung dieser Piloten immer auch unschuldige Opfer fordert.

Der Angriff auf den Hamas-Führer in Gaza, Salah Shahade, vor einem Jahr mit einer 1000 Kilogramm schweren Rakete, die auf das Haus des Palästinensers abgefeuert wurde und neben ihm noch 15 weitere Personen in den Tod riss, darunter 9 Kinder, und die kürzliche Stellungnahme des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, Generalmajor Dan Halutz, dass zivile Opfer bei solchen Aktionen in Kauf zu nehmen sind, führte zu dieser Weigerung. Insgesamt sind in den letzen 3 Jahren 140 militante Palästinenser mit gezielten Angriffen von den Israeli liquidiert worden, während dabei 100 unbeteiligte Zivilisten mit in den Tod gerissen wurden. Der Sprecher der unterzeichnenden Piloten, Captain Yonatan, erklärte:"Wir sind alle loyale Bürger des israelischen Staates. Wir haben diesen Schritt nach reiflicher Überlegung und langer Gewissensprüfung unternommen. Als Offizieren und Piloten ist uns die schwere Verantwortung übertragen, die effizienteste Kriegswaffe zu bedienen. Als Menschen, die im moralischen Codex der israelischen Armee und des israelischen Staates erzogen worden sind, haben wir uns entschieden [...] dem Befehl zu gehorchen, keinen Befehl auszuführen, der offensichtlich illegal ist." ("Haaretz" vom 25. September)

Piloten sollen bestraft werden

Dieser äusserst mutige Schritt, den diese Piloten vollzogen haben, ist für das israelische Militär, das in Israel nicht nur Ausgangspunkt für eine politische Karriere ist, sondern auch den Weg für höchste gesellschaftliche Positionen öffnet, gravierend und führte postwendend zu scharfen Reaktionen sowohl von Politikern als auch von hohen Militärs. Die Luftwaffe gilt als die Eliteeinheit der israelischen Streitkräfte und die mit der Erklärung einhergehende Befehlsverweigerung ist kaum hoch genug einzuschätzen. So warf nach Informationen von Spiegel Online vom 25. September der Oberbefehlshaber der Luftwaffe den Piloten "eine Einmischung in die Politik" vor und kündigte ihre Bestrafung an. Dabei sollen 9 der 27 Piloten im Schnellverfahren aus der Armee entlassen werden. Der ehemalige Präsident sowie Luftwaffenpilot und -kommandant Ezer Weizmann nannte die Verweigerung eine "grosse Schande" und soll vorgeschlagen haben, den Piloten ihren Rang abzuerkennen und sie "für niedere Dienste bei der Luftwaffe" heranzuziehen.

Dienstverweigerungen bereits 2002

Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada vor nahezu drei Jahren kam es in der israelischen Armee immer wieder zu Militärdienstverweigerungen. Im Januar 2002 gab es eine Initiative zur Verweigerung von Einsätzen in den besetzen Gebieten. Es bildete sich eine Gruppe von Gleichgesinnten um den Arzt und Piloten Yigal Schochat, der ebenfalls aus moralischen und rechtlichen Gründen zur Befehlsverweigerung aufrief. Innerhalb von wenigen Monaten schlossen sich mehrere hundert Armeeangehörige diesem Aufruf an, und einige tausend Zivilisten solidarisierten sich mit ihnen. Für einen Bürger Israels ist ein solcher Schritt häufig mit gesellschaftlicher Ächtung verbunden. Besonders junge Menschen, die den Militärdienst verweigern, haben schwerwiegende Nachteile, vor allem im Geschäftsleben, zu gewärtigen. Eine politische Laufbahn ist ihnen völlig verbaut.

Die Initiative dieser 27 Piloten hat ein grosses Medienecho gefunden und wird nicht ohne Auswirkungen in Israel bleiben. Für das Wiederaufleben des Friedensprozesses sind solche Signale und Initiativen wichtig, und sie geben den Menschen Hoffnung. Um einen aussichtsreichen Friedensprozess in Gang zu bringen, müssen beide Seiten aufeinander zugehen und langsam ein Vertrauen aufbauen, was zu einem tragfähigen Frieden führen kann.

Quelle: Zeit-Fragen Nr.36 vom 29.9.2003

Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery schreibt dazu folgendes:

Im ganzen wurde das Statement von einem General, zwei Obersten, neun Oberstleutnanten, acht Majoren und sieben Flugkapitänen unterzeichnet.
So etwas hat sich nie zuvor in Israel ereignet. Wegen der besonderen Rolle der Luftstreitkräfte hat diese Verweigerung ein viel lauteres Echo gefunden als die Verweigerungsbewegung der Infanteriesoldaten, die etwa 500 Soldaten umfasst und sich dann bis heute so gehalten hat.
Das Armee-Establishment, die wirkliche Regierung Israels, spürt die Gefahr und reagierte, wie sie nie zuvor reagiert hat. Es begann mit einer wilden Kampagne der Diffamierung, der Hetze und des Rufmordes. Die Helden von gestern wurden über Nacht zu Volksfeinden. Alle Teile der Regierung - vom Ex-Präsidenten Eser Weitzman bis zum Staatsanwalt ( der schon ein Auge auf den Sitz im Obersten Gericht geworfen hat), vom Außenminister bis zu den Politikern der Labour- und Meretz-Partei - wurden aktiviert, um die Meuterei der Piloten zu brechen. Der Gegenangriff wurde von den Medien angeführt. Niemals zuvor haben diese ihr wahres Gesicht so deutlich gezeigt wie dieses Mal. Alle Fernseh-Kanäle, alle Radiostationen und alle Zeitungen - ohne Ausnahme! - offenbarten sich als Diener und Sprecher des Armeekommandos. Auch die liberale Ha'aretz widmete ihre Titelseite einem wilden Angriff auf die Piloten, ohne einem anderen Gesichtspunkt Raum zu geben. Es war unmöglich, eine Fernsehsendung anzuschalten, ohne dem Luftwaffenkommandeur zu begegnen und nach ihm einer langen Reihe von Persönlichkeiten des Establishments, die einer nach dem anderen die Piloten verurteilten. Armeelager wurden für die Fotografen geöffnet, loyale Offiziere verurteilten ihre Kameraden als "Verräter", die "ein Messer in ihren Rücken gestochen hätten". Außer einem einzigen Interview auf Kanal 2 wurde den Verweigerern nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Standpunkt zu vertreten und gegenüber ihren Verleumdern Rede und Antwort zu stehen.

Zweifellos ist das Establishment besorgt. Vielleicht gelingt es ihm dieses Mal noch, die Ausbreitung des Protestes zu verhindern und andere potentielle Meuterer abzuschrecken, indem sie Furcht, erzeugen, diffamieren und mit Strafen drohen. Die Botschaft der 27 aber kann nicht mehr ausradiert werden. Dieser Einsatz der Flieger hat dem Staat Israel mehr gedient als irgend einer der Hunderte von Einsätzen im Laufe ihres Militärdienstes. Eines Tages wird Israel erkennen, was es diesen tapferen 27 zu verdanken hat.