Stolperstein Ego: "Ganz zuerst komme ich!"

Wir begegnen ihm auf Schritt und Tritt. Und nicht selten bewirkt es, dass wir nur am Nehmen statt am Geben interessiert sind: das Ego. Dieses selbstsüchtige Ich als Fremdkörper in unserer Seele ist für den Menschen eine Herausforderung. Wer sie meistern will, braucht vor allem eines: Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Es lohnt sich!

Oft sind wir unser ärgster Feind, weil das Ego es nicht erlaubt, uns so zu sehen, wie wir wirklich sind.

„Ich habe über meinem Bett ’nen Spiegel angebracht / Damit mein eig’nes Spiegelbild mir meinen Schlaf bewacht / Und ich will niemanden wollen, nein, ich will, dass man mich will / Bis ich kriege, was ich brauche, halt’ ich niemals still / Die ganze Welt dreht sich um mich / Denn ich bin nur ein Egoist / Der Mensch, der mir am nächsten ist / Bin ich, ich bin ein Egoist“ sang der Österreicher Falco im Song, der am 1. Januar 1998 Premiere hatte. Fünf Wochen später, am 6. Februar, starb er knapp 41-jährig bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik. Seither gibt es genügend andere Hinweise darauf, dass die Welt in dieser Hinsicht wenig besser geworden ist: „My Life – My Rules“. „America First“. „Geiz ist geil“. – Wer kennt sie nicht, die Slogans und Versprechungen aus Werbung, Politik und Medienwelt? Sie stehen für Werte, die eine ganze Gesellschaft begleiten und oftmals auch prägen. Überlegenheitsgefühl, Exhibitionismus und Eitelkeit kennzeichnen das Lebensgefühl der sogenannten „Millennials“. Sie sind die erste Generation der sogenannten „Digital Natives“, die zwischen 1981 und 1998 geboren wurden und mit Handy & Co. groß wurden.

Moderne Technologien verändern nachweislich das Denken und Verhalten von Bevölkerungsgruppen. Dies sind die Kernergebnisse der EgoTech-Studie unter 1'024 Millennials, die im Januar 2017 in Deutschland durchgeführt wurde. Laut der Studie besteht ein klarer kausaler Zusammenhang zwischen dem Narzissmus-Level der Millennials und ihrer Nutzung von Selfies, Social Media und sogenannten On-Demand-Apps. Ihr Handy ist ihnen so wichtig, dass 48 Prozent lieber einen Monat kein Frühstück zu sich nehmen würden, als das Smartphone abzugeben. Fazit: Die Millennial-Generation dreht sich gerne um sich selbst und beansprucht für sich nur die besten Produkte und Dienstleistungen. Die Digitalisierung beeinflusst also nicht nur den Alltag und die Arbeitswelt, sondern unterstützt, ja fördert ebenso das Ego der Menschen.

Vom Ich zum Ego

Ego – drei Buchstaben, die es in sich haben. Kein Wunder, werden ihnen ganze Heerscharen von Büchern gewidmet. Dazu gehört zum Beispiel auch das Buch „Vom Ego zum Selbst“ des deutschen Psychotherapeuten Sylvester Walch (siehe Vom Ego zum Selbst), der sich auf verschiedenen Ebenen vertieft damit auseinandersetzt und Anleitungen zur Selbstreflexion mit auf den Weg gibt: „Das Ego ist ein Strukturelement der Persönlichkeit, das sich von intakten Ich-Funktionen abgesondert hat“, erklärt der Autor auf Anfrage und ergänzt: „Umgangssprachlich würden wir einem Menschen ein gesundes Ich dann zuschreiben, wenn er weiß, was er will, sich seine Meinung zu sagen traut und tatkräftig für seine Ziele eintritt.“ Auch Toleranz und Dialogfähigkeit gelten als Ausdruck eines eigenständigen Ichs.

Doch: Das starke Ich wird zum Ego, wenn es seine Ziele gegen die berechtigten Ansprüche anderer durchsetzt, die Grenzen nicht respektiert, stattdessen kontrolliert und manipuliert, um für sich selbst das Beste herauszuholen. „Es sind also vor allem jene Gedanken, Gefühle und Handlungen, die in Beziehungen eine unangenehme Atmosphäre hervorrufen und durch die wir anderen, aber auch uns selbst schaden“, gibt Sylvester Walch zu bedenken. Das Ego begnüge sich nicht nur mit guten Leistungen, sondern müsse besser sein als andere. Dafür brauche es Verlierer, denn ein Sieg wird umso wertvoller, je mehr Unterlegene auf der Strecke bleiben. Nicht selten werden – so der Psychotherapeut – die Gegner kontrolliert und manipuliert. Die Folgen davon sind soziale Kälte, mangelnde Mitmenschlichkeit und fragmentierte Beziehungswelten, in denen keine verlässlichen und langfristigen Bindungen entstehen können.

Von der Persönlichkeit zur Individualität

Egostrukturen haben auch mit der psychischen Entwicklung zu tun und können offenbar ihre Wurzeln schon sehr früh in der Kindheit haben. Wenn etwa grundlegende Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit, Wärme oder Liebe nicht befriedigt werden, gewaltsame Übergriffe stattfanden oder chronische Konflikte in der Familie ein andauerndes Stressklima erzeugten. „In der frühen Kindheit lernt man durch Differenzierung, sich als Person von anderen zu unterscheiden. Erst über die Fähigkeit zur Separation lerne ich mich als eigenständiges Individuum zu begreifen“, sagt der Buchautor. So können auch Talente und Fähigkeiten verwirklicht sowie Kompetenzen in die Welt gebracht werden. Das sind laut Sylvester Walch „bedeutsame Entwicklungsaufgaben“, die bewältigt werden müssen, um Identität zu gewinnen.

Je älter der Mensch wird, desto mehr sollte der Glanz der Ich-Persönlichkeit zugunsten des Ganzen in den Hintergrund treten. „In der Mitte des Lebens, wenn wir unsere Individualität und Persönlichkeit ausgelebt haben, kommt es zu einem wichtigen Drehpunkt der Entwicklung. Denn nun muss die individuelle Betonung des Ich bin, ich kann, ich habe allmählich abgebaut werden, um eine neue Qualität des Seins hervorzubringen“, sagt Walch. Nicht mehr der Persönlichkeitsentwurf stehe von nun an im Vordergrund, sondern der Weltentwurf, und dabei werde das Ganze wichtiger als das Persönliche. Gelingt dieser Schritt nicht, werden hingegen selbstsüchtige Bestätigungen immer wichtiger. Die einen brauchen im gesetzten Alter unbedingt noch ein Sportauto, ertragen den Erfolg der eigenen Kinder nicht oder nutzen ihre politische Macht, um das Ego zu stärken.

Doch was sind die Folgen, wenn wir uns zu stark an unserem Ego orientieren?