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Warum Washington mit China »Tibetanisches Roulette« spielt

In Wahrheit verhält es sich mit den Protesten in Tibet nicht immer so, wie es in den westlichen Medien dargestellt wird.

Von William Engdahl Washington hat sich offensichtlich für ein hochriskantes geopolitisches Spiel mit Peking entschieden, als man die Gewalt in Tibet genau zu dem Zeitpunkt anfachte, wo die Beziehungen beider Länder ohnehin heikel sind und die Olympischen Spiele in Peking vor der Tür stehen. Es ist Teil einer in den letzten Monaten eskalierenden Strategie der Bush-Regierung zur Destabilisierung Chinas. Dazu gehört auch der Versuch, im benachbarten Myanmar eine chinafeindliche »Safran-Revolution« in Gang zusetzen, US-geführte NATO-Truppen nach Darfur zu bringen, wo Chinas Ölgesellschaften gerade potenziell riesige Erdölreserven erschließen. Außerdem gehört dazu das Vorgehen auf dem gesamten rohstoffreichen afrikanischen Kontinent. Und schließlich ist man hartnäckig bemüht, Indien auf dem asiatischen Subkontinent zu einer neuen vorgeschobenen Basis für Operationen gegen China aufzubauen. Allerdings weist im Augenblick alles darauf hin, dass die indische Regierung keinesfalls darauf bedacht ist, die Beziehungen zu China zu gefährden. Das grüne Licht für die derzeitige Tibet-Operation wurde anscheinend im Oktober letzten Jahres gegeben, als George Bush sich in Washington zum ersten Mal öffentlich mit dem Dalai Lama traf. Der Präsident der Vereinigten Staaten ist sich durchaus bewusst, wie viel bei einem solchen Affront gegenüber China auf dem Spiel steht. Aber Bush verschärfte den Affront noch, als er an einer Sondersitzung des Kongresses teilnahm, bei der dem Dalai Lama die Goldmedaille des Kongresses verliehen wurde. George Bush, Außenministerin Condoleezza Rice, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärten sofort ihre Unterstützung für die orangerotgekleideten tibetanischen Mönche; die Erklärungen nahmen oft geradezu absurde Formen an. Merkel ließ erklären, aus Protest gegen die Behandlung der tibetischen Mönche durch China werde sie nicht an der Eröffnung der olympischen Sommerspiele im August in Peking teilnehmen. Ihr Pressesprecher unterließ indessen den Hinweis darauf, dass ihre Anwesenheit ursprünglich überhaupt nicht geplant gewesen war. Ihrer Erklärung schloss sich der amerikafreundliche polnische Premierminister Donald Tusk an, und dasselbe erklärte der proamerikanische tschechische Präsident Vaclav Klaus. Auch bei ihnen ist nicht klar, ob sie ursprünglich teilnehmen wollten, aber die Erklärung lieferte dramatische Schlagzeilen. Die jüngste Welle gewalttätiger Proteste und dokumentierter Angriffe tibetischer Mönche gegen in Tibet lebende Han-Chinesen begann am 10. März, als mehrere hundert Mönche nach Lhasa marschierten, um die Freilassung anderer Mönche zu fordern, die im Gefängnis saßen, angeblich weil sie die Verleihung der Goldmedaille an den Dalai Lama im Oktober letzten Jahres gefeiert hatten. Immer mehr Mönche schlossen sich ihnen bei einer Demonstration anlässlich des 49. Jahrestags des tibetischen Aufstandes gegen die chinesische Herrschaft an.

Das geopolitische Spiel
Die chinesische Regierung wies darauf hin, dass der plötzliche Ausbruch antichinesischer Gewalt in Tibet - eine neue Eskalation der Bewegung des im Exil lebenden Dalai Lama - verdächtigerweise zeitlich so abgepasst ist, dass damit im Vorfeld der Olympischen Spiele das Augenmerk auf die Lage der Menschenrechte in China gelenkt wird. In China gilt die Ausrichtung der Olympischen Spiele als eine deutliche Bestätigung dafür, dass ein neues, reiches China auf die weltpolitische Bühne getreten ist. Betrachtet man die Akteure im Hintergrund der tibetischen »Orangeroten Revolution«, dann ist offensichtlich, dass man in Washington in letzter Zeit Überstunden gemacht hat, um den vielen berüchtigten Farben-Revolutionen eine neue hinzuzufügen. Die öffentlichen Proteste sollen Peking maximal in Verlegenheit bringen. Die Akteure innerhalb und außerhalb Tibets sind die üblichen dem US-Außenministerium nahestehenden Verdächtigen, wie beispielsweise das National Endowment for Democracy (NED), das CIA-nahe Freedom House - vertreten durch die Vorsitzende Bette Bao Lord, die auch im Internationalen Tibet-Komitee eine Rolle spielt - sowie die Trace Foundation, die von George Soros' Tochter Andrea Soros Colombel finanziert wird. Chinas Premier Wen Jiabao wirft dem Dalai Lama vor, er inszeniere die jüngsten Unruhen, um die Olympischen Spiele zu sabotieren, »damit sein unsägliches Ziel erreicht wird«, nämlich die Unabhängigkeit Tibets. Bush telefonierte mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao, um Druck für Gespräche zwischen China und dem im Exil lebenden Dalai Lama zu machen. Das Weiße Haus erklärte, Bush habe »seine Bedenken über die Lage in Tibet zum Ausdruck gebracht und der chinesischen Regierung nahegelegt, in einen ernsthaften Dialog mit den Vertretern des Dalai Lama einzutreten sowie Journalisten und Diplomaten den Zugang zu gestatten«. Hu habe erwidert, der Dalai Lama müsse »seine Sabotage« der Olympischen Spiele »beenden«, bevor Peking Gespräche mit dem im Exil lebenden geistlichen Oberhaupt der Tibeter in Erwägung ziehen könne, so die Aussage des außenpolitischen Sprechers Qin Gang.

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