Die Gene sind kein Baukasten

Die Gentechnologie soll den Welthunger besiegen und unheilbare Krankheiten heilen. So lauten die Versprechungen der Industrie. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Die Genmanipulation kann uns niemals satt und gesund machen – vielmehr birgt sie riesige Gefahren.

Am 7. Juni 1998 hatten die Schweizer als bislang einziges Volk der Welt die Chance, selber zu entscheiden, ob ihr Land der ausufernden Gentechnologie Schranken setzen soll oder nicht. Zur Abstimmung stand die Genschutz-Initiative, die im Wesentlichen drei Verbote durchsetzen wollte:

  1. Keine gentechnischen Veränderungen an Tieren.
  2. Keine Freisetzung genetisch manipulierter Tiere, Pflanzen und Mikroben.
  3. Keine Patentierung von Pflanzen und Tieren.

Ein heißer Abstimmungskampf war zu erwarten, gehören die Schweizer Pharmakonzerne doch zu den mächtigsten der Welt, und ist es doch vor allem die Pharmaindustrie, welche die Gentechnologie weltweit puscht – unterstützt von den multinationalen Lebensmittel-Giganten, deren größter der Schweizer Nestlé-Konzern ist. Es war ein ungleicher Kampf. Während die Genschutz-Befürworter mit aller Not 1,5 Millionen Franken für die Abstimmungskampagne aufbringen konnten, feuerten die Gegner Breitseite um Breitseite ab und walzten die Argumente der Befürworter mit einer Flut von Plakaten und Inseraten nieder. 35 Millionen Franken steckte die Schweizer Industrie in diesen Abstimmungskampf – die mit Abstand teuerste Kampagne aller Zeiten!

Für die Pharmakonzerne stand auch viel auf dem Spiel: Alleine Hoffmann-LaRoche und Novartis (die Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz) investierten von 1990 bis 1995 über 20 Milliarden Franken in die Gentechnologie – allerdings nicht in der Schweiz, sondern in den USA. Außerdem drohten sie mit dem schon so oft erfolgreichen Mittel des Arbeitsplatz-Verlustes: Wenn die Initiative angenommen würde, orakelten die Chemieriesen, seien 42‘000 Arbeitsplätze in Gefahr – obwohl im betroffenen Bereich nur 1‘030 Forscher arbeiten.

Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel, die Gallionsfigur der Initiativgegner, jammerte öffentlich, die Annahme der Initiative wäre „eine Katastrophe für eine der besten Forschungsnationen der Welt".

Bewußt machten sich die Gegner die Ängste der Bevölkerung zunutze und fragten die Schweizer von den Plakatwänden herunter: „Können Sie verantworten, daß wir den Kampf gegen den Krebs aufgeben?" – Wer kann das schon, wenn er dabei in das leidende Plakatgesicht einer kahlen, kranken Frau schaut? Und da Frauen bei Abstimmungen tendenziell eher Ja stimmen, wurden die Schweizer Frauen mit Plakaten und Inseraten von leidenden Müttern und Kindern bombardiert, die angeblich nur mit Gentech-Medikamenten wieder gesund und glücklich werden können. Daß die Initiative die medizinische Forschung mittels Gentechnologie jedoch gar nicht verbieten lassen wollte, war da ein Detail, das man gerne verschwieg. Nicht zuletzt wegen dem angeblich drohenden medizinischen Rückschritt erteilten die Schweizer Stimmbürger der Genschutz-Initiative eine klare Abfuhr und glaubten in einer Zwei-Drittels-Mehrheit den Argumenten der Industrie.

Der deutsche Forschungsminister Rüttgers begrüßte das Nein der Schweiz und wertete es als Zeichen dafür, daß die Gentechnologie akzeptiert sei, wie sie auch in Deutschland auf breite Zustimmung stoße. Das war nicht immer so. Anfang der neunziger Jahre machten die deutschen Behörden der Gentechnologie strenge Auflagen. Wie kaum ein anderes Land wagten es die Deutschen, die Gentechnologie in ihre Schranken zu weisen. Doch die Industrie maßregelte die vorschnellen Politiker bald erfolgreich (die Forschung in Deutschland stagnierte denn auch), und heute sind die Behörden wieder devote Vasallen der Industrie-Giganten.

Die Flamme der Demokratie ist längst überstrahlt worden vom Scheinwerfer des technotronischen Zeitalters. Multinationale Konzerne regieren die Welt, und nicht länger demokratisch gewählte Regierungen. Allerdings haben wir Bürger diese Konzerne ebenfalls gewählt – indem wir ihre Produkte kauf(t)en.

Wie stark sich viele Politiker mehr den Wünschen der Industrie denn dem Willen des Volkes verpflichtet fühlen, demonstrierte der Anfang dieses Jahres neugewählte Schweizer Wirtschaftsminister Pascal Couchepin: Wenige Stunden nach der offiziellen Wahlniederlage der Genschutz-Initiative sagte Couchepin in einem Interview, er werde sich auf europäischer Ebene für die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren einsetzen. Dabei hatte die Schweizer Regierung während des Abstimmungskampfes immer wieder betont, daß sie solche Bestrebungen nicht unterstütze, weil es keinen Bedarf dafür gebe.

Der Wirtschaftsminister torpedierte auch den von Regierung und Industrie unterstützten Gegenvorschlag zur Initiative, die sogenannte Gen-Lex-Motion. Darin versprechen Behörden und Wirtschaft zwar gewisse Beschränkungen bezüglich der Gentechnologie, die jedoch viel industriefreundlicher sind, als es die Genschutz-Initiative war (die Frage der Patentierbarkeit ist ausgeklammert, es soll lediglich ‚die Würde der Kreatur‘ bewahrt werden –was immer man darunter verstehen mag). Der einzig wirklich positive Aspekt daran ist, daß die Haftungsfrist auf dreißig Jahre verlängert werden soll. In besagtem Interview erklärte der Wirtschaftsminister nun, eine solche Haftung erscheine ihm doch ziemlich außergewöhnlich und zudem müßten gewisse Risiken eben kollektiv getragen werden. Mit anderen Worten: Wenn die Gentechnologie eine schlimme Katastrophe verursacht, müssen nicht etwa die dafür verantwortlichen Firmen haften, sondern der kleine Mann –wir Steuerzahler.

Niemand weiß, was ein Gen ist

Nachdem die Genschutz-Initiative abgelehnt worden war, lobten wirtschaftsnahe Parteien den „weitsichtigen Souverän". Doch was weiß das Volk denn schon über die Gentechnologie? Und was wissen denn die Molekularbiologen selbst über die Auswirkungen ihres Tuns?

Daß die Gentechnologie Gefahren birgt, bestreiten nicht einmal ihre Befürworter. Rechtfertigt sich dieses Risiko dennoch, wenn man bedenkt, daß durch die Erkenntnisse der Gentechnologie vielleicht wertvolle Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten für menschliche Erbkrankheiten gewonnen werden können?

Niemals, betont der Molekularbiologe Dr. Stefan Lanka. Der Genetiker wirft seinen euphorischen Kollegen nicht nur wissenschaftliche Blindheit vor, sondern auch äußerst gefährliche Fahrlässigkeit und ein verantwortungsloses Streben nach Profit und Ruhm. In seinen Augen befindet sich die ganze Gentechnologie in einer Sackgasse, weil ihre grundlegenden Dogmen nicht stimmen.