Mutterreiche: Die vergessenen Herrscherinnen

Von Kamtschatka bis Peru, von den Irokesen bis zu den Kelten finden wir Kulturen, in denen die Frau regierte und richtete, erbte und focht. Nur in den letzten zweitausend Jahren galt das Weib als bedingungslose Untertanin des Mannes. In jeder Hochkultur indes durfte die Frau sich selbst sein: Frei, stark und weise.

Eine Muttergöittin, die in der Ausgrabungsstätte Catal Hüyuk gefunden wurde.

Eine der Muttergöttinnen, die man in der Ausgrabungsstätte von Catal Hüyük fand. Ihr Alter wird auf gegen 8’000 Jahre geschätzt. Catal Hüyük war eine matriarchal geführte Siedlung in der Türkei.

Was lernen wir Frauen? Daß wir das schwächere Geschlecht sind. Aus Adams Rippe entstanden und, kaum geboren, auch schon undankbar und ungehorsam. Gäbe es das Weib nicht, das auf die Schlange hereinfiel, die Männerkönnten noch immer im Paradies leben, wo ihnen die Trauben in den Mund fielen und sie den ganzen Tag nichts tun müßten.

Wir lernen, daß „der Mann des Weibes Haupt" ist. So spricht Paulus in der Bibel (Epheser5:23), und sagt auch, daß sie „für den Manngeschaffen" wurde.

Zweitausend Jahre christliche Geschichte haben es in unsere Erinnerungen tief eingeritzt, daß „jede Frau schon bei dem bloßen Gedanken, eine Frau zu sein, von Scham überwältigt sein sollte" (der Heilige Clemens im 2. Jahrhundert), und daß die „Frau dem Mann auf Grund des Naturgesetzes untergeordnet" ist – nämlich „aufgrund der Schwäche ihres Verstandes wie auch ihres Körpers" (Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert).

Auch das Zeitalter der Aufklärung änderte die Sicht der Männer nicht. So meinte der ‚große‘ Philosoph Schopenhauer: „Der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Tun, sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll. Die heftigsten Leiden, Freuden und Kraftäußerungen sind ihm nicht beschieden; sondern sein Leben soll stiller, unbedeutsamer und gelinder dahinfließen als das des Mannes, ohne wesentlich glücklicher oder unglücklicher zu sein."

Ehrwürdige, männliche Geschichtsforscher haben in den letzten Jahrhunderten dafür gesorgt, daß diese Sicht nicht ins Wanken kommt. Oder haben Sie in der Schule gelernt, daß in allen Teilen der Welt zu prähistorischer Zeit die Frauen herrschten? Daß sie Königinnen, Priesterinnen, Richterinnen, Kriegerinnen waren? Daß unsere Entdecker, Eroberer und Missionare noch in den letzten Jahrhunderten überall auf dem Erdball ungläubig, perplex, auf Matriarchate stießen, in denen die Frauen auf allen Gebietendes Lebens dieselbe Vormachtstellung hatten, wie es in der kürzeren Geschichte, bzw. der westlichen Welt die Männer haben? Eben!

Wenn der französische Missionar Père Lafiteau aus Ostkanada über die fünf großen Stämme des Irokesen-Bundes nach Hause schrieb: „In den Frauen ruht alle wirkliche Autorität des Landes. Die Felder und alle Erträge gehören ihnen, sie sind die Seele der Ratsversammlungen, die Herren über Krieg und Frieden, sie verwahren den Fiskus oder öffentlichen Schatz: Sie sind es, denen man die Gefangenen übergibt, sie begründen die Ehen, ihrer Herrschaft unterstehen die Kinder, und ihr Blut bestimmt die Erbfolgeordnung" – erstaunt es dann nicht, daß wir solches niemals in unseren Schulen hören? Denn die Irokesen waren keineswegs die einzigen Indianer, bei denen eine Art Matriarchat herrschte.

Die Pueblo-Indianer zeigten bekanntlich New York, wie man Wolkenkratzer baut. Lange bevor die ersten Einwanderer kamen und staunten, legten sie in den Canyons von New Mexico und Arizona terrassenförmig ihre zwanzig- und mehrstöckigen Flachdachhäuser an. Sie alle sind von Frauen erfunden und mit eigenen Händen von den Fundamenten auf erbaut, wie spanische Missionare staunend nach Hause berichteten –und „die schönen Kirchen und Klöster" erwähnten, die ihnen die Eingeborenen errichteten, „und zwar ganz allein die Frauen, Mädchen und kleinen Jungen, denn bei diesen Völkern ist es Sitte, daß Frauen die Häuser bauen. "

Südamerika – die Frau herrscht da und dort

Schauen wir weiter südlich, auf die so männlich wirkende Kultur Südamerikas. Da entsetzt sich der spanische Eroberer Herrera in Nicaragua, daß die Weiber allein allen Handel auf dem Markt treiben, während die Männer nur das Haus fegen dürfen: „Sie sind so unter der Herrschaft der Frauen, daß, wenn sie deren Zorn erregen, ihnen einfach die Tür gewiesen wird. Die verprügelten Männer gehen dann zu den Nachbarn und bitten diese, ein gutes Wort für sie einzulegen und ihre Wiederaufnahme zu vermitteln. Die Frauen benützen ihre Männer als Aufwartung und behandeln sie wie Domestiken." Im westlichen Peru sind die Frauen die einzigen, die ihre wilden, händelsüchtigen Männer bändigen können: „Die Frauen sind überaus mächtig. Sie versöhnen die kämpfenden Parteien und ordnen Frieden an, denn diese höchst barbarischen Menschen gewähren alles denen, die sie gesäugt haben"(N. del Techo). Unter den Guaranistämmen von Paraguay ist es „den Männern die größte Genugtuung, ihre alten Frauen glücklich zu sehen, sie folgen ihnen auch und tun alles, was sie ihnen sagen." Beim Tupi-Stamm im Amazonasgebiet zieht der Ehemann nicht nur ins Haus der Frau, sondern es existiert noch die Form der ‚Dienstehe‘, die in vielen Kulturen auf allen Kontinenten praktiziert wurde: Mehrere Bewerber müssen im Haus der Frau oder ihrer Eltern zwei bis drei Jahre gratis arbeiten; und wer am meisten leistete, wurde dann als Gatte genommen.

Ägypten: Dem Weib ganz hingegeben

Ähnliches treffen wir im großen, alten Ägypten an. Griechenland, das in klassischer Zeit schon ganz männerrechtlich war (zur älteren Zeit davor kommen wir noch!), bestaunte spöttisch die Ägypter – diese „Weiberknechte vom Nil". Herodot aus dem männerrechtlichen Rom berichtet von einer „verkehrten Welt", die er dort vorgefunden habe, und Sophokles entrüstet sich: „Dort hält das Volk der Männer sich zu Haus und schafft am Webstuhl, und die Weiber fort und fort besorgen draußen für das Leben den Bedarf." Wohl waren die ägyptischen Männer keineswegs von allen außerhäuslichen Berufen ausgeschlossen: Armee und Medizin waren überwiegend männliche Domänen. Doch Diodor berichtet auch vom traditionellen ägyptischen Ehevertrag, den ganze Generationen von Ägyptologen geflissentlich verschwiegen, wenn sie über das Reich am Nil berichteten. Zu deutlich offenbart er die Machtverteilung in jenem alten Volke: „Unter den Bürgern ist der Gatte nach dem Ehevertrag das Eigentum der Frau, und es wird zwischen ihnen festgesetzt, daß der Mann der Frau in allen Dingen gehorchen soll." Heute liegen einige hundert altägyptische Eheverträge aus verschiedenen Zeiten vor, die beweisen, daß das, was Diodor schrieb, eher noch untertrieben war.