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EU-Kommission ist mit Konzernen verfilzt

Verschärfung des neoliberalen Kurses ist zu befürchten. Durchsetzung der Bolkestein-Richtlinie steht an. Gespräch mit Klaus Schilder

Klaus Schilder ist Projektreferent für EU-Nord-Süd-Politik bei der Nichtregierungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) F: Am Donnerstag wurde die neue EU-Kommission unter Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso vom europäischen Parlament ins Amt gehoben. Worin unterscheidet sich die neue von der alten Kommission? Die Zusammensetzung der neuen Kommission läßt eine Verschärfung des neoliberalen Kurses befürchten, d.h. die bedingungslose Unterordnung der EU-Politik unter das Dogma des freien Wettbewerbs. F: Ein neoliberaler Club war die EU-Kommission schon immer. Worin besteht in Ihren Augen die qualitative Veränderung? ATTAC und WEED kritisieren vor allem die extreme Industriefreundlichkeit der neuen Kommission. Die politische Agenda der EU wird in den nächsten fünf Jahren noch mehr als bisher von den mächtigen Interessen der Industrieverbände und anderer Wirtschaftslobbyisten dominiert sein. Es gibt eine Reihe von Kommissionsmitgliedern, die aufs engste mit diesen Interessen verfilzt sind. F: An wen denken Sie konkret? Da wäre etwa der neue Handelskommissar Peter Mandelson aus Großbritannien, ein neoliberaler Hardliner und Freihandelsverfechter par excellence. 1998 wurde er unter Tony Blair Minister für Handel und Industrie, bis er durch eine Kreditaffäre zu Fall kam. Genauso erging es ihm als Minister für Nordirland. Als Minister untragbar, wurde er nun nach Brüssel "weggelobt". F: Gegen wen haben Sie noch Vorbehalte? Die neue Wettbewerbskommissarin, die Niederländerin Neelie Kroes, zeichnet sich durch Industrienähe aus. Sie hat in mehreren Aufsichtsräten gesessen, darunter der niederländischen Bahn, bei McDonald's, beim Rüstungsunternehmen Thales und bei Volvo. Eine von Konzerninteressen unabhängige europäische Wettbewerbspolitik ist von dieser Privatisierungsverfechterin nicht zu erwarten. Wenn man so will, wird mit ihr der Wolf zum Schäfer. F: Welche Rolle wird der deutsche Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) spielen? Verheugen wird als Koordinator von Binnenmarkt, Wettbewerb und Wirtschaft eine Art Mini-Superminister sein und dabei vor allem mit dem neuen Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy zusammenarbeiten. Er wird maßgeblich beteiligt sein an der Umsetzung der sogenannten Lissabon-Strategie, die einem Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme in Europa gleichkommt. Auch sollten seine jüngsten Äußerungen hellhörig machen, wonach die Interessen der Wirtschaft in Zukunft Vorrang vor Umweltbelangen haben werden. F: Worin wird das nächste große Projekt der EU-Kommission bestehen? Ganz oben auf der Agenda wird mit Sicherheit die EU-Binnenmarktrichtlinie des scheidenden Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein stehen. Der Entwurf sieht vor, den europäischen Binnenmarkt. für Dienstleistungen quasi komplett zu liberalisieren. Bolkesteins Nachfolger McCreevey will die Umsetzung zu seinem persönlichen Anliegen machen. Damit besteht die Gefahr, daß alle öffentlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Dienstleistungen in der EU privaten Verwertungsinteressen unterworfen werden. F: Die EU war von Beginn an als Europa der Konzerne konzipiert. Ist es da nicht naiv, von ihren politischen Führern eine konzernkritische Politik zu verlangen. Nur dann, wenn man mit dieser Forderung alleine stünde. Der öffentliche Widerstand nimmt aber ständig zu. Zahlreiche soziale Organisationen, Gewerkschaften und ATTAC fordern mehr Transparenz und Demokratie in der EU. Das betrifft vor allem die Kommission, die fernab öffentlicher und demokratischer Kontrolle agiert. Vor kurzem erst haben über 50 Organisationen, darunter ATTAC und WEED, in einem offenen Brief an Barroso den mächtigen und undurchsichtigen Industrielobbyismus in Brüssel angeprangert und darin einen verbindlichen Verhaltenskodex für die neuen Kommissare gefordert. Dieser soll sicherstellen, daß die Kommissionsmitglieder ihre privaten Finanzinteressen offenlegen, und zu einer Entflechtung von Industrielobbyismus und EU-Politik beitragen. Quelle: junge Welt vom 19.11.2004 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite