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Cannabis macht dumm

Die beliebte Droge verringert die Leistung des Gehirns und lässt den IQ sinken - Auslöser von Psychosen.

Von Heike Jänz Ein Lachkrampf schüttelt seinen Körper. Das Schokoladen-Eis ist auf den Boden geklatscht, und der braune Berg auf dem Asphalt sieht für ihn wie ein Hundehaufen aus. Urkomisch findet er den Hügel, der anderen gerade mal ein müdes Lächeln abringt. Doch im Gegensatz zu ihnen ist der Junge bekifft und amüsiert sich fabelhaft. Während sich Jugendliche mit Cannabis voll dröhnen, sorgen sich Eltern, Lehrer und Politiker über dessen schädliche Folgen. Denn Hasch macht Teenager nicht nur albern - das ginge ja noch. Vor allem aber verlangsamt es ihr Denken, lenkt sie ab und macht sie lethargisch. Medien bezeichnen den Stoff als Einstiegsdroge, und Meldungen über Psychosen nach zu viel Marihuana häufen sich. Aktuellen Umfragen zufolge hat jeder fünfte Bundesbürger schon einmal eine "Tüte" geraucht, jeder zehnte 16-Jährige sucht regelmäßig den Kick durch Cannabis - Tendenz steigend. Doch was ist dran an den düsteren Szenarien der ständig bekifften Jugend, die mit jedem Joint dümmer wird? Unbestritten ist die akute Wirkung: Das psychoaktive Tetrahydrocannabinol (THC) aus der Hanfpflanze beeinträchtigt Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Es macht zunächst euphorisch, dämpft dann die Stimmung. Die Wahrnehmung erweitert sich mitunter, was zu Panikattacken führen kann - wer "stoned" ist, verliert schneller die Selbstkontrolle. Die Langzeitwirkung indes ist weniger eindeutig: Wissenschaftler der Harvard-Universität fanden im Jahr 2001 heraus, dass Dauerkonsumenten etwa beim Sortieren von Karten auch nach drei Wochen Abstinenz noch schlechter abschnitten als nicht kiffende Probanden. Ob aber eine Schädigung des Gehirns Ursache für die dürftigen Testergebnisse ist, bleibt unklar. "Hasch bleibt lange im Körper, Abbauprodukte wie Carbonsäuren sind noch mehr als vier Wochen später nachweisbar und führen zu Konzentrationsstörungen", kommentiert Udo Schneider, Professor für Neurokognition an der Medizinischen Hochschule Hannover die Studie. Wissenschaftler wie Peter Fried von der Carlton-Universität in Ottawa beobachten Cannabis-Raucher mittlerweile in Langzeitstudien. Sie testeten die Intelligenz von 70 Personen zunächst im Alter von neun bis zwölf Jahren - also bevor die Probanden begannen zu kiffen. Bei der zweiten Prüfung waren die Teilnehmer 17 bis 20 Jahre alt. Der IQ derjenigen, die mehr als fünf Joints pro Woche rauchten, sank um 4,1 Punkte. Bei allen übrigen - Gelegenheits- und Nichtkiffern - stieg er dagegen an. "Da das Gehirn in der Jugend noch reift, macht es aus neurobiologischer Sicht einen Unterschied, ob ein Mensch mit 14 oder mit 24 beginnt, regelmäßig Hasch zu rauchen", erklärt Schneider. Untersuchungen an seiner Klinik haben ergeben, dass die Zahl der Rezeptoren für Cannabinoide im Gehirn mit steigendem Konsum zunimmt. Eine Analyse der Harvard Medical School aus dem Jahr 2003 stützt Schneiders Aussage: Die Forscher untersuchten das Erinnerungsvermögen von122 Marihuana-Rauchern; 67 von ihnen hatten schon vor dem 17. Lebensjahr begonnen zu kiffen. Die Frühstarter schnitten in den Tests schlechter ab als die Spätzünder. Ob THC aber bleibende Schäden hinterlässt und die feinen Unterschiede für den Alltag relevant sind, bleibt fraglich. Unbestritten ist unter Experten hingegen, dass die psychische Abhängigkeit umso größer ist, je früher ein Jugendlicher zum Joint greift. In Deutschland ist das Durchschnittsalter der Erstkonsumenten innerhalb von acht Jahren von 17 auf 16 Jahre gefallen. "Die gesundheitlichen Schäden durch Alkohol und Rauchen sind weitaus größer als die Folgen von Haschisch", meint Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. "Harmlos ist THC dennoch keinesfalls: Besonders soziale Probleme entstehen für Kiffer, weil sie häufig motivationslos sind." Neuseeländische Wissenschaftler von der Christchurch School of Medicine entdeckten in diesem Jahr: Starker Cannabis-Konsum erhöht deutlich das Risiko, Schule oder Universität ohne einen Abschluss zu verlassen. Auf eine bedrohliche Folge macht der Darmstädter Psychiater Martin Hambrecht vom evangelischen Krankenhaus Elisabethstift im Magazin "Psychiatrische Praxis" aufmerksam: "Fünf bis zehn Prozent schizophrener Psychosen werden durch Cannabis ausgelöst. Das Suizidrisiko ist um ein Vielfaches erhöht." Dazu Gaßmann: "Labile Menschen therapieren sich häufig selbst mit Hasch, weil sie dadurch vermeintlich ruhiger werden. Das bringt eine Krankheit mitunter erst zum Ausbruch." Verbote ändern seiner Meinung nach nichts am Konsumverhalten: "Wir brauchen mehr Aufklärung in den Schulen und Therapieprogramme vor allem für junge Menschen", fordert Gaßmann. Quelle: Die Welt, 14. September 2004 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite