Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Waffen für Srebrenica

Die geheimen Operationen der USA während des Bosnienkrieges werden in einem Buch von Cees Wiebes umfassend dargestellt.
Von Jürgen Elsässer
 
Heute wird man wieder Heulen und Zähneklappern aus dem Blätterwald hören: Vor neun Jahren, am 11. Juli 1995, fiel die muslimische Enklave Srebrenica in die Hände der bosnischen Serben, und routinemäßig erinnern alle Journalisten, die in irgendeiner Weise auf der Gehaltsliste der NATO oder anderer Nichtregierungsorganisationen stehen, zu diesem Anlaß an die Blutrünstigkeit von Radovan Karadzic und seines Völkchens. Für die Journalisten und Srebrenica gilt: Jeder schreibt von jedem ab, und keiner will es genauer wissen. Dabei wäre es mit dem Buch des Holländers Cees Wiebes recht einfach: Wiebes arbeitete im Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD) an der bisher umfassendsten Studie zu Srebrenica mit. Diese wurde nach sechs Jahren Recherche und nach der Befragung von über 900 Zeugen im April 2002 vorgelegt und umfaßt 3496 Seiten. Wiebes hat aus dem Teil, für den er zuständig war, ein Buch gemacht: Die Arbeit der Geheimdienste im bosnischen Bürgerkrieg. Der Autor hatte ungehinderten Zugang zu vielen Verschlußakten der westlichen Dienste und konnte unter Wahrung ihrer Anonymität etwa hundert Agenten befragen. Auch wichtige Entscheidungsträger wie Ex-CIA-Chef James Woolsey standen ihm Rede und Antwort. Der Londoner Guardian, der die Arbeit im Unterschied zu den ignoranten deutschen Medien gewürdigt hat, resümiert: "Da haben wir die ganze Geschichte der geheimen Allianz zwischen dem Pentagon und radikalen islamistischen Gruppen aus dem Mittleren Osten, die den bosnischen Muslimen beistehen sollten - einige davon sind dieselben Gruppen, die das Pentagon jetzt bekämpft." Die verdeckte Kooperation habe das Ziel gehabt, das UN-Waffenembargo, das für alle bosnischen Kriegsparteien galt, einseitig zugunsten der Muslime zu unterlaufen. Das Muster ist dasselbe wie beim Irangate der achtziger Jahre, als CIA-Seilschaften mit den Mullahs in Teheran kooperierten. Waffen, die vom Iran und von der Türkei mit finanzieller Hilfe aus Saudi-Arabien gekauft worden waren, trafen nachts auf dem Flughafen im ostbosnischen Tuzla ein. Anfänglich benutzte man Flugzeuge der Iran Air, aber als der Umfang zunahm, wurden sie unterstützt durch eine geheimnisvolle Flotte schwarzer Hercules-C-130-Transporter. Wiebes betont, daß die USA in den Lufttransport "sehr eng verwickelt" waren. Transitland war Kroatien, das als Provision "zwischen 20 und 50 Prozent" des Schmuggelgutes einbehielt. Darüber hinaus wurden Kroatien "große Mengen illegaler Waffen aus Deutschland, Belgien und Argentinien" geliefert. "Die deutschen Geheimdienste waren darüber voll im Bilde." Auf amerikanischer Seite soll nicht die CIA, sondern der Geheimdienst des Pentagon die Aktion koordiniert haben. Mit seiner Hilfe wurden die Vereinten Nationen, die bei der Überwachung des Embargos auf die US-amerikanische Luftaufklärung angewiesen waren, getäuscht. Besonders aggressiv ging der Pentagon-Geheimdienst bei der Aufrüstung der Muslime in Srebrenica vor. "Die Waffen, die im Frühling 1995 eingeflogen wurden, tauchten vierzehn Tage später in der belagerten und entmilitarisierten Enklave von Srebrenica auf. Als diese Lieferungen bemerkt wurden, übten US-Amerikaner auf die UN-Mission Druck aus, Berichte umzuschreiben. Ein norwegischer Blauhelmsoldat, der Augenzeuge des Waffenschmuggels geworden war, wurde auf die übliche Art zum Schweigen gebracht. "Er wurde von drei amerikanischen Offizieren zur Seite genommen. Sie brachten ihn auf den Balkon des fünften Stockes eines Hotels in Zagreb und machten ihm klar, daß die Sache ziemlich beschissen für ihn ausgehen könnte, wenn er bei seiner Aussage bliebe und weiter darüber spreche." Während Wiebes die Verwicklung ausländischer Mächte, insbesondere der USA, in die Kämpfe hervorhebt, lehnt er eine Schuldzuschreibung an den damaligen jugoslawischen Präsidenten ab: "Es gibt keine Hinweise auf eine politische oder militärische Verbindung (des bosnisch-serbischen Generalstabes) nach Belgrad." Damit ist die Haager Anklageschrift gegen Slobodan Milosevic an einem wichtigen Punkt praktisch widerlegt: der Vorwurf des Völkermordes bezüglich der Ereignisse in Bosnien. Statt dessen stellt sich die Frage nach der Verantwortung höchster US-Regierungskreise für den Waffenschmuggel nach Srebrenica. Bezeichnenderweise verweigerte ausgerechnet Richard Holbrooke, Sonderbeauftragter des US-Präsidenten für Bosnien, Wiebes ein Gespräch.
 
Cees Wiebes, Intelligence and the War in Bosnia 1992-1995, Lit Verlag, Münster - Hamburg - London 2003, 463 Seiten, 34,90 Euro
Quelle: Junge Welt vom 10.7.2004
Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite