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Wir haben es satt, belogen zu werden

Über die Hintergründe der amerikanischen Kriegstreiberei gegen den Irak.

von Robert FiskIndependent / Znet Ich denke, wir haben den Punkt erreicht, an dem wir es satt haben, belogen zu werden. Wir haben es satt, mit dem Hurrapatriotismus des II. Weltkrieges niedergeredet und mit Schauergeschichten, falschen Informationen und als "Geheimdienstberichte" titulierten Aufsätzen von Studenten bombardiert zu werden. Uns ist speiübel, von Kleingeistern wie Tony Blair, Jack Straw und Typen wie George Bush und seiner Clique neokonservativer Anhänger, die seit Jahren vorhaben, die Landkarte des Nahen Ostens zu ihrem Vorteil zu ändern, beleidigt zu werden. Dann ist es auch kein Wunder, dass Hans Blix' unbeschönigte Widerlegung des amerikanischen "Geheimdienstes" vor der UNO so viele Herzen erwärmt hat. Plötzlich konnten die Hans Blix' dieser Welt aufdecken, was für unzuverlässige "Alliierte" die Amerikaner geworden sind. Die Briten mögen Hussein nicht mehr als sie Nasser mochten. Aber Millionen Briten erinnern sich, anders als Tony Blair, an den II. Weltkrieg; sie lassen sich nicht mit kindischen Parabeln von Hitler, Churchill, Chamberlain und der Appeasement-Politik betrügen. Sie mögen es nicht, von Leuten, deren einzige Kriegserfahrung Hollywood oder das Fernsehen ist, belehrt und vollgejammert zu werden. Noch weniger wollen sie den Eintritt in endlose Kriege mit einem texanischen Gouverneur und Henker, der es schaffte, sich der Einberufung nach Vietnam zu entziehen, der mit seinen Kumpanen aus der Ölindustrie jetzt Amerikas Arme zur Zerstörung eines muslimischen Staates entsendet, der aber auch gar nichts mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 11. September zu tun hat. Jack Straw, der Absolvent einer Privatschule und übergelaufene Krieger, ignoriert all dies, ebenso Tony Blair. Er hämmert auf uns ein mit den Gefahren durch Nuklearwaffen, die der Irak gar nicht besitzt, mit den Folterungen und Aggressionen einer Diktatur, die Amerika und Großbritannien unterstützten, als Saddam "einer von uns" war. Aber er und Blair sind weder in der Lage über das dunkele politische Programm, das sich hinter George Bushs Regierung verbirgt, noch über die "bedrohlichen Männer" (so die Worte eines hohen UN-Beamten) im Dunstkreis des Präsidenten zu diskutieren. Wer gegen den Krieg ist, ist kein Feigling. Die Briten mögen lieber den Kampf: sie haben seit Generationen Araber, Afghanen, Muslime, Nazis, italienische Faschisten und japanische Imperialisten, einschließlich Iraker geschlagen, obwohl wir den Gebrauch von Gas durch die Luftwaffe gegen kurdische Rebellen in den 1930ern gern herunterspielen. Aber wenn die Briten aufgefordert werden, in den Krieg zu ziehen, reicht Patriotismus nicht aus. Die Briten und viele Amerikaner, die mit den Horrorgeschichten konfrontiert werden, sind viel tapferer als Blair und Bush. Sie mögen keine Geschichten, die Kinder erschrecken, so jedenfalls teilte Thomas More es Cromwell in ‚A Man for All Seasons' (‚Ein Mann für alle Jahreszeiten') mit. Vielleicht drückt die Verzweiflung Heinrich VIII in dem Theaterstück besser die Ansicht der Briten über Blair und Bush aus: "Halten Sie mich für einen Einfallspinsel?" Wie viele Europäer sind die Briten ein gebildetes Volk. Ironischerweise könnten sie sich durch ihre Opposition gegen diesen unanständigen Krieg mehr, und nicht weniger, als Europäer fühlen. Palästina hat viel mit dem Ganzen zu tun. Die Briten lieben die Araber nicht, aber sie riechen sehr schnell Ungerechtigkeiten und sind empört über den Kolonialkrieg, der benutzt wird, um die Palästinenser durch eine Nation, welche die amerikanische Politik im Nahen Osten betreibt, zu zermalmen. Uns wird mitgeteilt, die Invasion des Iraks habe nichts mit dem israelisch- palästinensischen Konflikt zu tun, einer brennenden, furchterregenden Wunde, der Bush gerade einmal 18 Wörter in seiner marktschreierischen Rede an die Nation widmete. Aber sogar Tony Blair kann dem seit seiner "Konferenz" für palästinensische Reformen, an der die Palästinenser nur über Videozuschaltung teilnehmen konnten, da Israels Premierminister Ariel Sharon, sich weigerte, sie nach London reisen zu lassen, nicht entkommen. Soviel zu Blairs Einfluss auf Washington. Außenminister Colin Powell "bedauerte", dass es ihm nicht gelang, Sharon zu einem Sinneswandel zu bewegen. Aber wenigstens muss man anerkennen, dass Sharon, der mutmaßliche Kriegsverbrecher, der verantwortlich war für die Massaker von Sabra und Shatila im Jahre 1982, Blair mit der Verachtung behandelt, die er verdient. Auch können die Amerikaner den Zusammenhang zwischen dem Irak und Israel und Palästina nicht verbergen. In seiner listigen Ansprache vor dem UN-Sicherheitsrat letzte Woche, stellte Powell einen Zusammenhang zwischen den dreien her, als er sich darüber beklagte, dass Hamas, deren Selbstmordattentate Israel grausam quälen, ein Büro in Bagdad unterhalte. Genauso wie er uns von den mysteriösen al-Qaida Männern berichtete, welche die Gewalt in Tschetschenien und der "Pankisi Schlucht" unterstützen. Auf diesem Weg gab Amerika Wladimir Putin freie Bahn für seine Vergewaltigungs- und Mordkampagne gegen die Tschetschenen, genauso wie Bushs seltsame Bemerkung vor der UN-Versammlung im September letzten Jahres über die Notwendigkeit des Schutzes der Turkmenen im Irak deutlich wird, wenn man bedenkt, dass die Turkmenen zwei Drittel der Bevölkerung von Kirkuk, einem der größten Ölfelder des Iraks, stellen. Die Männer, die Bush zum Krieg drängen, sind frühere und noch aktive pro- israelische Lobbyisten. Über Jahre hinweg haben sie die Zerstörung der größten arabischen Nation befürwortet. Richard Perle, einer der bedeutendsten Bush- Berater, Douglas Feith, Paul Wolfowitz, John Bolton und Donald Rumsfeld warben, lange bevor Bush zum US-Präsidenten gewählt worden war, für den Umsturz im Irak. Und sie taten das nicht zum Vorteil der Amerikaner und Briten. Ein Bericht aus dem Jahre 1996 mit dem Titel ‚A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm' (‚Ein absoluter Bruch: Eine neue Strategie, um die Region zu schützen'/ http://www.israeleconomy.org/strat1.htm) rief zum Krieg gegen den Irak auf. Dieser Bericht wurde nicht für die USA, sondern für den zukünftigen israelischen Premierminister Binyamin Netanyahu aus dem Likud-Block geschrieben und erstellt von einer Gruppe, der - ja natürlich - Richard Perle vorstand. Die Zerstörung des Iraks wird natürlich Israels Monopol an Nuklearwaffen schützen und es in die Lage versetzen, die Palästinenser zu besiegen und ihnen eine wie auch immer geartete koloniale Ordnung aufzwingen, welche Sharon bereits im Hinterkopf hat. Obwohl Bush und Blair es nicht wagen, dies mit uns zu diskutieren - ein Krieg für Israel wird nicht den Effekt haben, dass sich unsere Jungs in Massen bei den Rekrutierungsbüros anstellen - sprechen führende amerikanische Juden mit Begeisterung über die Vorteile eines Krieges gegen den Irak. Tatsächlich sind die sehr mutigen jüdischen Gruppen in Amerika, die diesen Wahnsinn ablehnen, die ersten gewesen, die betont haben, dass pro-israelische Organisationen den Irak nicht nur als neue Ölquelle, sondern auch als zukünftige Wasserquelle betrachten; warum sollten nicht auch Kanäle den Tigris mit dem ausgetrockneten Levante (östlicher Mittelmeerraum) verbinden? Es ist somit auch kein Wunder, dass jedwede Diskussion über dieses Thema zensiert wird, so wie es Professor Elliot Cohen von der John Hopkins Universität im Wall Street Journal einen Tag nach Powells UN-Rede versuchte. Cohen wies darauf hin, dass die Kriegsablehnung der europäischen Staaten wieder als " Typus eines Antisemitismus, der im Westen längst ausgestorben zu sein schien, ein Hass, der Juden bösartige Absichten unterstellt", beschrieben werden kann. Dieser Unsinn, so muss festgestellt werden, wird von vielen israelischen Intellektuellen abgelehnt, die wie Uri Avnery, behaupten, dass ein Irakkrieg Israel mit noch mehr arabischen Feinden zurücklassen würde, besonders wenn der Irak Israel angreifen und Sharon sich der amerikanischen Schlacht gegen die Araber anschließen würde. Der Makel des Antisemitismus liegt auch hinter Rumsfelds schnodderigen Bemerkungen über "das alte Europa". Er sprach über das "alte" Nazi-Deutschland und das "alte" Frankreich der Kollaboration. Aber das Frankreich und das Deutschland, dass diesen Krieg ablehnen, sind das "neue" Europa, der Kontinent, der sich weigert, jemals wieder die Unschuldigen abzuschlachten. Es sind Rumsfeld und Bush, die das "alte" Amerika repräsentieren, nicht das "neue" Amerika, das Amerika der Freiheit, das Amerika von F.D. Roosevelt. Rumsfeld und Bush symbolisieren das alte Amerika, das seine eingeborenen Indianer tötete und imperiale Abenteuer begann. Es ist das "alte" Amerika, das wir bekämpfen müssen, das mit einer neuen Art des Kolonialismus in Zusammenhang steht, das zuerst den Vereinten Nationen und danach der NATO mit Bedeutungslosigkeit droht. Aber es könnte vielleicht die letzte Chance für Amerika sein, von Freunden als auch Feinden ernst genommen zu werden. In den letzten Friedenstagen sollten sich die Briten nicht von einer so sehr herbeigesehnten zweiten UN-Resolution ein Bein stellen lassen. Eine Genehmigung der UNO für Amerikas Krieg, wird diesen nicht rechtmäßig machen; es beweist nur, dass der Sicherheitsrat durch Bestechungen, Drohungen und Stimmenthaltungen kontrolliert werden kann. Es war schließlich die sowjetische Stimmenthaltung, die es den Amerikanern erlaubte, den brutalen Koreakrieg unter der Flagge der UNO zu führen. Und wir sollten es nicht bezweifeln, dass nach einer schnellen militärischen Eroberung des Iraks durch die Amerikaner, vorausgesetzt, es sterben mehr von "ihnen" als von uns, viele Antikriegs-Demonstranten behaupten werden, sie seien immer für den Krieg gewesen. Die ersten Bilder vom "befreiten" Bagdad werden irakische Kinder zeigen, welche die Panzercrews mit V-Zeichen begrüßen. Aber die wahre Grausamkeit und der Zynismus dieses Konflikts werden augenscheinlich, sobald der "Krieg" endet, wenn unsere koloniale Besatzung einer islamischen Nation für die USA und Israel anfängt. Da liegt der Hase im Pfeffer. Bush nennt Sharon einen "Mann des Friedens". Aber Sharon befürchtet, er könne wegen Sabra und Shatila vor Gericht gestellt werden. Aus diesem Grund hat Israel gerade seinen Botschafter aus Belgien abgezogen. Ich möchte Saddam vor dem gleichen Gericht sehen. Und Rifaat Assad für das Massaker in der syrischen Stadt Hama im Jahre 1982. Gleichfalls die gesamten israelischen Folterknechte und die arabischen Diktaturen. Die israelischen und amerikanischen Ziele in der Region sind jetzt verschlungen, fast synonym. Bei diesem Krieg geht es um Öl und die Kontrolle der Region. Der Krieg wird bejubelt von einem Mann, der sich vor der Einberufung drückte und uns heimtückisch erzählt, dies sei ein Teil eines unendlichen Krieges gegen den "Terror". Und die Briten und die meisten Europäer glauben ihm nicht. Es ist nicht so, dass die Briten nicht für Amerika kämpfen würden. Sie wollen nur nicht für Bush und seine Freunde kämpfen. Und wenn das den Premierminister einschließt, sie wollen auch nicht für Blair kämpfen. Übersetzt von: Tony Kofoet