Böden: Das kostbarste treten wir mit Füssen

Mehr als die Hälfte unserer Ökosysteme stehen kurz vor dem Kollaps. Die Landwirtschaft von heute ist für diese Entwicklung mitverantwortlich – doch bei ihr liegt auch der Schlüssel zur Genesung unserer Erde.

Ein paar Wochen noch, und einmal mehr wird sich das Leben seinen Weg durch den jetzt noch kalten und schlafenden Boden bahnen. Wohin man blickt, wird es verheißungsvoll sprießen. Und bald werden wir uns umgeben sehen von einem Meer aus Grün und Gelb. Wer hätte gedacht, dass Wüsten so üppig blühen können?

Unsere Böden verschwinden imme mehr!

Schwindende Lebenskraft: Schon 1992 wies man am Erdgipfel von Rio de Janeiro darauf hin, dass die Böden weltweit bis zu drei Viertel ihrer Mineralien verloren hatten.

Wie bitte? Sie haben richtig gelesen. Die einst fruchtbaren Böden Europas und Nordamerikas gehören heute, betrachtet man ihre Zusammensetzung, bereits zu den Wüstenböden, so öd und leer sieht es in ihnen aus. Nur noch vier Kilogramm Kohlenstoff pro Qua-dratmeter sind im Durchschnitt organisch gebunden. Alle Böden, die weniger als fünf Kilo Kohlenstoff aufweisen, gelten nach internationalen Standards als Wüsten! Der organische Kohlenstoffanteil ist Gradmesser für die Lebenskraft und gibt Auskunft über die Qualität der kostbaren Erdkrume, die wir gern abfällig „Dreck“ nennen. Dabei ist der Humus die lebendige und atmende Haut von Mutter Erde – nur wenige Zentimeter dick und doch Nährboden für alle Lebewesen zu Land und in der Luft. Aus der Nähe besehen, besteht dieser Boden zur Hälfte aus Luft und Wasser – sofern er nicht durch zu schwere Landmaschinen so sehr verdichtet wurde, dass er faktisch tot ist. Das sind zum Beispiel jene Äcker, auf denen sich nach heftigen Regenfällen das Wasser staut.

Fruchtbare Erde hingegen ist krümelig und locker. Sie ist voller Bodenporen – das sind mit Luft, Wasserdampf und ein wenig Wasser gefüllte Hohlräume – welche die Heimat des gewaltigsten Volkes auf diesem Planeten sind: das Reich der Mikroorganismen, das über Werden und Vergehen allen Lebens entscheidet. Sein Gesamtgewicht ist fünfundzwanzig Mal größer als die Gesamtheit der tierischen Lebensformen auf dem Planeten. Und in nur einer halben Tasse fruchtbarer Erde gedeihen mehr Mikroorganismen, als Menschen auf der Erde leben.

Drei Viertel dieser Lebensformen wurden noch nicht einmal identifiziert. Trotzdem sind wir ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie machen aus Tod Leben, indem sie alle gestorbenen Organismen in die Bausteine des Lebens zerlegen und diese dann so bereitstellen, dass daraus neues Leben entstehen kann. Sie ernähren die Pflanzen und über die Nahrungskette letztendlich alle Tiere und uns Menschen. Eine einzige fortpflanzungsfähige Bakterie kann im Laufe eines Tages 300 Millionen Nachkommen bilden – und in zwei Tagen mehr, als es Menschen gibt.

2015 - International Year of the SoilsKein Wunder, forderte der römische Schriftsteller Columella in seinem Werk über die Landwirtschaft schon vor zweitausend Jahren, dass sich die besten Köpfe mit dem Boden zu beschäftigen hätten, solle das Römische Reich nicht untergehen. Heute steht das westliche Imperium vor dem Abgrund: der Kapitalismus mit seiner hemmungslosen Gier nach Profitmaximierung. Reißen wir das Steuer nicht bald herum, werden die Menschen erleben müssen, dass man Geld nicht essen kann. Der Ernst der Lage lässt sich daran ablesen, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) das Jahr 2015 zum Internationalen Jahr der Böden erklärt hat.

Fruchtbare Böden hatten einst die Landwirtschaft überhaupt erst ermöglicht. Hochkulturen wie das alte Ägypten oder das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris wären ohne Ackerbau niemals entstanden. Jahrtausendelang ernährte die Erde ihre Bewohner ausreichend, obwohl die Böden damals mit viel primitiveren und arbeitsintensiveren Werkzeugen bearbeitet wurden als heute.

Weshalb warnen Experten dann vor einer baldigen globalen Nahrungsmittelknappheit in noch nie da gewesenem Ausmaß? Aufgrund der – angeblich – drohenden Bevölkerungsexplosion? Dabei haben internationale Studien ergeben, dass die Erde noch viel mehr hungrige Mäuler stopfen könnte, als es heute gibt. Vorausgesetzt, wir geben dem Boden das zurück, was er benötigt. Zustände wie in Spanien müssen ein Ende haben: Diese endlosen Meere aus Plastikdächern, unter denen das am Nährstofftropf hängende Gemüse bodenlos heranreift; Golfplätze und Grünanlagen, die exzessiv bewässert werden, während es dem restlichen Land an Wasser fehlt. Wo es grün war, herrscht Dürre, von Flüssen sind nur trockene Flussbetten übrig geblieben. Erstmals droht den Spaniern nun eine Hungersnot, vermelden die Nachrichtenmedien. Die hat aber nichts mit einer Bevölkerungsexplosion zu tun. Was also läuft schief in unserer Landwirtschaft?

Kleine Jungs sind besser im Kaputtmachen als im Zusammenbauen. Erwachsene Wissenschaftler sezieren das Leben lieber, als es mit Zurückhaltung zu studieren. Kunstdünger ist ein ‚Abfallprodukt‘ der Rüstungsindustrie auf der Suche nach besseren Sprengstoffen. Dabei wird aus Stickstoff Ammoniak produziert, welches die Basis für chemischen Kunstdünger ist. Der besteht vorwiegend aus den für die Pflanzen sehr wichtigen Elementen Stickstoff (N), Phosphor (P) und Kalium (K), weshalb man ihn auch NPK-Dünger nennt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Nebenprodukt der Bombenentwicklung billig in der Herstellung geworden und damit für die Bauern erschwinglich. Kunstdünger schien das Wundermittel zu sein, das die landwirtschaftliche Produktion massiv steigern und damit zum wirtschaftlichen Aufschwung der am Boden liegenden Nationen beitragen konnte. Die ‚grüne Revolution‘ hatte begonnen, die Erträge schnellten in die Höhe. Zur Freude der agrochemischen Industrie, denn schon bald musste man den Äckern weitere Nährstoffe zuführen. Heute gelangen weltweit jedes Jahr rund 140 Millionen Tonnen Kunstdünger in den Boden. Schon 1912 hatte der französische Mediziner und Nobelpreisträger Alexis Carrel gewarnt, dass chemische Düngemittel den Boden über kurz oder lang vergiften würden.

Das Wasser stirbt

Die Herstellung von Kunstdünger verbraucht sehr viel Energie, vor allem aus fossilen Brennstoffen. So gelangen große Mengen an Kohlendioxid in die Luft. Ebenso Stickstoff, ein weiteres ‚Treibhausgas‘. Der Stickstoff aus synthetischen Düngemitteln bleibt auch nur teilweise im Boden; ein großer Teil davon gelangt als Nitrate ins Wasser und überdüngt Flüsse und Seen. Das hat fatale Auswirkungen bis ins Meer, wo sogenannte „Tot-Zonen“ an den Küsten entstehen: Das Überangebot an nitrathaltigen Nährstoffen lässt Algen und Plankton sich explosionsartig vermehren. Beim Absterben sinken sie auf den Meeresgrund, wo ihre Zersetzung dem Wasser Sauerstoff entzieht, was die übrigen Meerestiere ersticken lässt. Nun müssen auch sie mit noch mehr Sauerstoff abgebaut werden. Die Tot-Zone im Golf von Mexiko beispielsweise breitet sich bereits über 18‘000 Quadratkilometer aus. Das dafür verantwortliche Nitrat stammt hauptsächlich aus dem Mississippi, der durch die riesigen Mais-Monokulturen des amerikanischen Corn-Belts fließt. Dass tatsächlich Kunstdünger an solchen ökologischen Katastrophen schuld ist, zeigt das Beispiel vom Schwarzen Meer, wo sich einst die weltweit größte Tot-Zone befand. In den 1990er-Jahren verschwand sie plötzlich für ungefähr ein Jahrzehnt. Der Grund: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der Kunstdünger unerschwinglich teuer geworden.

Die industrialisierte Landwirtschaft vergiftet nicht nur die Gewässer, sie verbraucht auch immer mehr Wasser – weltweit siebzig Prozent aller Süß­­wasser­­­­­­­­reserven! Allein in China sind vier Fünftel aller Getreidepflanzen von künstlicher Bewässerung abhängig. Kostbares Nass, das nun anderswo fehlt. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt das Beispiel des Ogallala-Aquifers, welcher den gesamten Mittleren Westen der USA mit Grundwasser versorgt: Seit 1960 ist er auf die Hälfte ge­­schrumpft.

So ist nicht verwunderlich, dass ein führender NASA-Wissenschaftler Ende 2014 vor einer „globalen Grundwasserkrise“ warnte.1 „Die meisten der großen Grundwasservorkommen“ in den trockenen Gegenden der Welt erleben demnach „eine rasante Erschöpfung“, weil sie „schneller abgepumpt werden, als die Natur sie wieder ersetzen kann“. Gemeint sind vor allem die Agrarregionen der USA, im Norden Chinas und im Westen Indiens.

Quellenangaben

  • 1 Wasserforscher Jay Famiglietti im Fachjournal Nature vom 29. Oktober 2014.