Zukunftsverbrechen: Online ins Verderben?

Kaum eine Technologie trat einen solchen Siegeszug an wie das Internet. Doch die totale Vernetzung öffnet Verbrechen Tür und Tor, macht uns zu Sklaven der Technik – und letztlich womöglich selbst zu Robotern.

Der Wecker läutet zehn Minuten früher als sonst. Denn er ist nicht nur mit dem elektronischen Terminkalender verbunden, sondern auch mit dem aktuellen Verkehrsfunk. Und heute staut es schon besonders zeitig. Alle Lichter gehen automatisch an, das Bad wird aufgeheizt und die Kaffeemaschine beginnt, ihre Geräusche abzusondern. Aufstehen müssen Sie zwar noch selbst, aber sonst läuft fast alles automatisch: So müssen Sie die Kinder nicht mehr fragen, ob sie brav ihre Zähne geputzt haben, denn deren Zahnbürsten sind mit einem Chip versehen, der eine SMS an Ihr Smartphone schickt, sobald alles erledigt ist. Der Hund war bereits alleine Gassi, weil die „intelligente Tür“ ihn hinaus- und wieder hereingelassen hatte. Ohne Verzögerungen verlassen Sie das Haus, denn die Schlüsselsuche gehört längst der Vergangenheit an: Ein Fingerabdruck genügt, um die Türe zu öffnen, in die Garage zu gelangen und dort das Auto zu starten. Auf der Fahrt ins Büro können Sie noch schnell die Zeitung lesen oder sich auf Ihren ersten Termin vorbereiten. Das Auto fährt nämlich vollautomatisch – sozusagen mit „Autopilot“. Möglich wird’s, weil alles mit dem Internet verbunden ist.

Cyberkriminalität nimmt zu.

Globale Cyberkriminalität: Noch nie ist unser Alltagsleben so anfällig für Verbrechen gewesen wie heute.

Sie glauben, das wäre „Science fiction“ und finden das gar nicht schlecht? Dann ist es höchste Zeit, sich mit dem Thema der totalen Vernetzung zu beschäftigen. Denn das oben beschriebene Szenario soll nach dem Willen der Mächtigen bereits in absehbarer Zukunft Realität sein und würde enorme Gefahren mit sich bringen.

Wir stehen inmitten der größten Revolution seit der Einführung des elektrischen Stroms. Das Internet dehnt sich vom Computer über die Mobiltelefone auf Dinge aller Art aus. Doch je mehr wir auf diese Weise vernetzt sind, desto abhängiger und verwundbarer werden wir, mahnt der US-Amerikaner Marc Goodman. Er war Streifenpolizist, verdeckter Ermittler, arbeitete Anti-Terror-Strategien aus und übte seinen Beruf in 70 Ländern weltweit aus, unter anderem für die US-Regierung, die UNO, NATO und Interpol. In seinem jüngst erschienenen englischsprachigen Buch Future Crimes (zu Deutsch: „Künftige Verbrechen“) warnt er eindringlich vor den immensen Gefahren eines blinden, unkritischen Technikglaubens: Inzwischen sind nicht nur unsere Computer vom Internet abhängig, sondern auch Stromnetze, Gaspipelines und Handelsbörsen, die Luftverkehrsüberwachung, Rettung, Polizei und Feuerwehr, die Straßenbeleuchtung sowie die Versorgung mit Trinkwasser und die Entsorgung des Abwassers. Wir haben den Menschen als Zentrum unseres zivilisierten Lebenszyklus durch Maschinen ersetzt. Wie anfällig diese sind, zeigen jährlich Millionen Viren-, Trojaner- oder Würmerangriffe auf Computer. Antivirenprogramme sind dabei nicht immer eine Hilfe: 2012 starteten fachkundige Studenten und andere Experten mit Dutzenden neuer Viren einen Angriff auf Computer und stellten fest, dass nur fünf Prozent der Bedrohungen erkannt wurden. Abgesehen davon können alle Computer gehackt bzw. geknackt werden: Im Jahr 2008 drang ein 14-Jähriger über seinen Computer in die Zentrale der Stadtwerke von Lodz in Polen ein und stellte die Weichen der Straßenbahngeleise falsch – was mehr als ein Dutzend Verletzte zur Folge hatte und wie durch ein Wunder keine Toten forderte. Ein Jugendlicher knipste auf ähnliche Weise am Flughafen Worcester (USA) die Lichter am Rollfeld aus und 2011 schalteten russische Hacker in Texas eine Pumpe der Wasserwerke so lange ein und aus, bis diese ausfiel. Täglich gibt es mehrere Attacken auf Energieversorger in den USA und laut dem Wall Street Journal sind Internetspione ins Stromnetz eingedrungen und haben Softwareprogramme hinterlassen, die das Stromnetz zum Erliegen bringen könnten. 2003 war ein Softwarefehler mitschuldig, dass 55 Mio. Kanadier und US-Amerikaner bis zu zwei Tage lang keinen Strom hatten. Dass heute auch bei uns immer öfter von einem drohenden großflächigen Stromausfall gesprochen wird, hängt nicht zuletzt mit der großen Verwundbarkeit des Netzes zusammen. Nach Angaben des US-Geheimdienstes FBI hat China heimlich eine Armee von 180'000 Internet-Spionen und -Kriegern aufgestellt, die für 90'000 Computerattacken gegen das US-Verteidigungsministerium verantwortlich sein sollen.

Die globale Vernetzung wächst rasant: Waren im Jahr 2000 weltweit 360 Millionen Menschen online, so verdreifachte sich diese Zahl auf eine Milliarde bis 2005 und versechsfachte sich bis zum Jahr 2011 auf zwei Milliarden. Autos sind inzwischen Computer, in denen wir fahren, und Flugzeuge Computer, in denen wir fliegen. Manchmal verschwinden diese auch, wie mehrere mysteriöse Abstürze in den vergangenen Monaten und Jahren belegen. Wenn sich Kriminelle in einen Computer einloggen können, so ist dies auch bei einem Flugzeug möglich – theoretisch sogar mit einem Smartphone …

Moderne Autos haben schon jetzt 70 bis 100 Computer an Bord, die für Motor, Lenkungskontrolle, ABS, Klimaanlage, Unterhaltung, Scheibenwischer, Navigation, Airbags und vieles mehr verantwortlich sind. Diese Art der Elektronik macht bereits 50 Prozent des Anschaffungspreises aus, bei Hybridautos noch mehr. Durch das Satellitennavigationssystem GPS, das auch mit dem Autohersteller kommuniziert, sei der Fahrer eines modernen Autos ohnehin gläsern, erklärte der globale Vize-Verkaufschef von Ford Motors, Jim Farley: „[Wir kennen] jeden, der das Gesetz bricht, und wir wissen, wann Sie es tun.“ Dass dies die Wagen nicht unbedingt sicherer macht, zeigt die immer höher werdende Anzahl an Rückholaktionen von nicht ordnungsgemäß funktionierenden Fahrzeugen. Wegen eines Softwarefehlers bei Toyota, der die Bremsen versagen ließ, starben beispielsweise mehrere Menschen. Eine Untersuchung in London ergab, dass die Hälfte aller gestohlenen Autos bereits gehackt wurden. Tests mit Hackern zeigten außerdem: Bei modernen Autos ist es möglich, ferngesteuert die Geschwindigkeit zu verändern oder den Airbag auszulösen. Ein Schuft, wer hier an Selbstunfälle von unbequemen Personen erinnert wird, wie dies vor einigen Jahren beispielsweise dem österreichischen Politiker Jörg Haider wiederfuhr?

Facebook & Co.: Die totale Überwachung und das große Geld

Die Vernetzung über Facebook, Twitter, E-Mails und andere elektronische Kanäle schafft nicht nur mehr Kommunikation, sondern auch eine Totalüberwachung, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat. Das sollten Erwachsene ihren Kindern mitteilen, um sie vor unbedarften Aktionen zu warnen – wie jene des Briten Leigh Van Bryan. Der 26-Jährige schrieb auf der Internetplattform Twitter, dass er in die USA fahren werde, und verwendete dabei den Begriff „destroy America“. Er meinte mit „destroy“ nicht „zerstören“, sondern den gängigen jugendlichen Slangausdruck für „besoffen Partys feiern“. Am Flughafen in den USA erwartete ihn und seine Begleiterin die Polizei, die sie festnahm, für zwölf Stunden ins Gefängnis steckte und danach in den Flieger retour nach Großbritannien verfrachtete. „Zerstört“ waren lediglich Urlaub und Glaube an den Rechtsstaat.

Jede Äußerung auf Twitter oder Facebook, jede Suchanfrage auf Google, immer mehr Autofahrten mit dem Satellitennavigationssystem GPS und generell alle im Internet angegebenen Daten hinterlassen Spuren. Diese können nicht nur für Geheimdienste und Regierungen interessant sein, sondern bringen Firmen auch viel Geld. Datenhändler wie Acxiom, Epsilon, Experian oder Datalogix sind zusammen inzwischen über 150 Milliarden Dollar wert. Alleine das in Little Rock, Arkansas, beheimatete Unternehmen Acxiom sammelt, sortiert und analysiert mit gut 23'000 Servern mehr als 50 Billiarden Datentransaktionen pro Jahr. 96 Prozent aller US-Haushalte sind hier in Datenbanken erfasst, weltweit sind es Daten von 700 Millionen Konsumenten – also von jedem zehnten Erdenbürger. Jedes Profil umfasst mehr als 1'500 spezifische Merkmale wie Rasse, Geschlecht, Telefonnummer, Auto, Zahl der Kinder, Wohnfläche, letzte Käufe, Gesundheitsdaten oder Haustiere. 2013 verkaufte der Datenhändler Experian irrtümlich die Daten von wahrscheinlich Millionen Amerikanern an eine mafiöse Gruppe in Vietnam. Dass Hacker-Webseiten diese Daten zum Weiterverkauf anboten, darf als gegeben angenommen werden.