Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Afghanistan: Der Mohn blüht wieder

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes nimmt die Drogenproduktion in Afghanistan einen neuen Aufschwung.

Anfang Oktober 2001, vier Tage vor Beginn der US-amerikanisch-britischen Bomben- und Raketenangriffe auf Afghanistan, hatte Tony Blair mit moralischem Pathos einen zusätzlichen Kriegsgrund genannt: "Afghanistan ist der größte Drogenhort der Welt. Neunzig Prozent des Heroins, das auf britischen Straßen verkauft wird, stammen von dort. Die Waffen, die die Taliban heute kaufen, werden bezahlt mit dem Leben junger Briten, die sich Drogen kaufen. Das ist ein weiterer Teil ihres Regimes, das wir zerstören müssen", erklärte der britische Premier damals. Schön gesagt. Aber unwahr und scheinheilig wie alle anderen Vorwände für den Krieg. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten die Taliban es als erste afghanische Regierung geschafft, den Mohnanbau als Vorstufe der Heroin-Produktion fast vollständig zu unterbinden. Nach einer Rekordernte von 4.600 Tonnen 1999 und 3.500 Tonnen im Jahr 2000 wurden 2001 nur noch 80 Tonnen Rohopium produziert. Taliban-Propaganda oder fragwürdige Schätzungen? Nein: Der Mohnanbau wird mit Hilfe von Satelliten ständig überwacht, er lässt sich nicht verbergen. Alle internationalen Beobachter stimmten überein, dass das von den Taliban im Juli 2000 ausgesprochene Verbot ein voller Erfolg war. Genauso übereinstimmend warnten alle Experten, dass der amerikanisch-britische Afghanistan-Krieg das Land wieder zum Heroin-Produzenten Nummer eins machen würde. Das ist innerhalb eines Jahres eingetreten. Wieder stammen 90 Prozent des in Großbritannien konsumierten Heroins aus Afghanistan, ohne dass Tony Blair deswegen jetzt zum Sturz des Marionetten-Präsidenten Hamid Karsai aufruft oder die amerikanische Besatzungspolitik kritisiert, unter deren Schutz der Mohn wieder blüht wie zuvor. Die Rohopium-Produktion im ersten Jahr nach dem Krieg belief sich auf 3.300 Tonnen und wird im laufenden Jahr voraussichtlich noch etwas ansteigen. Wie vor dem Krieg ist Afghanistan erneut mit 75 Prozent der Weltproduktion einsame Spitze vor Birma und Laos. Für die US-Regierung besteht kein Handlungsbedarf: Das aus Afghanistan stammende Heroin wird in Westeuropa sowie zunehmend auch in den Ländern der neuen Transitroute - Russland und Osteuropa - vermarktet. Hingegen sind nur etwa fünf Prozent des in den USA konsumierten Heroins afghanischer Herkunft. Während die amerikanische Regierung die Zahl von derzeit 160.000 Besatzungssoldaten in Irak immer noch für zu niedrig hält, begnügt sie sich in Afghanistan mit insgesamt 16.500 Soldaten, von denen 8.500 Amerikaner sind. Bekämpfung der Drogenproduktion gehört erklärtermaßen nicht zu deren Aufgaben. Fraglich ist, ob die US-Regierung das Comeback Afghanistans als Drogenproduzent Nummer eins lediglich durch Nichtstun toleriert, oder ob Absicht dahintersteckt. The Islamic Emirate, eine von den Taliban herausgegebene Zeitschrift, hatte schon im April 2001 die amerikanische Absicht, Afghanistan mit Gewalt wieder für die Drogenproduktion zu öffnen, als einen wesentlichen Hintergrund der Kriegstreiberei gegen ihr Land ausgemacht. Der internationale Handel mit illegalen Drogen repräsentiert einen Jahreswert von schätzungsweise 400 Milliarden Dollar, die in die legalen Finanzströme transferiert werden. In dieser Größenordnung können nur noch der Waffenhandel und das Ölgeschäft mithalten. Daher hat eine Erschütterung des internationalen Drogenmarktes durch das Ausscheren des größten Produzenten - nach dem Anbau-Verbot der Taliban - weitreichende Folgen für die globalen Finanzmärkte und die Weltwirtschaft. Absicht oder Kollateralschaden - dank des Afghanistan-Krieges herrscht wieder business as usual. Quelle: Knut Mellenthin "Der Mohn blüht wieder" (Junge Welt vom 30. Mai 2003)