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ARD-Fernsehmagazin Panorama zum neuen Gewaltmedium

Prügelclips und Mordvideos Der Horror auf den Schüler-Handys
Handy Videos«Ohne Handy bist du heute nichts mehr! Für Jugendliche ist es Statussymbol, Hauptkommunikationselement. Fast jeder 12- bis 19jährige besitzt ein Mobiltelefon. Nur wird damit nicht in erster Linie telefoniert. Mit modernen Handys kann man Musik hören, Fotos schießen oder sogar kleine Videos drehen. Nett eigentlich. Wenn es nette Fotos oder Videos wären. Aber nett ist anscheinend nicht in. Viel spannender ist es, Prügelszenen zu filmen, Gewaltvideos auf das Handy zu laden und mit den anderen auszutauschen. Die Erwachsenen haben davon meist keine Ahnung. Anke Hunold, Maike Rudolph und Christian Rohde über die schreckliche Welt auf Schüler-Handys.»
 
Es ist der 29. November 2005. Grosse Pause in der Alfred-Teves-Schule in Gifhorn. 20 Minuten frische Luft, bis der Unterricht wieder beginnt. Was an diesem Tag passiert, wird den Alltag verändern. Es beginnt mit einer scheinbar harmlosen Prügelei von zwei Sechstklässlern. Kein Schüler greift ein.
Marcus Lüpke, Lehrer : «Drum herum standen eben, das fand ich sehr schockierend, sechs bis sieben Schüler, die mit Handys diese Szenerie gefilmt haben und auch lautstark die beiden Kontrahenten aufeinander losschickten: Los jetzt, weiter ran.»
Die Schlägerei wird zum Spektakel für die Kameras.
Schüler: «In dem Moment denkt man gar nicht nach, wenn man filmt und so. Man will einfach nur das Video haben und es anderen zeigen. Das ist dann eben so cool. Und dann ist auch gar keiner dazwischengegangen. Jeder hat noch weiter provoziert. So schlagt euch und so. Das ist dann eben so cool, wenn man das seinen Freunden zeigt. Das kommt dann besser an bei seinen Freunden. Und so gehört man auch dazu, wenn man brutale Sachen oder so hat.»
Sportlehrer Marcus Lüpke hat die Prügelei beendet. Die Handys, mit denen gefilmt wurde, sammelt er ein. Was der Lehrer findet, versteckt in Dateiordnern auf den Telefonen seiner Schüler, ist erschreckend brutal.
Schüler: «Da liegt so ein Typ zum Beispiel, und dem wird mit einem Messer einfach die Kehle durchgeschnitten, hier so einmal so. Das sind einfach Sachen, die sind echt passiert. Das ist auch nicht verschwommen. Man sieht alles, das ist richtig eklig.»
Schüler: «Da wird eine Waffe auf den Kopf gehalten und abgedrückt, und dann sieht man hinten an der Wand Blut, also der ganze Kopf ist zerfetzt.»
Schüler: «Ich habe mal ein Video gesehen, da wurde von einem Mann das Geschlechtsteil abgehackt, und das war wirklich sehr widerlich, zumal das ist auch wirklich passiert.» Die Schüler sagen: Gewaltvideos auf Handys sind schon lange üblich. Bisher hat es nur keiner gemerkt.
«Ich glaube, dass die meisten Eltern eher wenig Ahnung davon haben, dass sie vielleicht selber ein Handy haben zum Telefonieren oder so, oder mal erreichbar sind, wenn was passiert, aber die Kinder-Handys, ich glaube nicht, dass die das groß was angeht. Das ist denen eigentlich relativ egal.»
 
An der Schule in Gifhorn müssen Handys jetzt ausgeschaltet bleiben. Gewaltpornos und Mord sollen aus der Schule verbannt werden. Ein Versuch.
Wulf-Helmut Allmann, Direktor Alfred-Teves-Schule: «Für mich war das sehr, sehr schlimm - ist es heute immer noch. - Und wenn ich mir überlege, dass Kinder, Heranwachsende, 12- und 13jährige, so etwas sehen und das für sie zum Alltag gehört, dann können wir das so nicht akzeptieren. Dann wollen wir das so auch nicht weiter hinnehmen, wir wollen dann irgend etwas tun und reagieren.»
 
Kellertreff in der Bethlehemkirche, Hannover. Nur wer ein Handy hat, gehört dazu. Gewaltvideos haben hier eigentlich nichts zu suchen, sie sind unerwünscht. Viele Jugendliche haben sie trotzdem.
Jugendlicher : «In meinem Freundeskreis sind es ungefähr 90%, die Gewaltvideos auf dem Handy haben.»
Jörg Ratzmann, Sozialpädagoge: «Ich selber bekomme es kaum mit in meinem Jugendzentrum, wie schnell das geht, dass Jugendliche sich Kurzfilme hin- und herschicken, ohne dass ich erst mal über den Inhalt Bescheid weiss. Aber das ist heutzutage technisch so schnell möglich, so was zu tauschen. Und früher brauchte man das Internet noch dafür. Ein Verbindungskabel und heutzutage einen guten Laptop mit Bluetooth-Schnittstelle, ein Handy, und man hat es auf seinem Handy drauf, und die Verbreitung ist kaum noch zu stoppen.»
 
Bluetooth ist eine neue Schnittstelle, über die man Videos austauschen kann. Von Handy zu Handy, kostenlos und in Sekundenschnelle. Jeder kann an jeden schicken. Einzige Voraussetzung: die Bluetooth-Schnittstelle. Und die hat heute jedes dritte Schüler-Handy.
 
Jörg Ratzmann, Sozialpädagoge : «Erschreckenderweise werden gerade die Gewaltvideos auch getauscht, wie wir damals Panini-Fussballbilder getauscht haben. Die gehen rum, und wer gerade das coolste in der Woche dabei hat oder in dem Monat, der ist auch auf dem Schulhof angesagt.»
 
Angesagt sind solche Bilder: Einem Mann wird der Kopf abgeschnitten.
 
Jugendlicher : «Entweder sieht man Leute, denen die Arme rausgerissen werden oder der Hals durchgesägt mit einem Messer oder sonstige Sachen, wo einfach Leute zusammengeprügelt werden.» Panorama: «Und kriegt das ein Lehrer nicht mit?» Jugendlicher: «Nicht immer, manche ignorieren es auch einfach.»
 
Handys sind schwer zu kontrollieren. Über die Hälfte der Jugendlichen besitzt eines mit Kamera. Schüler telefonieren seltener, sie tauschen lieber Bilder. Nur wenige Erwachsene wissen das.
Jörg Ratzmann, Sozialpädagoge : «Das ist so einfach auch die Gefahr bei der Sache, es kann zwischen den Klassenräumen geschehen, es kann in der eigenen Klasse passieren, in den Pausen passiert es ständig. Nachmittags im Freizeitbereich, abends, da sind die Grenzen fließend. Da gibt es keine Zeit, wo man sagen kann, dann oder dann, es wird einfach immer getauscht, wenn man sich sieht.»
 
Manchen reicht das nicht. Sie produzieren selbst Videos.
Jugendlicher: «Wir drehen Videos, wo sechs Leute gegen einen kämpfen, und der eine verprügelt die, oder der eine wird krankenhausreif geschlagen.» Panorama: «Und das mit Handys?»
Jugendlicher: «Ja, und das mit Handys.» Panorama: «Und dann ist auch egal, wenn es wehtut?» Jugendlicher: «Ja, Hauptsache, wir werden berühmt.»
 
Die Realschule in Lamspringe bei Hildesheim. Auch hier wollen sechs Schüler «berühmt» werden. Ein halbes Jahr sollen sie einen Klassenkameraden immer wieder geschlagen und erniedrigt haben. Am Ende münden die Quälereien in Schläge und Tritte vor laufender Kamera. Ein Täter schneidet wie ein Profi einen Film: mit Vorspann, Musik und Untertiteln. Produziert, um zu demütigen. Jetzt ermitteln Polizei und Staatsanwalt. Das Video wollen wir nicht zeigen, um das Opfer zu schützen.
 
Uwe Herwig, Polizei-Hauptkommissar, Bad Salzdetfurth : «Also ein in der Form mit Musik, mit Untertiteln und Abspann bearbeitetes Video aus dem Schulbereich von so einer Straftat hatte ich bis zu dem Zeitpunkt auch noch nicht gesehen. Die Darstellung auf der CD in Lamspringe stellte zunächst in der ersten Szene ein Mädchen dar, das auf das Opfer einschlägt. Die zweite Szene findet an einem anderen Ort auf einem Flur in der Schule statt. Dort sitzt das Opfer auf einem Sofa, und der Täter sitzt neben ihm und schlägt ihm, für das Opfer völlig unerwartet, mit dem Ellenbogen mitten ins Gesicht. Die dritte Szene spielt im Klassenraum der Schule. Dort sitzt das Opfer an seinem Platz, und mehrere Täter gehen an ihm vorbei, schlagen auf ihn ein, drücken ihn herunter auf den Tisch, und der letzte Täter schlägt mit einem Stuhl auf ihn ein.»
 
Die Schule in Gifhorn hat ihre Probleme mit Gewaltvideos öffentlich gemacht. Vor allem wegen der erschreckenden Ahnungslosigkeit der meisten Erwachsenen. Lehrer und Eltern wissen fast nie etwas über die Gewaltvideos auf den Handys ihrer Kinder.
Marcus Lüpke, Lehrer: «Das schlimmste daran ist, dass viele Erwachsene dort keinen Zugriff mehr haben, dass die Kinder also, was die Medienwelt angeht und das Umgehen mit neuen Medien, die Erwachsenen schon bald überholt haben. Das ist ein krasses Phänomen, was ich sehr beängstigend finde.»
 
Unbemerkt hat sich eine Kultur der Gewalt entwickelt. Wahrscheinlich erst der Anfang, wenn niemand einschreitet.
Marcus Lüpke, Lehrer : «Im nächsten halben Jahr sind es dann nicht mehr die Fäuste, sondern es sind irgendwelche Handwaffen, die da mit verwendet werden. Messer, Schlagstöcke oder ähnliches. Weil die anderen Videos langweilig geworden sind.»
 
Quelle: ARD-Magazin Panorama vom 2.2.2006. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
 
Rrh. Deutsche Jugendliche filmen brutale Prügelszenen mit ihren Handys oder sehen Miniaturvideos mit grausamen Mordszenen auf ihren Mobiltelefonen an, zeigen sie ihren Kollegen und tauschen sie untereinander aus. Mitleid mit den Opfern kommt ihnen nicht in den Sinn. Verstört fragt man sich: Woher kommen diese «echten» Mordszenen auf den Schüler-Handys? Wer produziert sie? Wie ist es möglich, dass 12- bis 13jährige sich damit «amüsieren»? Warum? Wozu? Was macht das für einen Sinn?
 
Immer wieder «erklären» die Jugendlichen in der Panorama-Sendung ihr Motiv, nämlich dass sie damit bei den Kollegen gut ankommen: Wer das grausamste, blutrünstigste Video auf seinem Handy besitzt, ist der King! Aber reicht diese Erklärung aus? Wieso kommt man gerade damit an? Wieso ist grausames, gefühlloses Töten heute ein Wert, wo Kinder sich früher für Fußballer und Sportler begeistert hatten, deren Bilder sie auf dem Schulhof austauschten. Sind diese Jugendlichen heute anders? Einfach verroht, verwahrlost, gefühllos?
 
Die schriftliche Version der Panorama-Sendung lasen wir zufällig am selben Abend, als die neuen Bilder der Prügelfolterszenen aus dem irakischen Basra in den Fernsehnachrichten ausgestrahlt wurden. Sechs britische Soldaten prügelten einen irakischen Jugendlichen, der vor dem Gefängnis demonstriert hatte, schlugen mit Waffen auf ihn ein, traten ihn in die Hoden. Ein Soldat filmte die Szene und stieß dabei Begeisterungsschreie aus. Die Parallele traf uns wie ein Schlag: Nur in einer Gesellschaft, in der sich seit Jahren eine Kriegskultur, eine Kultur der Kälte, der Gefühllosigkeit, des Todes entwickelt hat, können Kinder mit solchen Scheußlichkeiten bei ihren Kameraden zur Geltung kommen, ist Gefühllosigkeit ein «Wert», der einem zu Ansehen verhilft.
 
In Gesellschaften, die auf den Krieg vorbereitet werden, sorgten interessierte Kreise schon immer für eine Umwertung der Werte: «Grausam und hart» wollte Hitler seine Jugend und nicht «durch zuviel Wissen verdorben». (vgl. «Mein Kampf»)
 
Dass Videospiele in den USA als gezielte Vorbereitung auf das Töten im Krieg eingesetzt werden, ist seit Jahren bekannt. Dass mit brutalen Spielen Rekruten geworben werden, die der US-Armee langsam ausgehen, auch. Denn diese grausamen Videospiele bewirken neben dem Trainingseffekt, zum Beispiel der Zielgenauigkeit beim Schiessen, die gefühlsmäßige Abstumpfung und die Lahmlegung ganzer Hirnregionen, in denen das vernunftmäßige Denken angesiedelt ist. Statt dessen stimulieren sie Ängste und andere Affekte.
 
Solcherart trainierte Jugendliche, gerade wenn sie auch sonst keine Perspektive haben, lassen sich gut für den Krieg gegen den Terror gebrauchen, der ja laut Bush noch Jahrzehnte dauern soll. Die grausamen Folterszenen in den unter amerikanischer Kontrolle stehenden Gefängnissen legen Zeugnis davon ab. Das Euthanasieren alter Menschen und das Verreckanlassen vieler Kinder und Jugendlicher im Drogensumpf gehören ins gleiche Kapitel unserer Kriegskultur.
 
Die Produzenten der grausamen Machwerke überbieten sich im «Echtheitsgrad» der Bilder und in immer neuer technischer Raffinesse. Auch schon vor Jahrzehnten sahen Jugendliche grausame Videofilme. Der 13jährige «Christian» aus Passau spielte die Hauptfigur Jason aus «Freitag, der dreizehnte» nach und verletzte seine Cousine und seine Nachbarin mit der Axt lebensgefährlich. Eine weitere Steigerung waren die Videospiele, wo man selbst aktiv durch Tastendruck foltern oder das Opfer befreien konnte. Dann kamen die Killerspiele, wo es ums möglichst zielgenaue und schnelle Abschießen von «Terroristen» ging. Viele School-Shootings in den USA und der Erfurter Schüler hatten diese zum Vorbild.
 
Heute muss man nicht mehr nach Hause gehen, eine Kassette in den Videorekorder schieben oder eine Spiel-CD in den Computer laden. Auf Schritt und Tritt, in der Klasse, auf Schulhöfen, dem Schulweg, in Bistros, Diskos, überall trägt man den blutrünstigen kriminellen Schmutz mit sich und kann ihn sich jederzeit zu Gemüte führen.
 
Immer wieder heißt es im Text mit einem vorwurfsvollen Unterton: Die Erwachsenen - Lehrer und Eltern - bekämen davon nichts mit. Als ob sie zu tumb oder zu rückständig seien. Stimmt das? Geht es nicht vielmehr um einen Betrug? Die meisten Eltern kaufen ihren Kindern Handys, damit sie im Notfall erreichbar sind. Die monströse Verwendung derselben kommt ihnen gar nicht in den Sinn, weil sie das Vorstellungsvermögen normaler Menschen übersteigt. Die technische Ausrüstung dieser Geräte ermöglicht das heimliche Aufnehmen, Tauschen, in Dateien Verstecken. Aber das Vorstellungsvermögen der Medienkonzerne, die damit Milliarden verdienen, reicht eben weiter, weil die Geldgier für Verantwortung, Gewissen, keinen Platz lässt. Dieselben Kreise stellen auch Videospiele für sechsmonatige Babys her. Gutgläubige Eltern kaufen solche Produkte mit Namen «Baby Einstein» oder «Brainy Baby», weil man ihnen weismacht, ihre Kinder würden dadurch intelligenter, obwohl es laut der Kaiser Family Foundation keinerlei theoretische oder empirische Grundlage dafür gibt, dass Kinder unter zwei Jahren von diesen Medien lernen. (Vgl. «Baby May Touch a Screen, but Is Baby Really Learning?» in: «The New York Times» vom 23. Januar als Beilage der «Süddeutschen Zeitung».)
 
Der Rektor der Alfred-Teves-Schule hat vorbildlich gehandelt. Er verbannte die Gewalt und die Handys aus seiner Schule. Jeder, der von solchem Treiben Kenntnis erlangt, sollte seinem Beispiel folgen. Eine Erlanger Mutter erreichte ein Verbot von LAN-Parties an allen bayrischen Schulen. Jeder kann an seinem Platz tätig werden. Die Jugendlichen werden uns dankbar sein. Wir müssen mit ihnen sprechen, sie aufklären über den Zusammenhang von gezielter Gefühlsabstumpfung und Kriegsvorbereitung. Dann werden sie sich abwenden. Jugendliche sind für Werte wie Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit ansprechbar. Neue Eskalationsstufe bei Gewaltdarstellungen

Snuff-Video auf Schüler-Handy

Ein zwölfjähriger Schüler in Liechtenstein zeigte seinen Schulkameraden auf seinem Handy ein Snuff-Video mit Gewaltdarstellungen und einer Hinrichtung. Snuff-Film (vom englischen to snuff out = jemanden auslöschen) bezeichnet die filmische Aufzeichnung eines Mordes zum Zweck der Unterhaltung des Zuschauers. Dabei bleibt für den Zuschauer offen, ob der Mord echt oder gestellt ist. Einem Lehrer war eine Gruppe von Schülern aufgefallen, als sie sich die Gewaltszenen anschauten. Die Polizei erklärt sich für nicht zuständig: Gewaltdarstellungen seien in Liechtenstein nicht strafbar, zudem sei der Schüler unmündig, so der Mediensprecher der Polizei. Es handle sich hier um ein «pädagogisches Problem», mit dem sich die zuständigen Institutionen befassen müssten. Dies ist kein Einzelfall. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden beschlagnahmte die Polizei im Dezember ein Hinrichtungsvideo von einem 17jährigen. Gewaltdarstellungen und abartige Pornographie hatten Jugendliche in Winterthur auf ihrem Handy.
 
Quellen: St. Galler Tagblatt vom 16.2.06 und wikipedia.org Zeit-Fragen Nr.9 vom 27.2.2006
 
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