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Aus Zeit-Fragen Nr. 24: Kinder und Jugendliche besser schützen

Oder: Wie «eingebettete» Journalisten gegen Gesetzesinitiativen zur Eindämmung von Bildschirmgewalt und Internetpornographie polemisieren

  von Dr. Rudi Hänsel, Pädagoge und Psychologe, Wallenwil

ComputerspieleIn Deutschland, der Schweiz und auf europäischer Ebene wurden in den letzten Monaten mehrere Gesetzesinitiativen gegen Brutalo- und Pornofilme auf den Weg gebracht mit dem Anliegen, Kinder und Jugendliche besser vor den gravierenden psychosozialen Folgen der Mediengewalt zu schützen. Doch die Produzenten der perversen Unterhaltungssoftware kämpfen mit Zähnen und Klauen gegen jegliche Einschränkungen ihres zig-Milliarden-Dollar-Geschäfts durch den Gesetzgeber. «Eingebettete» Journalisten sind dabei willfährige Gehilfen.

Alarmierende wissenschaftliche Erkenntnisse …

Unsere Kinder werden heute bereits in sehr jungen Jahren mit Porno-, Horror- und Gewaltdarstellungen konfrontiert, weil der Zugang zu den einschlägigen Filmen, Fernsehsendungen, interaktiven Video- und Computerspielen sowie Internetangeboten nahezu uneingeschränkt möglich ist und weil auf Grund neuerer Technik Filme wie Spiele als kurze Videosequenzen auf ihre Handys überspielt werden können. Medienwissenschafter, Kinderärzte, Psychiater und Schulpsychologen warnen seit langem, dass die psychosozialen Folgen dieser Mediengewalt verheerend sind.1 Nach Meinung internationaler Kriminalpsychologen leistet die Mediengewalt sogar «einen machtvollen Beitrag zur Entstehung von Kinder- und Jugenddelinquenz sowie Erwachsenenkriminalität» und «zur Entstehung eines Gewaltklimas in der Gesellschaft».2 Leider tragen auch wohlmeinende, aber unaufgeklärte Eltern ungewollt zu dieser Entwicklung bei: «Es klingt paradox, aber führt man aktuelle Studienergebnisse zusammen, sind es gerade die Eltern, die aus einer Art postpubertärer ‹Kinderfreundlichkeit› und Mittelschicht-Pseudopädagogik ihre Kinder verdummen, da sie sie wohlmeinend mit Kommunikationselektronik zustopfen.»3

… führten zu Gesetzesvorlagen …

Die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse haben Politiker in Deutschland, der Schweiz und auch auf europäischer Ebene endlich dazu bewogen, Gesetzesinitiativen zur Eindämmung und zum Verbot von Bildschirmgewalt und Internetpornographie in ihren Parlamenten einzubringen. Das Bundesland Bayern stellte vor einigen Monaten in der Deutschen Länderkammer einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Jugendschutzes mit der Forderung nach einem Verbot virtueller und realer Gewalt­spiele.4

Mit einer Änderung des Strafgesetzbuches und des Jugendschutzgesetzes und einem Herstellungs-, Verbreitungs- und Konsumverbot von offensichtlich schwer jugendgefährdenden Filmen und Spielen will man das Recht von Kindern und Jugendlichen auf eine positive körperliche, geistige und sittliche Entwicklung schützen und die Erzeugung oder Verstärkung einer die Menschenwürde in Frage stellenden Einstellung der Jugend vermeiden helfen.5

Ende Mai haben auch die deutschen Innenminister nachgezogen und die bayerische Gesetzesinitiative, die zunächst von vielen Journalisten und Politikern anderer Bundesländer als «vorschneller Schuss, der zu nichts führt» oder «ein Verbot, das das Problem nicht löst»6 zurückgewiesen wurde, erfreulicherweise aufgegriffen und mit der Forderung nach einer bundesweiten Verschärfung des Jugendschutzes und nach einem ausdrücklichen Herstellungs- und Verbreitungsverbot virtueller Killerspiele verbunden. Bereits ein halbes Jahr zuvor wurde für bayerische Schulen ein generelles Handynutzungsverbot erlassen, weil Eltern bereits auf den Handys von Grundschülern Videosequenzen vorfanden, die unter anderem tierpornographische Darstellungen sowie Hinrichtungen zeigten. Massgebend war in diesem Zusammenhang auch der Spruch einer Karlsruher Richterin, die urteilte, dass solche brutalen Gewalttätigkeiten und abnormen sexuellen Handlungen geeignet seien, «das seelische Gleichgewicht und sittliche Empfinden der Schüler und Schülerinnen massiv zu beeinträchtigen und Angstzustände hervorzurufen».7

Auch auf EU-Ebene beginnt man sich endlich der Thematik anzunehmen. EU-Justizkommissar Frattini spricht sich für eine stärkere Bewusstseinsbildung über die möglichen Folgen vor allem von Killerspielen aus und fordert für die gesamte EU grundlegende Standards und gemeinsame Kriterien für den Schutz Jugendlicher.8 Anfang Juni startete Frattini sodann in Berlin das erste «EU-Forum für die Rechte der Kinder» und gegen Kinderpornographie. « ‹Diese virtuelle Internetpornographie› », so warnte auf diesem Forum die deutsche Justizministerin, « ‹ist manchmal nur eine Vorstufe für einen tatsächlichen sexuellen Missbrauch.› […] Man müsse davon ausgehen, dass Kindesmissbrauch im Internet die Hemmschwelle absenke für Missbrauch in der wirklichen Welt.»9 Im Interesse unserer Kinder ist es zu wünschen, dass sich die wohlmeinenden Absichtserklärungen der Politiker auch in der anstehenden Novellierung der EU-Kinderrechtsstrategie und den EU-Fernsehrichtlinien niederschlagen.

In der Schweiz hat sich ebenfalls Anfang Juni das Parlament mit Vorstössen zur Bekämpfung von Porno- und Gewaltbildern befasst, die via Internet und Mobiltelefonie verbreitet werden. Auf Grund der Motion10 eines Zuger Ständerats befasste sich der Nationalrat mit dem Antrag, das Anbieten und Verbreiten von Pornographie auf Handys und den vorsätzlichen Konsum von harter Pornographie zu verbieten, um damit pädokriminelle Delikte zu bekämpfen. In Zukunft soll auch noch der Konsum von verbotenen Gewaltdarstellungen wegen seiner enthemmenden Wirkung unter Strafe gestellt werden.11

Polemik der «eingebetteten» Journalisten

Bis heute ist es den Lobbyisten der Film- und Spieleindustrie gelungen, die konkrete Umsetzung solcher Gesetzesinitiativen schluss­endlich zu verhindern, und dabei spielen gewisse Medienvertreter und Journalisten eine unrühmliche Rolle. Sobald nämlich eine dieser Gesetzesvorlagen eingereicht wird, melden sich sofort die journalistischen Abwiegler, Verharmloser und selbsternannten Fachleute zu Wort, um sie in Frage zu stellen, zweifelhaft erscheinen zu lassen. Die Initiatoren werden unsachlich angegriffen, gegen sie wird polemisiert.

So fehlt in keiner Berichterstattung über die Auswirkungen von Mediengewalt der Hinweis, dass es umstritten sei, ob Mediengewalt negative Wirkungen habe. Und in der Regel wird noch hinzugefügt, dass die Wissenschaft in der Frage der negativen Wirkungen der Mediengewalt keine einheitliche Antwort habe, es sogar einen Wissenschaftsstreit wegen dieser Frage gebe. «Mit diesem Trick versuchen Medienvertreter, Journalisten und manchmal sogar Wissenschafter selbst das Problem der verheerenden psychosozialen Folgen der Mediengewalt aus der Welt zu schaffen.»13 Auch Polemik gegen die betreffenden ­Politiker selbst fehlt in der Berichterstattung nicht. So wird der bayerische Innenminister, der den Begriff «Killerspiele» prägte und ein entschiedener Verfechter des Verbotsantrags ist, stets als konservativer Scharfmacher oder Fundamentalist diskreditiert. Durch das Etikett «Fundamentalist» soll beim Leser eine düstere gedankliche Assoziation mit sogenannten islamistischen Fundamentalisten hergestellt werden. Und wer will sich schon mit so einem Politiker und seinen Gesetzesvorhaben auseinandersetzen oder gar solidarisieren? Vielleicht hat dieses Beispiel aus Deutschland den Zuger Ständerat und «Kämpfer gegen Pornographie auf Mobiltelefone» (NZZ) dazu bewogen, sich gegen den Vorwurf, dass er mit seiner Verbotspolitik seine ansonsten liberale Haltung verraten würde, mit dem persönlichen Bekenntnis zur Wehr zu setzen: «Ich bin kein Fundamentalist, Puritanismus ist mir ein Gräuel.»14

Andere polemisierende Argumente gegen Gesetzesinitiativen zur Eindämmung von Bildschirmgewalt und Internetpornographie lauten: «Strafbestimmungen helfen nur begrenzt weiter» oder «bei nachweislich negativen Auswirkungen von Mediengewalt handelt es sich nur um Einzelfälle» oder auch «durch Eingriffe des Gesetzgebers wird Verhalten unbescholtener Bürger kriminalisiert».

Zu diesen gebetsmühlenartig wiederholten falschen Argumenten ist zu sagen, dass Gesetze stets gesellschaftliche Normen und damit Verhaltensorientierung darstellen und auch Kinder und Jugendliche sie als Grenzsetzungen verstehen, die nicht überschritten werden sollten. Auch dass Eltern, Lehrer und Erzieher wie Kinder und Jugendliche über diese Strafbestimmungen informiert werden müssen und wir Erwachsenen mit der Jugend über deren Medienkonsumverhalten und die Auswirkungen dieser Unterhaltungsgewalt ins Gespräch kommen müssen, ist eine Binsenweisheit. Dass es sich bei den negativen Auswirkungen der Mediengewalt um keine Einzelfälle handelt, zeigen uns nicht nur die vielen erschreckenden Amokläufe an Schulen in Deutschland und in den USA, sondern auch neuere wissenschaftliche Studien, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen Mediennutzung, mangelndem Schulerfolg, Jugendgewalt und einer Krise der Jungen herstellen.15 Der Kriminologe Christian Pfeiffer stellt fest: «Jeder dritte Junge drohe in die Falle von Fernsehen, Internet und Videospielen abzurutschen.»16 Über das letzte erwähnte Pseudoargument der «eingebetteten» Journalisten, dass durch Eingriffe des Gesetzgebers unbescholtene Bürger kriminalisiert werden, kann sich der Leser nur wundern. Für wie dumm hält man ihn eigentlich?

Eigenen begründeten Standpunkt erarbeiten

Medienvertreter und Journalisten versuchen also, mit Polemik Initiatoren vernünftiger und begrüssenswerter Gesetzesvorlagen zum besseren Schutz unserer Kinder und Jugendlichen aus dem Feld zu schlagen und damit im Dienste (auch im Sold?) der Film-, Fernseh- und Spieleindustrie solche Gesetzesinitiativen zu unterlaufen. Eltern, Lehrer und Erzieher sollen unsicher und verwirrt zurückgelassen werden, obwohl ihnen ihr gesunder Menschenverstand eigentlich sagt, dass diese neuen Medien nicht «gesund» sein können für Kinder. Als Eltern, Lehrer und Erzieher kommen wir nicht daran vorbei, uns einen eigenen qualifizierten Standpunkt in dieser Frage zu erarbeiten, so dass wir den Desinformationen und Spins in der medialen Berichterstattung unsere eigene begründete Meinung entgegensetzen können. Zudem muss die Umsetzung bereits bestehender Gesetze zur Eindämmung von Bildschirmgewalt und Internetpornographie mit Nachdruck eingefordert werden. Und mit unseren Kindern und Jugendlichen können wir – mit der nötigen Einfühlung – über diese ungesunde Form der Unterhaltung und Freizeitbeschäftigung und die Motive der Film- und Spieleindustrie gut sprechen. •

  1. Siehe u. a. Spitzer, M. (2005). Vorsicht Bildschirm! Stuttgart u. Hänsel, R. u. R. (2006). Da spiel ich nicht mit. Donauwörth.
  2. Schneider (2006). Geleitwort, in: Hänsel, R. u. R. Ebenda. S. 8.
  3. Kollmann. K. (2007). Eltern machen offenbar Kinder (unbeabsichtigt) dumm, in: www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25067/1.html.
  4. Gesetzesantrag des Freistaates Bayern v. 2.2.2007, in: Bundesrats-Drucksache, 76/07
  5. Ebenda
  6. «Beckstein prescht mit Killerspiel-Gesetzesplan vor», in: Spiegel online vom 5.12.06.
  7. Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.3.2006
  8. S. «Justizministerium untersucht EU-weite Sanktionen gegen ‹Killerspiele›», in: www.heise.de/news­ticker/meldung/print/85590
  9. «EU-Forum für ‹Rechte der Kinder› und gegen Kinderpornographie gestartet», in: www.heise.de/newsticker/meldung/print/90589
  10. Motion: schriftlicher Antrag in einem Parlament
  11. «Ständerat will Pornographie auf dem Handy verbieten», in: NZZ Online vom 5.6.2007 ¨
  12. «Zwischen geschmacklos und gefährlich – National- und Ständerat kämpfen mit dem Porno- und Brutaloverbot»
  13. Schneider, H. J. (2006). Geleitwort, in: Hänsel, R. u. R. Ebenda
  14. «Rolf Schweiger: Handy-Pornos verbieten», in: www.espace.ch/artikel_379369.html
  15. s. Mössle, Th. et. al. (2006). Mediennutzung, Schul­erfolg, Jugendgewalt und die Krise der Jungen, in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 3/06
  16. Spiegel online vom 27.4.2004