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BBC-Farce

Der Hutton-Bericht sprach die Blair-Regierung von aller Schuld bezüglich der Hysterie wegen angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak frei und schob den Schwarzen Peter der BBC zu. Ein Journalist schreibt, weshalb man dieses Urteil hinterfragen muss.

Von Gregory Palast Der Anrufer sagte nicht "Hallo", nannte nicht einmal seinen Namen. Seine Botschaft bestand nur aus einem einzigen Wort "Whitewash*". Es war ein Journalist in Not, der sich flüsternd aus den Gedärmen jener belagerten TV- und Radiostation meldete, die auf einem kleinen Eiland vor der Küste Irlands liegt: Die Rede ist von 'BBC London'. Ich erhielt noch einen weiteren Anruf - diesmal von einem 'Guardian'-Kollegen: "Die Zukunft des britischen Journalismus sieht wirklich düster aus", sagte er. Andererseits leuchtet die Zukunft der Fake- und Farce-Kriegspropaganda in hellen Farben. Heute brachte Lord Hutton seinen Bericht heraus. Der Bericht folgt auf jene Untersuchung, die ergeben hatte: Die Regierung Blair hat Geheimdienstinformation manipuliert, um behaupten zu können, Saddam Hussein ist im Besitz von massenmörderischen Waffen - Waffen, die eine imminente Bedrohung für London darstellen. Unter Berufung auf diese Behauptungen der Blair-Regierung hatten Schlagzeilen wie diese die Kriegshysterie geschürt: "Saddam könnte in einem Jahr Atombombe haben" kreischte die London Times. "Nur 45 Min. trennen die Briten vom Untergang", quiekte die Zeitung Sun. Angesichts dieser Fakten konnten doch nur noch Weichei-Pazifisten, Verrückte oder Saddam- Sympathisanten bezweifeln, dass Premier "Winston" Blair gar nichts anderes übrigblieb, als unsere ehemalige Mesopotamische Kolonie zurückzuerobern, oder? Aber die Schlagzeilen waren falsch - auf tödliche Weise falsch. Im Unterschied zu den amerikanischen Presse-Schoßhündchen glaubten die Reporter der BBC, es wäre ihre Pflicht, den Behauptungen - die über Leben und Tod entschieden - nachzugehen. Die beiden Reporter Andrew Gilligan und Susan Watts kontaktierten eine entscheidende Quelle: einen Top-Waffeninspekteur der Briten bzw. der UN. Dieser sagte gegenüber der Reporterin Susan Watts: die von Blair und unserem Präsidenten Bush aufgestellten Behauptungen bezüglich Massenvernichtungswaffen seien "nichts als Spin". Andrew Gilligan ging noch einen Schritt weiter. Er schrieb, der 'Spin' - diese "hochgesexte Version" von Geheimdienstinformation - sei Resultat mehrerer Interventionen von Blairs PR-Mann Alistair Campbell gewesen. Wie auch immer man die Aussagen der 'Quelle' wertet, jedenfalls zeigen sie deutlich, dass Geheimdienstexperten große Vorbehaltehegten, angesichts der angeblich starken Pro-Kriegs-Beweise. Wer war die Quelle? Dr. David Kelly. Um sich selbst zu retten - nachdem die Reportagen von Gilligan und Watts veröffentlicht waren -, startete die britische Regierung, inklusive Premierminister Blair, einen internen Kreuzzug. Sie gaben den Namen ihres eigenen Geheimdienstmannes preis, weil es ihnen so möglich war, die Pressemeldungen zu diskreditieren. Den Namen eines Geheimdienstberaters bekanntzumachen ist eine ernste Sache. In den USA beispielsweise hat man einen polizeilichen Sonderermittler eingesetzt, der das Weiße Haus nach jener Person durchforsten soll, die einen CIA-Agenten öffentlich outete. Falls ermittelt, könnte diese Person - aus den Reihen Bushs - im Gefängnis landen. Nein, die Regierung Blair war nicht so grausam, Dr. Kellys Namen an die Öffentlichkeit zu geben. Sie kaschierte das Ganze, indem sie 'Hinweise' gab - anschließend durften die Reporter '20 Fragen' spielen. Falls sie es schafften, Kellys Namen richtig zu erraten, würde die Regierung ihn bestätigen. Nach wenigen Anläufen hatten es die meisten Reporter geschafft - außer den allerdümmsten (ich will hier keine Namen nennen). Dr. Kelly - für den Ritterstand vorgeschlagen -, wurde namentlich genannt und abgekanzelt; dieses Outing bedeutete das Ende seiner Karriere. Kelly beging Selbstmord. Aber heute ist in Downing Street 10 kein Tag der Trauer - sondern ein Tag, an dem man sich selbst auf die Schulter klopft. Die Massenvernichtungswaffen haben nicht existiert, ebensowenig wie die angeblich fast fertigen atomaren Gefechtsköpfe und die '45-Minuten-bis-zum-Untergang'-Bomben für einen neuen "Blitzkrieg" auf London. Die Exilantengruppe, die mit dieser unerhörten Behauptung ankam, bezeichnet die 45-Minuten-Story heute als "Topf voller Scheiße". Dennoch - Blairs Büttel sehen sich gerechtfertigt. Hier geht es nicht um eine Story, die irgendwo "drüben" im Vereinigten Königreich passiert ist. Wir dürfen nicht vergessen: David Kelly war nicht nur Berater der Briten sondern auch der UN - und somit indirekt auch George W. Bushs Experte. Und was tat unser Oberster Kriegsherr (Bush), da sich die eigene CIA zurückhielt? Er hat sich auf die Boogeyman-Stories der Blair-Regierung gestürzt - über Massenvernichtungswaffen - und übernahm sie. Melord Hutton hat den Boten getötet: die BBC. Aber hätte der Reporter Gilligan nicht etwas vorsichtiger sein können? Eine gewisse Kritik scheint angebracht. Die enorme Bedeutung der Story von Watts und Gilligan gerät (darüber) jedoch in Vergessenheit: dass unsere beiden Regierungen Informationen manipuliert haben und anschließend die Frager zur Strecke gebracht. Im Moment erleben wir die zweite Invasion dieses Irak-Kriegs: Eroberung der BBC, der British Broadcasting Corporation. Bis heute hat sich dieses Quasi- Staatsmedium ja standhaft geweigert, für irgendeinen Premier - ganz gleich, ob Tory oder Labour - die Izwestija zu spielen. Aber am heutigen Tag gerät die Unabhängigkeit eines der unabhängigsten großen Networks der Welt unter Beschuss. Die Regierung Blair steht "gereinigt" da und präsentiert arrogant den Kopf ihres Opfers, Gavyn Davis**, Chef der BBC. Er ist heute zurückgetreten. "Die düstere Zukunft des britischen Journalismus" - ist ein schwarzes Omen für alle Journalisten. Die letzte große 'offene Plattform' für harten, investigativen Journalismus ist bedroht. Wenn ich ehrlich bin, ist das auch für mich persönlich ein Tag großer Sorge. Ich bin kein unbeteiligter Zuschauer. Meine wichtigsten investigativen Arbeiten - in den USA samt und sonders nicht gesendet - hat BBC Newsnight produziert und ausgestrahlt. BBC Newsnight ist übrigens das Programm, für das Susan Watts arbeitet. Fällt bald der eiserne Nachrichten-Vorhang? Heute Morgen, kurz vor Dämmerung, las ich Churchills Worte an das Französische Oberkommando - wenige Stunden, bevor (deutsche) Panzer die Pariser Verteidigungslinien durchbrachen. Churchill ermahnt die aufgabewilligen Franzosen***: "Was immer Sie tun mögen, wir werden weiterkämpfen, auf ewig, ewig, ewig". Vielleicht ist das hier die Glanzstunde des britischen Journalismus. Greg Palast ist Autor des New York Times Bestsellers: 'The Best Democracy Money Can Buy'. Auf Deutsch von Palast erschienen: 'Shame on you - Die Wahrheit über Macht und Korruption in westlichen Demokratien'. Anmerkung der Übersetzerin: *Reinwaschung ** Davies war der Aufsichtsratschef der BBC; einen Tag später trat auch BBC- Chef Greg Dyke zurück ***Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris am 14. Juni 1940. General Weygand, Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte, hatte die Stadt kampflos aufgegeben. Die franz. Regierung war schon Tage zuvor geflohen. Quelle: ZNet 31.01.2004 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite