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Computerspiele - Machtspiele und Mordlust im Kinderzimmer

Eltern und Lehrer sind zunehmend beunruhigt über die Art und Weise, in der ihre Kinder und Jugendlichen elektronische Medien konsumieren. Die Zeitdauer vor dem Bildschirm wird immer länger, die Inhalte immer fragwürdiger, ganz abgesehen von der absorbierenden Beschäftigung mit zu Minicomputern und Filmabspielgeräten aufgemotzten Handys, die die Eltern befremdet beobachten. So auch an zwei Informationsveranstaltungen in Mittelfranken: an einem Schulzentrum in Erlangen und einem Gymnasium in Höchstadt, zu denen jeweils an die 100 Teilnehmer gekommen waren.

Was sind eigentlich die Inhalte der meist von Jungen benutzten Computerspiele; was fesselt die Spielenden daran, wie werden die Auswirkungen aus der Sicht der wissenschaftlichen Forschung beurteilt und wie können Erzieher auf Jugendliche einwirken, um den Schaden zu begrenzen?

Was zieht die jungen Menschen in den Bann?

Unendlich wertvoll ist es, wenn ein Jugendlicher, der selbst einmal exzessiv gespielt hat, es sich zur Aufgabe macht, anderen Jugendlichen solches sinnloses Töten und wildes Herumballern zu ersparen und mit dieser Intention seine Erfahrungen weitergibt. So zeigte ein 20jähriger Medizinstudent anhand von Spielausschnitten, worum es eigentlich bei diesen Spielen geht und analysiert den verblüffend einfachen aber verführerischen Mechanismus, der junge Menschen in den Bann zieht: Der Spieler bewegt sich als Vertreter einer guten Macht in dunklen Welten, hinter jeder Ecke lauert eine Gefahr, er schießt sich frei in einer Art Selbstjustiz. Man erzielt Erfolge durch schnelles Schiessen und Töten und gewinnt so Macht über andere, zum Beispiel bei Counterstrike, das als Gruppenspiel zusätzlich die Konkurrenzgefühle anfacht. Wer im wirklichen Leben Unsicherheit, Einsamkeit und Unzulänglichkeitsgefühle im Vergleich mit anderen erlebt, kann sich hier als «King» fühlen, wenn er am Ende des Spiels die meisten Treffer – am besten als Kopfschuss, denn das zählt mehr –, erzielt hat. Natürlich mache stundenlanges Spielen aggressiv, und gefühlsmäßig sind dann Realität und Virtualität nicht mehr klar zu trennen, erklärt der junge Mann. Auf die Frage von Eltern nach weniger gewalthaltigen Spielen weist er darauf hin, dass es sich in den allermeisten Fällen um Machtspiele handelt, auch wenn die Gewalt oft subtil und nicht sofort erkennbar ist.

Zusammenhang zur "Kriegskultur"

Auch der Zusammenhang zur «­Kriegskultur» unserer Zeit ist an diesem Nachmittag und Abend ein Schwerpunkt. Es ist längst bekannt und mehrfach publiziert, dass die US-Armee aus Mangel an Rekruten mit solchen Internetspielen um Nachwuchs wirbt. Nach einer spannenden Jagd nach Terroristen im Nahen Osten gelangt man über einen Link direkt zur Rekrutierungsseite der American Army. Wie US-Marines, die bei dem Überfall der US-Armee auf den Irak dabei waren, den Zusammenhang ihrer Tötungsbereitschaft zu den Computerspielen sehen, schilderte ein Irak-Veteran im Gespräch mit einer Psychologin: Durch die Egoshooterspiele wird die Tötungshemmung abtrainiert, ein Prozess der Entmenschlichung findet statt. Der junge Veteran berichtete, dass diese Killerspiele das Empfinden der jungen Männer derart verändert haben, dass sie gute Gefühle, Erfolgsgefühle empfanden, wenn sie ein Ziel trafen, das heißt einen Menschen töteten. Einige erleben sogar eine Art Rauschzustand: «They are addicted to kill.» [Sie sind süchtig zu töten.] Diese zutiefst pervertierte Gefühlsreaktion ist möglich, weil sie schon in ihrer Kindheit und Jugend erlebt haben, dass sie Macht ausüben wollen und können, wie sie dies mit Hilfe von Tötungsspielen am Computer einübten.

Solche Gewaltspiele sind nur einer der vielen Bestandteile unserer heutigen Mediengewaltkultur, die sich immer mehr ausbreitet und auf unsere Jugend zugreift. Internet­foren, in denen die Magersucht kultiviert wird, Todessehnsüchte, Selbstverletzung in Form von Ritzungsritualen propagiert werden und Selbstmordmethoden besprochen werden, üben ihren zerstörerischen Einfluss aus, indem sie die Jugendlichen vereinnahmen und von nützlichem Tun in der zwischenmenschlichen Beziehung wegführen.

Was ist zu tun?

Was können Eltern und Lehrer und alle, die diesem Treiben nicht untätig zusehen wollen, tun? Mit Hilfe der drei A empfehlen eine Lehrerin, eine Diplompädagogin und eine Jugendpsychiaterin an dieser Veranstaltung einen in der Praxis gangbaren Weg: Die drei A stehen für Abschalten, Aufklären und Aufbau von Mitgefühl durch alternatives Tun. Alle drei Strategien gehören zusammen, eine funktioniert nicht ohne die andere. Was ist damit gemeint?

Abschalten: Durch 16 informierende Unterrichtslektionen konnten Lehrer einer kalifornischen Grundschule ihre Dritt- und Viertklässler gewinnen, freiwillig für 4 Wochen ganz auf den Konsum elektronischer Medien zu verzichten und danach ihren Konsum auf eine halbe Stunde pro Tag zu begrenzen. An dieser Schule ging im Vergleich zur Kontrollschule, an der kein solcher Unterricht stattgefunden hatte, das Gewaltverhalten der Kinder in der Schule, auf dem Pausenhof, auf dem Schulweg und in der Freizeit um bis zu 50% zurück. So das Ergebnis einer äußerst sorgfältig angelegten Studie der Medizinischen Fakultät der Stanford Universität. Inzwischen wurde dieses Experiment mit dem mittlerweile veröffentlichten Standford Curriculum SMART (Student Media Awareness to Reduce Television) an vielen US-amerikanischen Schulen mit dem gleichen überwältigend positiven Ergebnis wiederholt.
Wenn Kinder und Jugendliche eigene elektronische Geräte in Kinder- oder Jugendzimmern stehen haben, ist der Konsum um ein Vielfaches höher, die Inhalte sind um ein Vielfaches gewalttätiger und die Schulnoten bedeutend schlechter. So das Ergebnis der umfangreichen Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Pfeiffer-Studie).

Aufklären: Fazit: Die Fachwelt ist sich einig, es gibt keinen Wissenschaftsstreit, wie es gerne von der Spieleindustrie behauptet wird: Die Reduzierung des Medienkonsums wirkt sich bei Kindern und Jugendlichen segensreich aus, vor allem, wenn er freiwillig, auf Grund von aufklärenden, ernsthaften Gesprächen zwischen Eltern/Lehrern und Kindern geschieht. Wenn solche Gespräche als echter Dialog angelegt sind, das heißt Widerspruch zugelassen ist, aber der Erzieher in seiner Ablehnung jeglicher Gewalt – auch virtueller – überzeugend ist, kann bei Kindern und Jugendlichen gefühlsmäßig verankerte Abwehr gegen die Innenweltverschmutzung entstehen. Auch sollten sich Eltern weigern, Beihilfe in jeder Form zu leisten. Computer und Fernsehgerät im Kinderzimmer kommen nicht in Frage, und sie sollten es entschieden ablehnen, unter ihrem Dach menschenverachtendes Tun, und wenn nur virtuell, zu dulden. Auch im Elternhaus gelten die Menschenrechte! Eltern sitzen oft noch dem Irrtum auf, mit dem Eintritt der Pubertät sei es mit ihrem Einfluss auf die Kinder vorbei. Dem ist nicht so: Jugendpsychologische Forschungen haben immer wieder gezeigt, dass junge Leute auf die Ansichten und Werte ihrer Eltern sehr wohl etwas geben, wenn sie als Vorbild überzeugend sind.

Alternatives Tun: Wenn die Bildschirme schwarz bleiben, bleibt viel Zeit für anderes, alternatives Tun. Auch hier kann uns die empirische Forschung zu den Entwicklungsbedingungen einer prosozialen, also friedfertigen, kooperativen und hilfsbereiten Persönlichkeit Leitlinien aufzeigen. Jeder gelungene Akt von Hilfeleistung, jedes gelungene Einfühlen in Schmerz und Freud eines anderen Menschen stärkt beim Kind das Mitgefühl, die mitmenschliche Verbundenheit und das Gefühl der posi­tiven Bedeutung für andere. Deshalb ist prosoziales Tun zunächst unter Anleitung des Erwachsenen ein nachhaltig wirkender Schutzfaktor gegen die Gefahr der Abstumpfung und Verrohung durch Gewaltmedien. Eine Grundschulklasse bastelt und bäckt, und der Erlös wird einer Grundschule in einem benachteiligten Land gespendet. Die Mutter besucht die kranke Nachbarin, und gemeinsam mit den Kindern wird überlegt und in die Tat umge set zt, wie man ihr eine Freude machen kann. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, – man muss es nur tun. Wir sind uns viel zu wenig bewusst, dass wir auf diese Weise eine mitmenschliche Orientierung bei unseren Kindern, das heißt bleibende, im Gefühl verankerte Erfolgserlebnisse im Helfen, im Freude-und-Schmerz-Teilen legen und pflegen können – der beste Schutz gegen die perversen, zerstörerischen Zugriffe gesellschaftszer set zender Kräfte via elektronischer Medien.

Quelle: Zeit-Fragen