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Der Tanzbär

Wie Ariel Sharon die einzige Supermacht der Welt an der Nase herumführt.

Von Uri Avnery Es war einmal eine der volkstümlichsten Straßenschaustellungen: ein Bär sollte zur Belustigung der Passanten tanzen, die ihm dann ein paar Münzen in die Dose warfen. Der Bär war groß und Furcht erregend. Aber seine plumpen Bewegungen ließen die Leute lachen. Er war viel stärker als sein Herr, der ihn an einer Kette hielt. Aber er unterwarf sich ihm vollständig. Das nationale Symbol der USA ist der Adler. Der Bär ist - wie allgemein bekannt - das nationale Symbol Russlands. Aber wenn man auf die Sharon-Bush-Beziehung schaut, kommt einem die alte Tanzbärenaufführung ins Gedächtnis. Ariel Sharon spielt mit dem amerikanischen Bären herum. Er lässt ihn tanzen, springen, hinlegen und aufspringen, im Kreise drehen und Purzelbaum schlagen - zum Amüsement der israelischen Öffentlichkeit. Alle paar Monate erfindet Sharon eine neue Nummer. Der Bär applaudiert, tut, was ihm befohlen wird, bis auch diese Vorstellung ihren Reiz verloren hat. Dann kommt Sharon wieder mit etwas Neuem. Das geschah auch mit der Nummer, die man Road Map nannte. Um genau zu sein, diese Nummer war nicht von Sharon erfunden worden, sondern vom Bären selbst. Bush hatte eine Vision, eine wahre Offenbarung: "Zwei Staaten für zwei Völker". Etwas Neues und Revolutionäres. ( Es macht nichts, dass die UN schon 1947 dies beschlossen hatte und dass israelische und palästinensische Friedensaktivisten diese Idee schon seit Jahrzehnten gepredigt haben. Das Gehirn des Bären arbeitet langsam, und wie das Sprichwort sagt: besser spät als gar nicht) Die Vision brachte die Road Map hervor. Eine sehr komplizierte und verwickelte Straßenkarte. Wenn ein normaler Fahrer nach so einer Karte seinen Weg suchen würde, würde er nie sein Ziel erreichen. Aber diese Karte trägt nicht nur den persönlichen Stempel des Präsidenten der USA, sondern auch die Signaturen Europas, Russlands und der UN. Wer könnte sie also anzweifeln? Das Schauspiel begann in Akaba. George Dubble Yu lässt sich gerne vor eindrucksvollem Hintergrund fotografieren. Es scheint so, als ob er beträchtliche Zeit und Kraft dafür aufwende, um den Hintergrund für sein nächstes Foto auszusuchen: ein Flugzeugträger, eine ganze angetretene Armeedivision, ihm zujubelnde Soldaten in Bagdad. Auch diesmal fand er einen eindrucksvollen Hintergrund: tropische Küste, blaues Meer, hohe Palmen, exotische Landschaft. Sharon und Abu Mazen dienten als Statisten. Sie nahmen die Road Map bei einer feierlichen Zeremonie in Empfang, wie einst Moses - nicht weit von dort - die Gesetzestafeln in Empfang nahm. Aber Fotos können lügen, und dieses Mal waren sie auch irreführend. Nicht Sharon war der Statist, sondern Bush. Es war nicht der Bär (Bush), der seinen Herren (Sharon) tanzen lässt , sondern genau umgekehrt. Das Schauspiel hatte keinen Inhalt mehr. Die Road Map war schon tot, bevor sie geboren wurde, weil Sharon gar nicht daran dachte, sie auszuführen. Er hatte eine andere Karte, andere Wege, andere Ziele. Anscheinend war Sharons Antwort "Ja, aber..!." Er fügte noch 14 Vorbehalte hinzu, die das Dokument seines Inhaltes beraubten. Sie machten zur Bedingung, dass Sharons Regierung ihren Teil nur dann erfüllen würde, nachdem die Palästinenser eine Anzahl unmöglicher Aufgaben erfüllt haben würden. Die Palästinenser konnten dies gar nicht. Die Folge davon war, dass Abu Mazen von der Bildfläche verschwand. Und Sharon? Er spielte das Spiel zu Ende. Er schickte Emissäre nach Washington, führte Gespräche, empfing amerikanische Funktionäre, besuchte das Weiße Haus und schwor bei jeder Gelegenheit , dass er kein heiligeres Ziel habe, als Bushs Vision zu erfüllen. Der amerikanische Präsident ließ sich erweichen und sang die Lobeshymne vom "Mann des Friedens". Nach der Road Map wäre Sharon gezwungen gewesen, alle Siedlungen, die seit Beginn seiner Regierung, Anfang 2001, errichtet worden waren, aufzulösen. Aber er ließ den Bären nach rechts und nach links tanzen, bis das arme Tier die Orientierung verloren hatte. Also, nicht alle Siedlungen sollten aufgelöst werden. Nur die "illegalen" Außenposten. (Illegal nach den Gesetzen der Besatzungsbehörden natürlich) Und auch nicht alle illegalen Außenposten, sondern nur ein oder zwei. Am Ende war keine einzige aufgelöst. Aber der amerikanische Bär tanzt glücklich weiter . Mittlerweile sind neue Außenposten wie Pilze aus dem Boden geschossen, alle "illegal". Die israelische Regierung verbindet sie mit der Wasser- und Stromversorgung und baut neue Straßen für sie. Riesige Summen werden für sie ausgegeben - Geld das für Bildung und Erziehung, für Gesundheit und das Sozialbudget nötig war. Auch die älteren Siedlungen breiten sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Die Landschaft der Westbank verändert sich zusehends. Überall entstehen neue Straßen für die Bequemlichkeit der Siedler. Und der Bär tanzt. Zu all diesem kommt nun noch die Mauer. Zuerst wurde sie als Sicherheitszaun dargestellt, und man setzte voraus, dass er mehr oder weniger der 1967er- Grenze, der Grünen Linie, folgen würde. Aber bald wurde ersichtlich, dass er weit in die Westbank hineinreichen und dabei große Teile Land annektieren und so das Ziel der Road Map - ein lebensfähiger palästinensischer Staat - zu einer Farce machen würde. Der amerikanische Satellit fotografierte - und der Bär tanzte weiter. Die Hauptsache war schließlich, dass Sharon die Road Map weiter loben konnte. Und als Sharon von diesem Schauspiel genug hatte und vielleicht auch fürchtete, dass der Bär müde oder nervös werden könnte, erfand er eine neue Nummer: die einseitige Trennung. Wir gehen aus dem Gazastreifen heraus, lösen 17 Siedlungen auf und zusätzlich noch einige Siedlungen auf der Westbank. Und so beginnt nun alles von vorne. Emissäre werden nach den USA gesandt. Emissäre aus Amerika werden in Jerusalem empfangen. Sharons Vertrauter Dov Weißglas wird Condolezza besuchen. Ein israelischer General wird einen amerikanischen General treffen. Sharon wird das Weiße Haus besuchen. Und in Israel selbst wird der passende Hintergrund für die Vorstellung in Form von stürmischen Demonstrationen der Siedler, grimmigen Denunziationen durch Rabbiner aufgebaut, dazu drohen Kabinettskrisen, Dutzende Artikel gelehrter Experten werden geschrieben, die versprechen, dass er genau diesmal, zum 101.Mal, ernst zu nehmen sei. Diesmal meint Sharon wirklich, was er sagt. Washington jubiliert. Nun, es ist nicht die Road Map, aber man kann so tun , als ob sie es wäre. Hauptsache ist, dass Sharon wieder als "Mann des Friedens" vorgezeigt werden kann, bereit, sich zurückzuziehen und Siedlungen aufzulösen. Wer hätte das gedacht? In dieser Woche sandte Bush drei weise Männer zu Sharon ( einschließlich Elliot Abrams, einen Gentleman, der falls möglich zionistischer als Sharon selbst ist), um höflich anzufragen: Von wo genau beabsichtigt Sharon, sich zurückzuziehen? Welche Siedlungen genau wolle er aufgeben ? Wann genau würde dies geschehen? Und bitte, könnte man vielleicht einen Blick auf eine Karte werfen? Sharon lacht sie aus. Keine Karte. Kein Zeitplan. Nichts. Es ist nur eine Idee. Man arbeitet daran. Ein wirklicher General denkt die ganze Zeit darüber nach. Ganz gewiss. Man denkt nach, bereitet Papiere vor, fliegt nach Washington und zurück; Dov wird Condolezza treffen, Sharon wird Bush sehen. (Mittlerweile werden die Amerikaner darum gebeten, einige Milliarden für die Bezahlung der Kompensationen für die Siedler bereit zu stellen. Nachdem die Amerikaner Milliarden für die Niederlassung der Siedler dort, wo sie jetzt sind, gezahlt haben, ist es nur recht und billig, dass sie auch Milliarden zahlen, um sie da wieder herauszuholen.) So wird es also weitergehen, bis Sharon auch dieser Schauspielnummer überdrüssig geworden ist. Dann wird er sich eine Neue ausdenken. Hauptsache ist schließlich, dass der Bär weitertanzt. Quelle: uri-avnery.de / ZNet Deutschland 21.02.2004 Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite