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Sie lieben ihr Handy? Sie können sich den Alltag ohne Handy nur noch schwer vorstellen? Aber irgendwie nervt es Sie auch? Mails, WhatsApp und Facebook stehlen Ihnen Zeit? Drei Stunden pro Tag verbringen Sie wahrscheinlich mit ihrem Mobiltelefon. Das ist das bisherige Ergebnis einer groß angelegten Studie des Informatikers Alexander Markowetz von der Universität Bonn. Zusammen mit dem Psychologen Christian Montag hat er den Handygebrauch Tausender Menschen untersucht. Die beiden wollten erforschen, wie viel Zeit die Menschen tatsächlich mit Handy oder Smartphone verbringen. Und sie wollten herausfinden, wie viel normal ist. Wann die Handynutzung problematisch wird und wo die Abhängigkeit anfängt.
"Ich habe selbst ein völlig unverantwortliches Handyverhalten, und vielen Kollegen geht es ähnlich. Und das wollten wir im großen Stil untersuchen", sagt der 38 Jahre alte Markowetz. Er entwickelt ein kleines Programm, eine App, die er Menthal nennt. Wer Menthal auf sein Handy lädt, lässt zu, dass alles gezählt wird: Wie viel Zeit er im Internet surft. Wie oft er eine SMS schreibt. Wie lange er bei Facebook verbringt. Die wichtigsten Daten werden dann anonymisiert an einen Server übermittelt, wo die Wissenschaftler sie auswerten.
Anfang des Jahres hat Markowetz das Programm im Internet kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Pressestelle der Uni Bonn gab zur gleichen Zeit bekannt: "App warnt vor Handy-Abhängigkeit." Dieser Satz schien Tausende anzusprechen. Bis Anfang November installierten rund 200.000 Menschen die App auf ihrem Smartphone. "Wir wurden überrannt. Darauf waren wir nicht vorbereitet", sagt Markowetz. "Unsere Server standen immer kurz vor dem Absturz. Mit dieser Datenmenge waren sie überfordert. Wir übrigens auch."Bis heute sind nicht alle Daten ausgewertet. Der große Schatz an Informationen über das Handy-Verhalten von 200.000 Menschen muss erst noch gehoben werden. Es sind kostbare Informationen, die für viele von Interesse sind. Etwa für Unternehmen, die analysieren könnten, wann und warum ihre Angestellten ständig abgelenkt sind. Oder für Psychologen, die gerne besser verstehen würden, warum sich viele Menschen so gehetzt fühlen und psychisch zusammenbrechen. Oder auch für Entwickler von Handy-Spielen, die mit diesen Daten ihre Spiele an die Gewohnheiten der Nutzer anpassen könnten.
Auch wenn der Großteil der Daten noch im Verborgenen schlummert, so haben Markowetz und sein Team wenigstens die Daten von 5000 Personen herausgenommen und ausgewertet. Im Schnitt nutzen diese Teilnehmer ihr Smartphone knapp drei Stunden pro Tag. 35 Minuten gehen durchschnittlich für WhatsApp drauf, 15 Minuten für Facebook, fünf Minuten für Instagram und fast eine halbe Stunde für Spiele. "Die Ergebnisse waren zum Teil erschreckend", sagt der Psychologe Christian Montag. Und was ist mit dem Telefonieren? "Im Schnitt telefonieren die Menschen weniger als zehn Minuten am Tag", sagt Alexander Markowetz, "auch das Schreiben von SMS nimmt kaum Zeit in Anspruch".
Von diesen Ergebnissen war Markowetz überrascht. Ein Schock aber sei etwas anderes gewesen, worauf die Forscher bei der Auswertung gestoßen sind: Zwölf Prozent der Nutzer schauen sechs Mal pro Stunde auf ihr Handy. "Das muss man sich mal vorstellen: Alle zehn Minuten holt diese Gruppe von Leuten das verdammte Handy aus der Tasche und schaut nach, ob etwas passiert ist", sagt Markowetz. "Das heißt doch auch: Das Smartphone ist immer da. Entweder in meiner Hand oder aber in meinem Bewusstsein."
Für den Psychologen Christian Montag ähnelt das Nutzen eines Handys dem Umgang mit einem Glücksspielautomaten. Deswegen werde das Telefon so oft angeschaltet, sagt er. Bei dieser möglichen neuen Sucht handle es sich noch nicht um eine offiziell anerkannte Erkrankung. "Dennoch wissen wir, dass der Umgang mit dem Mobiltelefon suchtähnliche Symptome hervorrufen kann", sagt Montag. So könne ein übermäßiger Konsum zur Vernachlässigung von wichtigen täglichen Aufgaben oder des direkten sozialen Umfelds führen. "Bei Nichtnutzung kann es sogar zu regelrechten Entzugserscheinungen kommen."
Markowetz hingegen interessiert sich weniger für die Menschen, die man vielleicht schon als süchtig bezeichnen könnte, als vielmehr für die breite Masse jener Menschen, die einen hohen Handykonsum hat, ohne deswegen gleich süchtig zu sein. "Das sind Leute wie du, ich und unsere Kollegen. Wir beschäftigen uns viel mit dem Ding, aber irgendwie macht es uns nicht glücklich. Es stiehlt unsere Zeit. Und es schafft eine Art Unwohlsein."
Schon seit mehreren Jahren und schon lange bevor er die jetzige Studie begann, beschäftigt sich der Informatiker mit dem Handygebrauch. In Gesprächen, Mails und mit kleineren Studien fand er heraus, dass die meisten Menschen gerne weniger Zeit mit ihrem Smartphone verbringen möchten. "Die Menschen kaufen sich alle zwei Jahre für 700 Euro ein Gerät, das sie unglücklich macht. Das ist doch erstaunlich", sagt Markowetz. "Ein Freund von mir hat Schuldgefühle gegenüber seinem dreijährigen Sohn, weil er ständig auf sein Handy guckt, anstatt mal in Ruhe mit ihm zu spielen."
Handys müssten eigentlich so gemacht sein, dass sie ein solches Verhalten verhindern, sagt Markowetz. Es sei Zeit für eine neue Handy-Generation. Wie so ein Gerät aussehen müsste, welche Programme es braucht, was es können muss und, vor allem, was es nicht können soll – darüber zerbricht er sich nun mit seinem Team den Kopf.
Dabei sei es zunächst wichtig zu verstehen, warum überhaupt viele Handynutzer alle zehn Minuten auf ihr Handy schauen. Das könne doch nicht jedes Mal eine bewusste Entscheidung sein, sagt Markowetz und folgert daraus: "Also muss es eine Art instinktives Verhalten sein." Um das noch deutlicher zu machen, vergleicht er den Handykonsum mit dem Rauchen. Jeder, der raucht, weiß, dass es schädlich ist. Trotzdem rauchen viele. Und nicht jede Zigarette wird aufgrund einer bewussten, wohlüberlegten Entscheidung angesteckt. So kommt Markowetz wieder zum Thema Abhängigkeit. "Was tun Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen? Sie verändern ihre Umgebung. Sie meiden Orte, an denen geraucht wird. Und sie meiden Situationen, in denen sie gerne rauchen, wie etwa beim Feierabendbier."
Wer seinen Handykonsum runterfahren möchte, solle also an kleinen Stellschrauben drehen. "Kaufen Sie sich einen Wecker. Dann weckt Sie am Morgen nicht das Handy", sagt Markowetz. "Denn sonst ist das Handy das erste, was Sie am Morgen in der Hand halten. Dann werden schnell die ersten Mails gecheckt und Online-News gelesen." Als nächstes empfiehlt er den Kauf einer Armbanduhr. Die würden heute nur noch wenige Menschen tragen, weil sie ja immer das Handy griffbereit hätten. Aber auch hier lauere die Gefahr, dass man sich wieder ablenken lasse. "Eigentlich wollte man nur auf die Uhr schauen, und ehe man sich versieht, checkt man, wer was Neues auf Facebook gepostet hat."
Letztlich ist es immer ein Kampf um Aufmerksamkeit. So wie bei Markowetz' Freund und dessen Sohn. Kind und Handy konkurrieren um die Aufmerksamkeit des Vaters. Auch Partnerschaften werden auf die Probe gestellt: Ist es okay beim gemeinsamen Video-Abend ab und zu auf sein Handy zu schauen? Oder zeige ich dem anderen damit, dass mir seine Anwesenheit eigentlich nicht genug ist.
Das gleiche gilt für ein Abendessen mit Freunden. Ist es unhöflich, sein Handy auf den Tisch zu legen und sich während einer Unterhaltung durch das Ankommen einer SMS ablenken zu lassen? Ist das nur eine Ansichtssache, oder brauchen wir in einer Gesellschaft mit immer mehr Handys eine Art Etikette im Umgang mit diesen Geräten? Die wenigsten würden nachts um ein Uhr bei einem Kollegen auf dem Festnetz anrufen, aber eine SMS um diese Zeit scheint in Ordnung zu sein. Markowetz ist da anderer Ansicht. Auch eine SMS um diese Uhrzeit störe die Privatsphäre.
Manche Probleme mit dem übermäßigen Handykonsum ließen sich vielleicht mit einer App lösen. Bei Menschen, die sich stundenlang in einem Handyspiel verlieren oder beim Surfen im Internet die Zeit vergessen, könnte schon eine Art Alarmsignal helfen. Markowetz denkt da an eine App, die alle fünf Minuten daran erinnert, dass schon wieder fünf Minuten vergangen sind. Aber das sei ein schmaler Grat. So ein Alarmsignal könne zwar helfen, aber auch schnell nerven. Das würde niemand lange nutzen wollen.
Markowetz und sein Team arbeiten derzeit an einer anderen Idee. Sie tüfteln an einer App, die dem Nutzer Aufgaben stellt. Etwa: Heute kein WhatsApp. Oder: Die nächsten zwei Stunden das Handy nicht entsperren. Die Erziehung zur Handy-Enthaltsamkeit würde so wie ein Spiel aussehen. Das könne viele Handynutzer ansprechen und sie bei ihrem Spieltrieb packen.
Unterdessen sammeln Markowetz' Server weiter Daten. Und bald will er sie alle auswerten. Dass sich das lohnt, daran besteht kein Zweifel. Denn bisher gab es keine so umfangreiche Studie zum Handyverhalten der Menschen. Bei früheren Studien wurden meist die Menschen nach ihrem Handy-Konsum befragt, die Forscher verließen sich auf die Selbsteinschätzung der Menschen. Das sei ein großer Fehler gewesen, sagt Markowetz. Seine Studien zeigen, dass fast jeder sein eigenes Handyverhalten grob unterschätzt, also: verharmlost.
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Der Artikel erschien am 14.11.2014 bei welt.de
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