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Die Wissenschaft am Tropf der Wirtschaft

Der Arzt war erstaunt. Aus seiner eher enttäuschenden Untersuchung über ein neues Medikament hatten die Biostatistiker des Herstellers ganz neue, positive Zahlen herausgeholt.

"Später stellte sich dann heraus, dass sie sich verrechnet haben", sagt der Mediziner. Ob man die Ergebnisse schön rechnete? Fest steht, dass manche Pharmafirmen Studien beeinflussen, wenn sie diese finanziert haben. Eine internationale Forschergruppe hat solche Studien nun näher betrachtet. Ihr Fazit: Wenn Firmen Forschern Geld geben, um die Wirksamkeit neuer Arzneien zu prüfen, dann sind die Ergebnisse meist verzerrt - zu Gunsten der Industrie. Dass ein Produkt positiver dargestellt wird, ist demnach viermal so wahrscheinlich, wenn der Hersteller und nicht eine unabhängige Stelle die Studie in Auftrag gegeben hat.

Der neuen Analyse zufolge arbeiten die von der Pharmaindustrie beauftragten Forscher aber nicht weniger gewissenhaft. "Die Methoden waren meist genauso gut wie die der unabhängigen Studien oder sogar besser", lautet das Resümee. Mitunter würden die Studien aber so geplant, dass eine Verzerrung zu Gunsten des neuen Produktes wahrscheinlich ist. Oft wird die neue Arznei mit unpassenden Substanzen oder Placebos verglichen; in einer Studie wird zum Beispiel das Antibiotikum Fluconazol mit einem Mittel verglichen, das vom Körper erwiesenerrmaßen schlechter aufgenommen wird. In vielen Fällen ist jedoch unklar, wie genau Pharmafirmen mit sauberen Methoden zu krummen Ergebnissen kommen. Häufig entsteht die zu positive Wertung nicht im Labor, sondern durch gezielte Veröffentlichungspraxis. So erscheint von der Industrie bezahlte Forschung seltener in angesehenen Fachjournalen. Vielmehr werden die Daten auf Symposien und Konferenzen vorgestellt, wo sie zuvor keine Prüfung durch Kollegen durchlaufen müssen. Forschungsgelder würden zudem oft unter Auflagen vergeben, sagt Thomas Kaiser vom Deutschen Institut für evidenzbasierte Medizin in Köln. Negative Daten dürften dann nicht publiziert werden. Ein Druckmittel, dem sich viele Forscher nicht entziehen können. "Im Moment ist es nicht so einfach, Geld zu bekommen", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom Berliner Arznei-Telegramm. "Manche arbeiten deshalb an Themen, die Geld bringen."
"Die Industrie hat für das Phänomen ihre eigene Erklärung. Wegen der langen Forschungszeiten kennen die Firmen ihre Produkte - und auch deren Stärken, sagt der Sprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller, Ralf Hömke. Sie könnten die Studien somit gezielt auf die Produkte zuschneiden. Laut Arzneimittelgesetz sind die Hersteller verpflichtet, ihre Produkte in der Klinik testen zu lassen. Ob es besser wäre, diese Forschung mit öffentlichen Geldern zu bezahlen, ist umstritten. "Die Industrie soll ruhig zur Kasse gebeten werden", sagt Becker-Brüser. "Schließlich ist sie es auch, die an einem erfolgreichen Mittel verdient." Wilfried Lorenz von der Universität Marburg plädiert hingegen für eine öffentliche Beteiligung. "Damit könnte man einen Finger auf dieser Forschung halten", sagt er. Im übrigen sollten die Unternehmen lernen, Misserfolge für ihr Image zu nutzen. "Wie solide eine Pharmafirma ist, kann man auch daran ablesen, ob sie überhaupt negative Ergebnisse publiziert."

Quellen:
British Medical Journal, Bd.326, S.1167, 2003
Eva Schaper "Wenn Firmen bezahlen" (Süddeutsche Zeitung online vom 10. Juni 2003)