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Ein Kirchenfürst kriecht zu Kreuze

Am 6. Januar 2005, dem Dreikönigstag, hielt der Kölner Erzbischof und Kardinal Joachim Meisner im Kölner Dom eine Predigt, in welcher folgender Absatz vorkam:

"Mein Leben, mein Herz, mein Leib gehört nicht mir. Es ist sein [= Gottes] Eigentum. Ich kann über mein eigenes Leben und über das Leben anderer nicht verfügen. Ich kann es immer nur dankend empfangen. Es ist bezeichnend: Wo der Mensch sich nicht relativieren oder eingrenzen läßt, dort verfehlt er sich immer am Leben: zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen läßt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht. Abtreibung und Euthanasie heißen die Folgen dieses anmaßenden Aufbegehrens gegenüber Gott. Das sind nicht soziale Probleme, sondern theologische. Hier kommt das erste Gebot ins Spiel: ‚Du sollst keine fremden Götter neben mir haben'".

Diese Sätze riefen Paul Spiegel auf den Plan, den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland. Spiegel liess verkünden, er habe "absolut kein Verständnis für Äußerungen, bei denen Abtreibung und Sterbehilfe mit den Verbrechen des Naziregimes gleichgesetzt würden". Solche Sätze seien eine Beleidigung von Millionen Holocaust-Opfern, sagte Spiegel weiter. Er forderte den Kardinal auf, sich unverzüglich von diesem Vergleich zu distanzieren.

Der Kardinal entschuldigte sich, doch Paul Spiegel sagte, die Stellungnahme Meisners werte er "nicht als Entschuldigung, sondern als Erklärung". Der Zentralrat der Juden ist der Auffassung, dass es sich beim Holocaust-Vergleich Meisners nicht um eine spontane Äußerung gehandelt hat. "Er hätte wissen müssen, welche Reaktion dies auslösen würde, sowohl bei den in der NS-Zeit Verfolgten als auch bei Frauen", sagte Spiegel.

Bei der Kölner Staatsanwaltschaft gingen laut Angaben eines Sprechers bereits mehrere Strafanzeigen gegen Meisner ein. Wegen der Äußerungen des Kardinals hatte unter anderem das Kölner Bündnis "Gemeinsam gegen Sozialbbau" einen Strafantrag wegen Volksverhetzung angekündigt.

Oberrabbiner steht zu Meisner

Ganz anders der Wiener Oberrabbiner Moishe Arye Friedman. Er nimmt Kardinal Meisner öffentlich in Schutz. In einem Brief, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 19. Januar 2005 veröffentlicht hatte, schrieb Friedman unter dem Titel "Das Richtige lernen" nachfolgende Worte, die hier ungekürzt wiedergegeben werden:

"Als Oberrabbiner der strenggläubigen orthodoxen antizionistischen jüdischen Gemeinde Wiens und Rabbiner mit jahrhundertealten Wurzeln in Deutschland bin ich sehr berührt über die von Kardinal Meisner in seinen Feiertagspredigten geäußerten historischen und theologischen Wahrheiten und seinen Mut, diese mit festen Worten zu äußern. Gestatten Sie mir auch als Leser der F.A.Z. und echter Freund Deutschlands, dem deutschen Volk und der katholischen Kirche alles Gute für das neue Jahr 2005 zu wünschen. Für eine in jeder Hinsicht er-folgreiche Zukunft, von der ich mir insbesondere Frieden und Gerechtigkeit für das Heilige Land erhoffe, für ein vom Zionismus befreites Jerusalem und die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat.
Andererseits bin ich sehr empört und entsetzt über die verbalen Angriffe gegen Kardinal Meisner und alle Deutschen anläßlich seiner Predigt zum Dreikönigstag. Dazu möchte ich folgendes klarstellen: Die, die den sogenannten Holocaust herbeigeführt haben, waren gerade die Gottlosen, weshalb es besonders wichtig ist, den Gottesbezug in der europäischen Verfassung einzubinden. Heute scheint sich aber fast niemand mehr ernsthaft um die Lehren aus den Verbrechen der Vergangenheit zu kümmern. Bolschewismus und Stalin, der viel mehr unschuldige Menschen und Juden umgebracht hat als Hitler im Zweiten Weltkrieg, scheinen fast vergessen, wohl weil sich diese Verbrechen nur schlecht instrumentalisieren lassen, um mit ihnen Geschäfte zu machen. Auf die problematischen Teile der deutschen Vergangenheit sollte auch nicht nur zu zwielichtigen Zwecken hingewiesen werden, sondern um daraus das Richtige zu lernen, die rechten Schlüsse zu ziehen - und die können nur in einer echten und intensiven Rückkehr zu den guten nationalen Traditionen des Deutschtums und zum aufrichtigen und tiefen Glauben an Gott gehören. Die heutige feierliche Propaganda zielt aber auf eine Erniedrigung des deutschen Volkes und bewirkt so das Gegenteil des eben Gesagten - mit katastrophalen Konsequenzen.
Die Behauptung, daß die Groß- und Urgroßväter der heutigen jungen Deutschen durch die Bank Verbrecher waren, führt zu einer Entwurzelung und Selbstunterschätzung und letztlich zum Versuch, sich von der eigenen nationalen Identität abzuwenden. Diese Entwicklung ist eine große Gefahr für die Zukunft Deutschlands. Wenn Kardinal Meisner einen Zusammenhang zwischen Herodes, Stalin, Hitler und den heutigen Abtreibungen herstellt, ist dies hingegen aus unserer religiösen Sicht völlig legitim und richtig. Die verbalen Attacken dagegen und die ungeheuren Methoden, mit denen versucht wird, den mutigen Prediger mundtot zu machen, stellen eine grobe Verletzung der Menschenrechtskonvention der Europäischen Union des Artikel 9 (Glaubensfreiheit) und auch Artikel 10 (Meinungsfreiheit) dar! Ich schäme mich, daß solches Unrecht im Namen des Judentums und durch Leute, die den gleichen Namen wie ich tragen, begangen wird.
Darüber hinaus ist es hoch an der Zeit, daß das deutsche Volk einen recht verstandenen Nationalstolz wiederentdeckt, sich zur in so vielen, guten und großartigen Geschichte Deutschlands bekennt und zu seinem überlieferten Glauben zurückfindet. Nur auf diesem Weg entsteht wieder jenes geistige Klima, das für ausreichenden Nachwuchs nötig ist. Als Vater von sieben Kindern wünsche ich auch dem deutschen Volk herzlichst, daß es zu einem solchen geistigen Klima finden möge, um sich vor einer Überfremdung zu schützen, die eigene Identität auch in Zukunft zu bewahren und der eigenen Jugend eine unbelastete und hoffnungs-frohe Zukunftsperspektive zu ermöglichen."