Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Errichtung einer neuen israelischen Stadt im Osten von Jerusalem

Israel plant im Osten Jerusalems auf palästinensischem Boden den Bau einer neuen Stadt mit dem vorläufigen Namen E1. Damit wird Ost-Jerusalem von seinem palästinensischen Hinterland abgeschnitten. E1 bildet eine Verbindung zwischen den Siedlungen Pisgat Seev und Maale Adumim, so dass diese Städte mit Jerusalem zu einem "Gross-Jerusalem" zusammenwachsen. Zudem greifen die in stetigem Ausbau befindlichen israelischen Siedlungen immer weiter gegen Osten aus und bilden einen Gürtel, der schlussendlich den nördlichen Teil und den südlichen Teil des Westjordanlands voneinander trennt. So wird ein lebensfähiger palästinensischer Staat verunmöglicht.

von Rebecca Weiss, Schweiz

Im Land der Beduinen des Jahilin-Stammes, die in Zelten aus Tuch und Blech leben und auf dem kargen Land ihre Ziegen und Schafe weiden lassen, wird nichts mehr so bleiben, wie es ist. "Aus diesen beigefarbenen, staubigen Bergen und den tiefen Schluchten soll nach dem Willen der israelischen Regierung eine neue Stadt aufsteigen [...] Ein Flughafen, ein künstlicher Bergsee und Chalets nach Schweizer Vorbild sollen künftige Bewohner und Touristen anlocken", berichtet der Journalist und Buchautor Peter Schäfer aus Ramallah (vgl. "Neue Zürcher Zeitung" vom 9. Juni)

Annektierung Ost-Jerusalems
Der Plan für diese Stadt wurde schon 1997 in der Hochphase der Israelisch-Palästinensischen Friedensgespräche veröffentlicht, als Israel den Ausbau seiner Siedlungen in Cisjordanien offiziell eingefroren hatte. Trotzdem wurde damals die israelische Siedlung Pisgat Seev ausgebaut, in der heute an die 40000 Israeli leben. An Pisgat Seev soll die Siedlung E1 nun anschliessen, um die "Lücke" zwischen Jerusalem und der grossen israelischen Siedlung Maale Adumim zu schliessen. Ganz Jerusalem wird dadurch von Israel annektiert. In Ost-Jerusalem befinden sich die heiligen Stätten der Muslims: die Omar-Moschee und die Al Aksa-Moschee, die ihnen genausoviel bedeuten wie den Juden die Klagemauer. Das arabische Jerusalem ist auch wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Palästinenser. Mit der Annektion wird ihnen per Machtpolitik verwehrt, Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen Staates Palästina zurückzuerhalten.

Die Landkarte zeigt, dass ein israelischer Gürtel von Jerusalem her gegen Osten im Entstehen ist, so dass das palästinensische Gebiet in Nord-Süd-Richtung in zwei Hälften abgetrennt wird.

Die ersten Wohneinheiten für E1 sind bereits bewilligt. 50000 Israeli sollen sich dort ansiedeln. Zusammen mit Maale Adumim wird die Stadt grösser werden als Tel Aviv. Bereits im Jahr 1977 hatte der damalige Minister für Landwirtschaft, Ariel Sharon, eine "Vision von Israel am Ende des Jahrhunderts" enthüllt, nach der 2 Millionen Juden in den besetzten Gebieten angesiedelt werden sollten.

Angefangen wird mit dem Siedlungsbau von E1 am Rand, um das Gebiet zu sichern, erklärt Jeff Halper vom Israelischen Komitee gegen Häuserzerstörungen (ICAHD). Nachher wird die Mitte aufgefüllt. Eigentlich gehört das Gebiet zu 4 umliegenden palästinensischen Ortschaften, denen Weideland und Erholungsflächen weggenommen werden. Die Jüngeren werden zur Abwanderung gezwungen. Man spricht davon, die Beduinen auf die ehemalige Mülldeponie Jerusalems zwangsumzusiedeln.

Das zerklüftete Gelände ist zum Bauen schlecht geeignet, und der Planer der Siedlung Maale Adumim bestätigt auch die poli-tische Motivation des Projekts. Jeff Halper vom ICAHD sagt, dass Maale Adumim eine der grössten israelischen Kolonien sei. Den Bewohnern sei aber die politische Tragweite ihrer Wohnortwahl gar nicht bewusst. Keine israelische Regierung ist bereit, dieses Gebiet herzugeben, sogar die Initianten der Genfer Initiative wollen Maale Adumim behalten.

Fabriken für billige Arbeitskräfte
Jeff Halper erklärt die Situation: E1 sei nur ein Teil eines veröffentlichten Rahmenplans für Jerusalem, der insgesamt 10 Prozent Cisjordaniens betreffe, Ramallah und Bethlehem mit eingeschlossen. Die Planung betrifft Schnell-strassen, Industriegebiete und Wohnsiedlungen in der ganzen Region. Industrie-parks mit israelischen Betrieben würden aufgebaut, in denen Palästinenser für wenig Lohn und in unsicheren Verhältnissen arbeiten sollen. Für israelische Industrielle sei auch interessant, so Halper, dass sich die Betriebe dort nicht nach israelischen Umweltschutzvorschriften richten müssten.

Es ist klar: Die palästinensische Bevölkerung, der mit dem israelischen Siedlungsbau und der Trennmauer immer mehr ihres fruchtbaren Ackerlands weggenommen wird, deren jahrhundertealten Olivenbäume zerstört und deren Gewächshäuser abgerissen werden, hat nichts mehr zum Leben. Diese Menschen werden, um nicht hungern zu müssen, darauf angewiesen sein, Billiglohnarbeitsplätze in den israelischen Industrieparks auf ihrem eigenen Land anzunehmen. Im israelischen Staat sollen übrigens in einigen Jahren keine palästinensischen Arbeitskräfte mehr angestellt werden. Das alles gehört zum Plan der modernen Kolonialmacht in Zeiten der Globalisierung.

International werden die neuen Siedlungspläne verurteilt, sie seien eine Verletzung des internationalen Rechts. Jeff Halper berichtet, dass diese Pläne in Israel nicht diskutiert würden. Die Verantwortlichen spielten das Vorhaben herunter. Er weist darauf hin, dass Cisjordanien durch E1 in der Mitte geteilt werde. Das Projekt bedeute den Todesstoss für einen lebensfähigen palästinensischen Staat, mit dem der israelisch-palästinensische Konflikt nach allgemeiner Vorstellung gelöst werden könnte.

Quelle: Zeit-Fragen, 20.6.2005