Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Es geht nicht nur um die Olivenbäume

Amira Hass über die Zerstörung der palästinensischen Lebensgrundlage.

Ha'aretz / ZNet Deutschland 11.01.2006

Es ist fast etwas Menschliches um die Stümpfe der Olivenbäume, Hunderte und aber Hunderte strecken ihre amputierten Zweige himmelwärts, als ob sie um Hilfe bitten würden. Am letzten Freitag in Tawana in den südlichen Hebroner Bergen: 120 Bäume; in Burin, südlich von Nablus, Anfang der Woche etwa 50 Bäume; weitere etwa 100 Bäume in Burin am 24. Dezember und 140 Bäume noch einmal in Burin am 14. Dezember.

Die Polizei zählte 733 Bäume die 2005 ausgerissen wurden. Nach der (unvollständigen) Liste von 29 Vorfällen landwirtschaftlicher Sabotage, die von Menschenrechtsgruppen wie Yesh Din und B’tselem von März bis Dezember 2005 dokumentiert wurden, sind es 2616 Bäume: ausgerissen, gestohlen, verbrannt, abgeschnitten oder abgesägt. Allein in Salem wurden vier mal 900 Bäume ausgerissen. Selbst wenn jene, die die geschädigten Bäume zählten übertrieben haben, sind sich beide Seiten darin einig, dass es Israelis sind, die die Weingärten und Obsthaine schädigen.

Die Häufung von Bildern mit zerstörten Bäumen während der letzten paar Monate „durch Unbekannte“ ist schockierend genug gewesen, um den Justizminister dahin zu bringen, die ( angebliche) Hilflosigkeit der Behörden anzugreifen und Minister Gideon Ezra eine Sonderkonferenz einzuberufen. Während dieser wurde entschieden, sich auf Aktivitäten zu konzentrieren, die Gesetze in den Siedlungen durchzusetzen, die als problematisch erkannt wurden.

Der Schock ist jedoch selektiv. Das Militär hat Tausende von Oliven- und anderen Fruchtbäumen ausgerissen, kultiviertes Land und Gewächshäuser zerstört und tut dies auch weiterhin, um die Straßen abzusichern und die Sichtverhältnisse für die Soldaten zu verbessern; um Wachtürme, Kontrollpunkte und Mauern zu bauen; und um noch mehr Straßen und Sicherheitszäune rund um die Siedlungen zu bauen.

Allein im Dorf Qafeen z.B. wurden 12600 Olivenbäume für die Mauer/ den Zaun ausgerissen. Tausende Bäume – vielleicht Zehntausende und Tausende von Hektar Land der Westbank werden hinter der Mauer und dem Zaun und als Pufferzone für die Siedlungen ausgeschlossen. Allein in Qafeen sind 100 000 Bäume hinter den Zaun gesperrt, sodass ihre Besitzer daran gehindert werden, sie zu erreichen. Das einzige, was sie tun können, ist , sie von ferne in ihrem inzwischen verwilderten Zustand anzusehen. Als Grund wird natürlich „Sicherheit“ angegeben. Aber aus irgend einem Grund endet die Sicherheit mit noch wirksamerem Plündern von noch mehr Land zugunsten der benachbarten Siedlung oder um die Grüne Linie und die Annexion von Land zu verwischen. Die Leute, die geschockt sind, ignorieren die Tatsache, dass die Anpflanzungen in Salem und Tawana neben Straßen liegen, die für palästinensischen Verkehr verboten sind, weil sie Siedlungen mit einander verbinden. Es ist die IDF, die diese Straßen absperrt und blockiert, wie Hunderte von Kilometern ausgezeichneter Asphaltstraßen durch die Westbank, die für palästinensischen Verkehr gesperrt sind.

Das Zerstören von 100 Bäumen nimmt einer ganzen Familie die Möglichkeit, für sich selbst zu sorgen. Das Absperren der Straßen nimmt dem ganzen palästinensischen Volk die wirtschaftliche Lebensfähigkeit. Die IDF wird natürlich davon reden, dass es notwendig sei, die israelischen Bürger zu schützen. Warum ist dann jemand schockiert, wenn dieselben israelischen Bürger fortfahren, diese Logik von Israels Kontrolle über die besetzten Gebiete zu erweitern ? Entsprechend dieser Logik hat Israel das Recht, eine doppelte rechtliche Moral in den besetzten Gebieten einzurichten: eine für die Juden, eine andere für die Palästinenser. Unbegrenzte Rechte für Juden, was den Hausbau betrifft, die Bewegungsfreiheit, den Lebensunterhalt, die Infrastruktur, die Nutzung von Land und Wasser gegenüber einem organisierten System, den Palästinensern die Menschen- und Bürgerrechte zu entziehen. Entsprechend dieser Logik müssen sich die Palästinenser mit immer kleiner werdenden „Landzellen“ begnügen, deren privaten Besitz sie beweisen müssen. Größere Flächen, deren Besitz nicht in der israelischen Landverwaltung ( als palästinensisch) registriert ist, gehört automatisch Israel und dem Siedlerrat.

Die Siedler machen keine Politik, sie sind das Resultat. Jeder lebt in Frieden und ohne Gewissensbisse angesichts der Hunderten verarmter Gemeinden, die in Wirklichkeit in Gefängnisse verwandelt wurden, um der IDF zu erlauben, das israelische Staatsunternehmen auch weiterhin zu schützen: so viel Land wie möglich zu kontrollieren, so viel wie möglich Palästinenser zu vertreiben. Eine Minderheit von Israelis wartet nicht mit der Zerstörung bis die IDF und der Staat kommen. Sie fangen mit dem Zerstören schon einmal an. Es ist einfach, von einer Minderheit geschockt zu sein und die Verantwortung der Gesamtheit zu vergessen.