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Finanz-Tsunami aktuell: Washington versucht verzweifelt, den Deich bis November dicht zu halten

Jetzt ist klar, dass die Bush-Administration in Zusammenarbeit mit Fed-Chef Bernanke emsig und mit allen denkbaren Manipulationsmitteln versucht, die Finanzkatastrophe im US-Bankensystem einzudämmen und zu verhindern, dass es im Finanzsektor vor den Präsidentschaftswahlen Anfang November zu einer neuen Welle von Bankrotten und Bankschließungen kommt. Das scheint zusammen mit den Preismanipulationen bei Ölterminkontrakten – die verdächtig danach aussehen, dass Insider noch rechtzeitig vor dem Wahltag den Anschein eines Minibooms erwecken wollen – die Strategie von US-Finanzminister Henry Paulson zu sein. Allerdings ist fraglich, ob Paulson es schafft, noch bis Anfang November den Deich dicht zu halten. Klar ist aber: Entweder dann, oder aber noch kurz vorher, wird über die US-Finanzinstitute eine verheerende Abwärtsspirale kollabierender Kredite hereinbrechen und finanzielle Stoßwellen auslösen, deren Auswirkungen von Peking bis Berlin und darüber hinaus zu spüren sein werden.

An dieser Stelle habe ich wiederholt darüber geschrieben, dass die als »zweitklassig« (sub-prime) beschriebene Krise auf dem US-Häusermarkt nur die kleinste, aber erste Karte ist, die von dem fragilen Gebäude fällt, das als das größte Finanzkartenhaus überhaupt in die gesamte Menschheitsgeschichte eingehen wird. Jetzt rechnen selbst seriöse US-Ökonomen vor, dass amerikanische Banken Schulden in Höhe von mindestens zwei Billionen Dollar werden abschreiben müssen, bevor die Talsohle der Krise erreicht ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die erste Amtshandlung des nächsten US-Präsidenten nach seiner Amtseinführung im Januar 2009 – egal, ob er nun John McCain heißen wird (und das wird immer wahrscheinlicher), oder Barack Obama – darin besteht, ähnlich wie Franklin D. Roosevelt Anfang März 1933 einen nationalen »Bankfeiertag« auszurufen.

Die bisherigen Verluste der meisten Banken in den USA waren nach normalen Kriterien schon schwer; aber sie waren nichts im Vergleich zu dem, was uns jetzt bevorsteht. Eine Maßnahme, die 1933 half, das Vertrauen der Verbraucher in die Sicherheit ihrer Spareinlagen wieder herzustellen, war Roosevelts Absicht, eine Bundeseinlagenversicherung ( Federal Deposit Insurance Corporation, FDIC) zu errichten, bei der alle Banken eine bestimmte Summe hinterlegen mussten, damit im Ernstfall die Sparguthaben aller Bankkunden bis zu einer bestimmten Obergrenze ausgezahlt werden konnten. Doch heute sind die Notreserven dieser FDIC, die sie für die Rettung gefährdeter Banken benötigt, fast vollständig aufgebraucht – und die Serie der Bankenbankrotte hat erst begonnen.

Der FDIC-Einlagenfonds braucht unbedingt Geld

Als die FDIC im Juni die kalifornische Bank IndyMac vor dem Bankrott rettete, versicherte sie, sie habe die Lage bei anderen gefährdeten Banken unter Kontrolle; außerdem handele es sich nur um eine relativ kleine Zahl solcher Banken. Jetzt, nur zwei Monate später, kündigt dieselbe FDIC an, dass die Zahl der Problembanken auf ihrer »Watch-List« im zweiten Quartal um 30% in die Höhe geschnellt ist und den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht hat, da immer mehr kommerzielle Immobilienkredite fällig wurden. Am 30. Juni standen auf dieser Liste 117 Banken – 27 mehr als im ersten Quartal, und es war der höchste Stand seit Mitte 2003. Noch schlimmer: Die Kreditinstitute, die durch die FDIC versichert sind, berichteten, ihre Nettoerträge von 4,96 Milliarden Dollar seien im Vergleich zu den 36,8 Mrd. Dollar im selben Quartal des Vorjahres um 87% abgestürzt. Die FDIC erwartet, dass »im Laufe der Verschlimmerung der Kreditkrise noch mehr Banken auf die Liste kommen«. Das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Man bedenke, dass ich am 18. Juni an dieser Stelle in meinem Artikel »Das ›IndyMac-Modell‹: US-Banken droht der Konkurs« berichtet habe, dass die FDIC damals IndyMac noch nicht einmal auf ihrer »Watch-Liste« hatte, als diese Bank plötzlich den Bankrott anmelden musste.

Die Regulierungsbehörden müssen immer neue Banken in ihre Liste aufnehmen, weil deren Angaben über Bankvermögen, Liquidität etc. zunehmend schlechter werden. In diesem Jahr sind bereits neun Banken bankrott gegangen, darunter eben der erwähnte kalifornische Hypothekenfinanzierer IndyMac Bancorp. Inc., den die FDIC jetzt in eigener Regie als IndyMac Federal Bank FSB betreibt.

Da die FDIC in der Zwischenzeit bei der IndyMac noch weitere versicherte Einlagen entdeckt hat und die Bankvermögen in Ruhe bewerten konnte, musste sie die Kosten der Rettungsaktion von IndyMac gegenüber der ursprünglich veranschlagten Summe um 50% erhöhen, so dass der Einlagenversicherungsfonds einen Verlust von mindestens 8,9 Milliarden Dollar verkraften muss. Gleichzeitig kündigte die FDIC fast nebenher an, dass sie sich in den nächsten Monaten vom US-Finanzamt (d.h. vom amerikanischen Steuerzahler) »möglicherweise« Geld borgen müsse, wenn ihre Notreserven aufgebraucht sein sollten – und das ist ziemlich sicher.

Die Rücklagen, die US-Banken gebildet haben, um Kreditausfälle ausgleichen zu können, haben sich gegenüber dem Quartal des letzten Jahres mehr als vervierfacht – konkret: sie sind von 11,4 Milliarden Dollar auf 50,2 Milliarden gestiegen. Bankkredite, die 90 oder mehr Tage in Zahlungsverzug waren und daher von der FDIC als notleidend eingestuft wurden, sind nach Angaben der FDIC im ersten Quartal um 20% gestiegen – von 136 Milliarden Dollar auf 162 Milliarden Dollar. Ungefähr 90% dieses Anstiegs entfielen auf Eigenheimkredite. Der Umfang des Einlagenversicherungsfonds schrumpfte um 14 Prozent auf 45,2 Milliarden Dollar und das Reserveverhältnis, d.h. der Quotient aus dem Guthaben und den versicherten Einlagen, betrug nur 1,01 Prozent. Laut Ge setz muss die FDIC den Fonds erhöhen, wenn dieser Wert unter 1,15 Prozent fällt. Normalerweise kommen die Gelder für den Fonds aus einer Umlage der beteiligten Mitgliederbanken, da aber diese Banken mit ihren Kreditgeschäften in derart großen Schwierigkeiten stecken, bleibt die US-Regierung als einziger Rettungsanker übrig – und das ist jetzt de facto öffentlich bekannt gegeben worden. Für die kommenden Monate lässt das nichts Gutes erahnen.

Die Kreditgeber auf der »Problem-Liste« der FDIC hatten am Ende des zweiten Quartals Vermögensbestände von 78,3 Milliarden Dollar, d.h. das Dreifache gegenüber den 26,3 Milliarden Dollar im ersten Quartal. Von diesem Anstieg entfielen 32 Milliarden alleine auf die Rettung der Bank IndyMac. Viele Banken auf dieser FDIC-Liste haben einen großen Anteil an kommerziellen Immobilienkrediten, vor allem Bau- und Entwicklungskredite, in ihren Büchern. Wie es heißt, wird sich die Zahl der Problembanken erhöhen. Die FDIC in Washington versichert Einlagen von insgesamt 8.451 Banken, die über ein Vermögen von 13,3 Billionen Dollar verfügen.

Wie mir ein langjähriger Freund, Christoper Whelan, der Chef der Bankrating-Agentur Institutional Risk Analytics, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Solidität von Banken und Finanzinstituten zu analysieren, mitteilte, werden bis zum Juli 2009 in den USA noch mindestens 100 Banken bankrott gehen. Das sind zumeist kleine Finanzhäuser, aber es werden auch einige Großbanken darunter sein. Whelan schätzt das Gesamtvermögen dieser Banken auf etwa 850 Milliarden Dollar. Und diese Summe muss die FDIC aufbringen, wenn sie diese Banken übernimmt.

Irgendwann in der allernächsten Zukunft, höchstwahrscheinlich direkt nach den Wahlen, müssen sich Kongress und Präsident mit der potenziellen Unterdeckung der FDIC befassen, bevor die Menschen aus Angst, die Reserven der FDIC könnten nicht ausreichen, die Banken stürmen. Wenn der Kongress und der US-Präsident zu lange warten, könnte es ein sehr großes Problem geben, weil Bankkunden ihre Einlagen unter (der versicherten Summe von) 100.000 Dollar abheben und bei einer Bank hinterlegen, die ihnen sicherer zu sein scheint. Dann würde es überall Gerüchte geben. Deshalb muss man sich schon jetzt mit diesem Problem befassen. Aber in den Debatten der jetzigen Präsidentschaftskandidaten findet sich davon kein Wort.

Die Rettungsaktion von Fannie Mae und Freddie Mac steht noch bevor

Nur Wenigen ist klar, dass die kürzlich angekündigte Autorisierung der US-Regierung, in Gestalt von Finanzminister Henry Paulson die zwei größten amerikanischen Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae durch Finanzspritzen zu retten, noch gar nicht umge setzt wurde. Diese beiden Hypothekenriesen, die sich zwar in Privatbesitz befinden, de facto aber unter Vollmacht der Regierung stehen, halten zusammen etwa 40% aller zwölf Billionen Dollar Hypothekenschulden in den USA. Washington hatte wohl die Hoffnung, dass sich beide Banken nach der Ankündigung der Regierung, sie werde de facto deren Schulden garantieren, erholen würden. Das ist aber nicht passiert. Stattdessen ist genau das Gegenteil eingetreten.

Freddie Mac, der zweitgrößte Hypothekenfinanzierer der USA, hat soeben fünfjährige Anleihen mit den höchsten Renditen der letzten zehn Jahre – d.h. »Ramschanleihen« – herausgegeben, weil die Nachfrage von Investoren aus Asien nachließ. Die damit verbundene Schuldensumme von drei Milliarden Dollar sollte eine Rendite von 1,13% über dem Ertrag von US-Schatzpapieren erzielen – und dieses Zugeständnis erfolgte trotz der vorher erklärten Garantie des US-Finanzministeriums. Das Vertrauen in die beiden Hypothekenbanken schwindet.

Noch schlimmer wird die Lage dadurch, dass am 30. September Schuldverschreibungen im großen Umfang fällig werden und beide Institute dafür insgesamt 223 Milliarden Dollar zahlen müssen. Bei Fannie Mae beläuft sich dieser am 30. September zu zahlende Betrag auf 120 Milliarden und bei Freddie Mac auf 103 Milliarden Dollar. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der US-Steuerzahler Fannie und Freddie aus der Patsche helfen müssen. Die einzigen Fragen sind jetzt nur noch, wie groß dieser »Bailout« sein wird, und wie er sich im Einzelnen bewerkstelligen lässt. Insider schätzen, dass Paulsons Finanzministerium wahrscheinlich am Ende des nächsten Monats gezwungen sein wird, Vorzugsaktien von Fannie und Freddie  im Wert von bis zu 30 Milliarden Dollar aufzukaufen. Das zumindest erklärte Bill Gross, der Chef des weltweit größten Anleihefonds Pacific Investment Management Corporation (PIMCO).

Dazu muss man wissen, dass PIMCO zusammen mit der chinesischen Staatsbank ( Peoples‘ Bank of China) einen der größten Bestände an Anleihen von Fannie Mae und Freddie Mac besitzt. Es ist völlig klar, dass PIMCO inständig darauf hofft, dass das US-Finanzministerium diese Bestände absichert. PIMCO ist übrigens eine Tochter der Münchner Allianz AG.

Unterdessen hat US-Finanzminister Paulson offiziell erklärt, er habe keinerlei Pläne, Fannie Mae oder Freddie Mac mit Regierungsgeldern zu unterstützen, womit jetzt feststeht, dass der Mann, der im Auftrag der US-Regierung in der Krise der Finanzmärkte aktiv tätig werden muss, bei den Märkten keinerlei Glaubwürdigkeit mehr besitzt. Und das macht die Sache jetzt wirklich gefährlich.

Wie ich an dieser Stelle bereits geschrieben habe, haben die Banken die Belastungen der »Subprime-Hypothekenkrise« auf dem US-Häusermarkt de facto als faule Kredite abgeschrieben. Aber jetzt werden buchstäblich mehrere Billionen Dollar an ähnlich zweifelhaften »Vermögen« fällig. Um nur einen dieser Problemfälle zu nennen: Ein Bankgeschäft, das im Zuge des Kreditbooms förmlich explodierte und sich in gut vier Jahren von praktisch Null auf eine »Industrie« mit Umsätzen im Bereich von mehreren Billionen Dollar aufblähte, war die Neuverpackung von Kreditderivaten zu fremdfinanzierten Investments. In der Zeit von Ende 2003 und Mitte 2007 wurden nach Schätzungen von Analysten »leveraged investments« im Wert von 1.000 Milliarden bis 1.500 Milliarden Dollar verkauft. Diese Produkte sind sogenannte »Synthetic Collateralized Debt Obligations« (CDOs), d.h. Finanzinstrumente, die zu der Gruppe der forderungsbesicherten Wertpapiere und strukturierten Kreditprodukte gehören. Im Augenblick stehen die Ratingagenturen unter wachsendem Druck, bei allen strukturierten Produkten ihre Bewertungskriterien zu verschärfen, und wahrscheinlich müssen sie damit anfangen, diese »Vermögen« von 1,5 Billionen Dollar, die derzeit von Banken, Pensionsfonds und anderen Investoren gehalten werden, abzuwerten – nach Angaben der Bank Lehman Brothers gehen die besten Schätzungen davon aus, dass dabei noch höchstens 50 Cents für jeden Dollar zu erzielen sind, selbst wenn das Portfolio qualitativ relativ hochwertig ist.

Der hochkomplexe Markt der »synthetischen CDOs«, der 1,5 Billionen Dollar umfasst, könnte schon bald als nächster Markt von Abwertungen betroffen sein.

Wichtig dabei ist, dass Banken nur dann einen Kredit offiziell als notleidend einstufen, wenn er drei oder mehr Monate lang nicht bedient wurde. Das wiederum heißt aber, dass dieser ganze Prozess eine tickende Zeitbombe ist. Da die US-Ökonomie immer tiefer in einer schweren Rezession versinkt und auf eine neue große Depression zusteuert, werden Banken gezwungen sein, ihre wachsenden verlorenen Schulden auszugleichen. Das bedeutet, sie müssen in den nächsten Monaten viele Milliarden Dollar an fällig werdenden Schulden refinanzieren, wodurch sich die Kreditkosten der Banken verteuern und ihre Profitabilität schmälern. Denn der Kapitalbedarf der Banken zwingt sie dazu, um wachsende Kreditverluste ausgleichen zu können, höhere Zinsen zu bezahlen, um überhaupt noch Investoren anlocken zu können. Ein Finanzexperte drückte es so aus: »Wenn die Banken weiterhin Geld in dieser Größenordnung aufnehmen, dann werden die Kreditkosten in der gesamten Ökonomie teurer.« In der letzten Woche haben Amerikas Banken – darunter auch die Großbanken Citigroup, JP Morgan Chase und American International Group – fast 20 Milliarden Dollar an neuen langfristigen Schulden aufgenommen und dafür teilweise die bisher höchsten Zinsen bzw. Aufschläge bezahlt. Laut der privaten Agentur Dealogic werden bei den zehn größten US-Banken bis zum Jahresende an Anleihen fällig: im August 27 Milliarden Dollar, im September 52 Milliarden, im Oktober 23 Milliarden, im November 20 Milliarden und im Dezember, also passenderweise nach den Wahlen im November, 86 Milliarden Dollar. Das Jahr 2009 wird für das US-Kreditsystem zu einem wahren Horrorjahr.
Lesen Sie bitte unseren Artikel für mehr Informationen zur Subprime-Krise.

Quelle: William F. Engdahl
Copyright: Kopp Verlag