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Rezensiert von Johannes Kaiser
So viele Natur- und Umweltschutzorganisationen sich bedrohter Tierarten zu Lande annehmen, so wenige kümmern sich um die Meereswelt. Ausnahmen wie der Kampf von Greenpeace für die Wale oder die Delphine bestätigen nur die Regel. Für den Kabeljau oder die Scholle geht keiner auf die Straße oder kreuzt in Schlauchbooten vor den Riesenfabriken, die unterwegs sind, die Weltmeere leerzufischen. Die Lage ist dramatisch, wie der englische Wissenschaftsautor Charles Clover jetzt in seinem Buch "The end of the line", etwas salopp mit "Fisch kaputt" übersetzt, an zahlreichen Beispielen belegt.
Direkt vor unserer Haustür in der Nordsee sind die Bestände zum Beispiel an Schollen und Kabeljau inzwischen so stark geschrumpft, dass sie demnächst ganz zu verschwinden drohen. Dafür gibt es viele Gründe. An aller erster Stelle steht die immer ausgefeiltere Fischereitechnik, so Charles Clover.
Die Methode des Fischfangs in der Nordsee, die am meisten zerstört, ist die Jagd mit Schleppnetzen, bei denen Eisenstangen vor dem Netz her über den Meeresboden gezogen werden. Man nimmt an, dass für jedes Kilo Scholle, das gefangen wird, 16 Kilo andere Meereslebewesen umgebracht werden. Diese Methode ist höchst effektiv, denn die Eisenketten graben sich in den Boden und scheuchen so alle Schollen ins Netz. Nur einige kleinere Schollen können entkommen, die Krustentiere, die am Meeresboden leben, dagegen nicht. Das gesamte Ökosystem wird so zerstört. In Gebieten, in denen mit solchen Schleppnetzen gefischt wird, bleiben am Boden nur Garnelen übrig, die sich von zerschlagenen Muscheln ernähren.
Jahrhundertealte Korallenriffs, artenreiche Unterwasserparadiese werden gnadenlos geschliffen. Was nicht auf dem Teller landet, wird zu Fischmehl verarbeitet und an die Fischzüchter verkauft. Übrig bleiben nur Plankton, Krabben, winzige Sandaale und Quallen. Deren Bestände explodieren geradezu, weil sie ihre Fressfeinde, die größeren Fische verloren haben. Das Ökosystem ist gekippt.
Je leerer die Nordsee wird, desto häufiger weichen die Fischereiflotten an die Küsten Afrikas aus. Brüssel kauft ihnen dort für Pfennigbeträge neue Fischgründe.
Die Küste Afrikas erlebt derzeit eine Form von Wilderei, die mit zum Schlimmsten auf der Welt zählt, was in postkolonialen Zeiten durch fremde Flotten angerichtet wird. Die EU gibt jedes Jahr 300 Millionen Euro für Fischereilizenzen aus, damit vor allem spanische, portugiesische, französische und auch holländische Fischer vor den Küsten einiger afrikanischer Länder fischen können. Länder, in denen ein Großteil der Bevölkerung hungert und die gar nicht die Infrastruktur haben, um die Boote zu überprüfen. So holen die Schiffe weit mehr aus dem Meer als erlaubt und zwar mit Methoden, die so zerstörerisch sind, dass sie in der EU nicht erlaubt sind. Für Senegals Wirtschaft zum Beispiel ist das ein schlimmes Problem, denn die Produktivität des Meeres hat sich seit 1950 um die Hälfte verringert und die einheimische Wirtschaft hängt stark von der Fischerei ab. Allein 600.000 Menschen leben von der Küste.
Angesichts der schrumpfenden Bestände bekannter Speisefische verlegen sich immer mehr Unternehmen auf die Tiefseejagd. Dort finden sich noch große Schwärme wohlschmeckender Arten wie des Schwarzen Seehechtes. Der ist inzwischen zwar auch durch Quoten weltweit geschützt, aber das kümmert die Piratenfischer, die ihm nachstellen, wenig. Ihnen winken immerhin Gewinne wie im Drogenhandel. Das Risiko erwischt zu werden, ist extrem gering.
Die internationalen Gesetze zum Schutz der Fischgründe sind nach Ansicht von Charles Clover zum Großteil das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Dabei sieht er durchaus Möglichkeiten, den Raubbau an der Meereswelt zu stoppen und widmet dem ein ganzes Kapitel. Staaten wie Neuseeland oder Island haben es vorgemacht, indem sie große Gebiete vor ihren Küsten zu Sperrzonen für die Fischerei erklärt haben. Binnen weniger Jahre erholten sich gefährdete Bestände. Hilfreich könnte auch eine Zertifizierung für nachhaltiges Fischen sein, so dass der Verbraucher sofort erkennt, ob der Fang seines Mittagessens die Meereswelt zerstört. Aber er ist nicht allein verantwortlich. Wichtig wäre, überhaupt erst einmal ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, dass eine der bedeutenden Nahrungsquellen der Menschheit zu versiegen droht. Der Reichtum der Meere ist keineswegs unerschöpflich. Das macht Charles Clover in klaren Worten anhand zahlloser konkreter Beispiele aus dem Alltag überdeutlich. Wer sein Buch gelesen hat, wird an der Fischtheke des Supermarktes zukünftig bewusster einkaufen.
Quelle: 2005 Deutschlandradio

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