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Genreis bedroht Millionen Landwirte

Ernährungssicherheit gefährdet. Bauern vor allem in Asien betroffen. Der größte europäische Anbieter ist Bayer CropScience. EU-Kommission entscheidet über Importzulassung.
Von Philipp Mimkes
 
GMOGroße Saatgutunternehmen bemühen sich in aller Welt um Zulassungen für gentechnisch veränderten Reis. Unter dem Slogan "Shaping the future of rice" ("Den Reis der Zukunft gestalten") betreiben die Konzerne die privatwirtschaftliche Aneignung des für drei Milliarden Menschen wichtigsten Grundnahrungsmittels. An vorderster Stelle stehen dabei der US-Konzern Monsanto, die Schweizer Syngenta AG und der Leverkusener Chemiemulti Bayer.
 
Bayers Agrosparte Bayer CropScience hat im Frühjahr bei der EU eine Importgenehmigung für sogenannten LibertyLink-Reis beantragt. Die gentechnisch veränderte Pflanze ist gegen das Herbizid Glufosinat (Handelsname: Liberty Link, LL) resistent. Landwirte, die LL-Reis pflanzen, können mit Glufosinat "Unkräuter" beseitigen, ohne dabei die Ernte zu schädigen. Angenehmer "Nebeneffekt" für das Unternehmen: Das Saatgut und das zugehörige Pestizid sind patentgeschützt, müssen also jedes Jahr neu gekauft werden. Millionen Bauern in den Ländern der "dritten Welt", die bislang durch Tausch und Eigenzüchtungen ihr Saatgut selbst produzieren, drohen in Abhängigkeit der Agromultis zu geraten - die Verwendung ihrer Ernte als Saatgut wäre wegen des Patentschutzes verboten.
 

"Das Risiko exportieren"

 
Bayer CropScience ist der größte europäische Anbieter von gentechnisch verändertem Saatgut. Die Firma sitzt in den Startlöchern, um modifiziertes Getreide, Raps, Kartoffeln, Mais und Soja auf die europäischen Felder zu bringen.
 
Genreis hingegen soll vorerst nicht in Europa, sondern im Reisursprungsland Indien sowie in ostasiatischen Ländern und den Vereinigten Staaten angebaut werden. Es gibt zwar auch in Südeuropa geeignete Reisanbaugebiete, aber das Unternehmen schreckt vor dem vergleichsweise aufwendigen Zulassungsprocedere der EU zurück. Genreis soll zunächst auch nur als Viehfutter vermarktet werden, die Zielgruppe "Mensch" soll erst später bedient werden.
 
In den traditionell gentechnikfreundlichen USA erteilte die Umweltbehörde EPA dem Liberty-Link-Reis schon im September 2003 die Genehmigung. Ein Anbau erfolgte dort aber noch nicht. In Indien und anderen asiatischen Staaten hat Bayer solche bürokratischen Hürden erst gar nicht zu überspringen: Dort reichen die finanziellen Ressourcen nicht für eigene Prüfverfahren. Die Länder richten sich in der Regel nach den Entscheidungen der Industriestaaten. Einen solchen Freibrief soll nun die EU mit einer Importgenehmigung ausstellen. "Das Risiko exportieren - den Reis importieren", so das Kalkül des Unternehmens.
 

Sechs Konzerne dominieren

 
Auf dem Markt für Saatgut und Pflanzenschutzmittel werden weltweit Umsätze in Höhe von etwa 42 Milliarden US-Dollar erzielt - davon rund 13 Milliarden mit Saatgut. Die sechs führenden Agrochemiekonzerne - Syngenta, Bayer CropScience, Monsanto, DuPont, BASF und Dow - teilen rund drei Viertel dieses Umsatzes unter sich auf.
 
Die Preise für landwirtschaftliche Produkte stagnieren oder fallen seit mehreren Jahren. Die Landwirte in aller Welt bauen daher weniger an und fragen entsprechend weniger Saatgut und Pestizide nach. Selbst bei den Großen der Branche ist die Ertragssituation prekär.
 
Dementsprechend intensiv ist die Konkurrenz um Marktanteile und neue Produkte. Die Agrounternehmen versuchen, ihre Marktposition mit Kombiangeboten aus gentechnisch verändertem Saatgut und darauf abgestimmten Pflanzenschutzmitteln zu verbessern - zu dieser Gruppe neuer Produkte gehört auch LL-Reis mit dem dazugehörigen Herbizid Glufosinat. Die Großen der Branche übernahmen in den vergangenen Jahren eine hohe Zahl kleinerer Saatgutfirmen, gleichzeitig fusionierten mehrere Gentechkonzerne: BASF kaufte im Jahr 2000 für 3,8 Milliarden US-Dollar das Pflanzenschutzgeschäft von American Home Products, Novartis und Astra-Zeneca legten im selben Jahr ihre Agrosparten zum Marktführer Syngenta zusammen, und Bayer übernahm 2002 für 7,25 Milliarden Euro die Firma Aventis CropScience. Hierdurch wurde die ohnehin hohe Konzentration noch einmal gesteigert: Während 1997 die sieben größten Unternehmen rund 60 Prozent des Weltmarktes für Pestizide auf sich vereinigten, erzielten 2001 bereits die ersten sechs über 80 Prozent der weltweiten Umsätze auf diesem Gebiet.
 

Höherer Gifteinsatz

 
Gentechnikgegner stützen ihre Kritik an manipuliertem Saatgut auf zahlreiche wissenschaftliche Studien. So beobachteten chinesische Forscher Auskreuzungen von genmanipuliertem Reis auf herkömmlich gezüchteten Reis. In ein bis zwei Prozent der Proben mit naturbelassenem Reis fanden sie Spuren von gentechnisch veränderten Sorten. In Mexiko finden sich sogar in über sieben Prozent aller Maisproben Spuren von Genmais, obwohl der Anbau gentechnisch manipulierter Organismen in Mexiko vollständig verboten ist. Ob diese Sorten die herkömmlichen Arten langfristig verdrängen und welche Risiken hieraus für die Verbraucher erwachsen, ist schlichtweg unbekannt.
 
In asiatischen Anbaugebieten sind außerdem verschiedene Arten von Wildreis heimisch, dieser taucht auf Gemüsebeeten, Maisäckern und Bohnenfeldern auf. Wie Forscherteams aus China und Südkorea gezeigt haben, gibt es oft keine Kreuzungsbarrieren - wenn die angebauten Kultursorten zur gleichen Zeit blühen wie benachbarter Wildreis, ergibt sich ein mehr oder minder reger genetischer Austausch. Studien aus Lateinamerika belegen, daß die gentechnische Veränderung des Bayer-Produkts rasch auf wild wachsende Sorten übergreift, schon nach drei bis acht Jahren hat sich die Liberty-Link-Resistenz vollständig auf diese übertragen. Die Bekämpfung der so entstehenden "Super-Unkräuter" ist wegen ihrer Pestizidresistenz äußerst schwierig, die Bauern und Bäuerinnen müssen zu ihrer Bekämpfung immer größere Mengen an Agrogiften ausbringen.
 
In der Praxis treten die Probleme bereits auf: In den USA, wo seit 1997 Liberty-Link-resistente Pflanzen zugelassen sind, müssen Landwirte zur Bekämpfung von Glufosinat-resistentem Wildraps mehr Pestizide spritzen als früher im herkömmlichen Anbau. Die Extradosen Chemie sind zudem extragiftig, unter anderem wird dabei das Ultragift 2,4,5-D angewandt. Charles Benbrook, ehemaliger Geschäftsführer des Landwirtschaftsausschusses der US-Akademie der Wissenschaften, vergleicht das Pestizidmanagement auf Feldern mit gentechnisch manipulierter Soja und konventioneller Soja seit 1997. Nach der Einführung von Gensoja ging der Giftverbrauch demnach zunächst zurück. Wegen der Resistenzen erhöhte sich der Verbrauch aber schon nach drei Jahren wieder und lag nach sieben Jahren höher als je zuvor. 2003 wurden 22 600 Tonnen Agrochemie mehr ausgebracht als früher im konventionellen Anbau. Das Versprechen der Gengiganten, die "grüne Gentechnik" würde zu einer Reduzierung der Gifteinsätze führen, erfüllte sich also nicht. Einmal mehr scheiterten die Genforscher an ihren starren Vorstellungen von Natur. So wenig wie es ein Schwulengen gibt oder "böse Zellen", welche die "rote Gentechnik" einfach ausschaltet, so wenig wirkt Liberty Link in Kombination mit entsprechend manipuliertem Reis bis in alle Ewigkeit gegen unerwünschte Gewächse. Diese reagieren nämlich flexibel und stellen sich mit der Zeit auf die Mittel ein. Doch diese Dialektik der Natur haben die Genköche der Industrie nicht auf der Rechnung.
 

Bauernlegen in Ländern des Südens

 
Die Artenvielfalt von Reis ist aber nicht nur durch Einkreuzungen von Herbizidresistenzen gefährdet. Drückt der Leverkusener Chemiemulti den LL-Reis mit all seiner Wirtschaftsmacht auf den Markt, so bleibt den Landwirten nur die Alternative: Friß oder stirb. Herkömmliche, ertragsschwächere Sorten werden verdrängt. Das damit verbundene Aussterben von Arten ist nicht nur vom Standpunkt reiner Naturliebe aus bedauerlich, es hat auch dramatische praktische Folgen: Die Bauern und Bäuerinnen haben über Generationen hinweg ihre Saaten aufbewahrt und so eine ganze Reisbibliothek zusammengetragen. Wenn sich eine Sorte als besonders anfällig erweist, konsultieren sie ihre Sammlung und suchen eine widerstandsfähigere aus. Diese Biodiversität droht zu verschwinden - schon jetzt gibt es bloß noch zwei gegen eine weitverbreitete Pflanzenkrankheit gewappnete Reissorten.
 
Und auch unter den Landwirten wird ein Verdrängungswettbewerb einsetzen. Die "grüne Gentechnik" ist kapitalintensiv und verlangt nach großen Anbauflächen. Über diese verfügen viele Reisbauern und -bäuerinnen aber nicht. Millionen Bauern werden die Feldwirtschaft langfristig aufgeben müssen und in die Elendsgürtel rund um die Megacitys ziehen. Weit davon entfernt, dem Hunger Einhalt zu gebieten, verstärkt also die "grüne Gentechnik" die soziale Misere in den Ländern des Südens noch.
 

Risiken für Konsumenten

 
Auch die gesundheitlichen Gefahren sprechen gegen die Anwendung der "grünen Gentechnik". Bei einem Fütterungsversuch, bei dem Wissenschaftler einer Gruppe von Schweinen gentechnisch veränderte Soja und einer anderen Gruppe konventionelle Soja gaben, nahmen die mit Gensoja versorgten Borstenviecher deutlich an Gewicht zu. Offensichtlich unterscheiden sich Genpflanzen also nicht nur durch die erwünschte Zusatzeigenschaft (z.B. Herbizidresistenz) von den herkömmlichen Sorten. Ein anderes Beispiel dafür: Gentechnisch veränderter Bt-Mais hat deutlich holzigere Stengel als herkömmlicher Mais. Die neuen Eiweiße mit der eingebauten Resistenz stören den Stoffwechsel der alten - Positionseffekte nennen die Experten das - und schaffen einen ganz anderen Organismus. Und da jedes neue Eiweiß auch ein potentielles Allergen ist, bestehen große Gesundheitsgefahren. Die Saatgutanbieter streiten dies ab und verweisen auf eigene Analysen. Emily Diamand vom europäischen Umweltverband Friends of the Earth zweifelt am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen. Ihr zufolge gibt es noch gar keine belastbaren Untersuchungen zur Bestimmung von allergieauslösenden Proteinen. "Der eigentliche Test findet statt, wenn die Verbraucher Genfood zu sich nehmen", stellt sie fest.
 

Proteste gegen Genreis in Indien

 
Initiativen wie die indische Green Motherland haben an die Versprechen der Agromultis, mit neuer Technik den Hunger zu bekämpfen, nie geglaubt, weil Hunger für sie ein Verteilungsproblem darstellt: "Technologische Lösungen überdecken die sozialen und ökologischen Probleme, die den Hunger verursachen (...). Gentechnikbefürworter ignorieren die Tatsache, daß die meisten an Hunger leidenden Menschen in Ländern leben, in denen es eher einen Überschuß an Nahrung als einen Mangel gibt." Aktivisten der Gruppe protestierten gegen eine PR-Veranstaltung der Agrounternehmen im indischen Madras mit dem vielsagenden Titel "Shaping the future of rice". "Reis ist Leben und kein Geschäft" war auf den Transparenten unter anderem zu lesen. Zudem veröffentlichte Green Motherland die Untersuchung "Die Kontrolle der Multis über den Reis", die den schrittweisen Ausverkauf von Indiens wichtigstem Lebensmittel an die Agromultis dokumentiert. Dr. Suman Sahai, Direktorin der indischen Initiative Gene Campaign, ergänzt: "Es ist unethisch von Bayer, die wenigen reisanbauenden EU-Staaten zu schützen, indem der Konzern in Spanien, Italien, Griechenland, Portugal oder Frankreich keine Zulassung beantragt. Das Unternehmen gefährdet lieber die Nahrungsmittelsicherheit in den armen Ländern, um den nichtnachhaltigen Konsum der westlichen Staaten zu unterstützen." Für die Bereitschaft, die Sicherheit von Indiens Grundnahrungsmittel Nummer eins aufs Spiel zu setzen, nur um Reis als Tierfutter in die Nahrungskette der fleischfressenden Konsumgesellschaften einzuspeisen, findet sie bloß bitter sarkastische Worte. Bei der Fleischproduktion gehen 90 Prozent des ursprünglichen Nährwerts verloren.
 

Widerstand auf drei Kontinenten

 
Auch in anderen Teilen der Welt wächst Widerstand gegen die Pläne der Agrounternehmen: In Brasilien mußten die Bayer-Forscher einen Freisetzungsversuch vorzeitig beenden, weil sie gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen hatten. Einen weiteren Test ließen die staatlichen Stellen erst gar nicht zu - die eingereichten Unterlagen hätten keine ausreichende Gewähr für die Unbedenklichkeit geboten. Britische Behörden bezeichneten von Bayer durchgeführte Fütterungsstudien mit Genreis an Hühnern als "begrenzt aussagefähig"; eine Zulassung für gentechnisch veränderten Raps, Mais und Zuckerrüben wurde in England nicht erteilt. Auch in Nordamerika ist den "Frankenstein Food"-Plänen Widerstand erwachsen: Die Gruppe Californians for GE-free Agriculture kündigte Klagen gegen die Zulassung von Genreis an. Mehrere Regionen, besonders in den kalifornischen Reisanbaugebieten, verboten den Anbau von manipulierten Pflanzen.
 
Hierzulande haben Friends of the Earth Europe, die BUNDjugend sowie die Coordination gegen Bayer-Gefahren anläßlich der Bayer-Hauptversammlung eine Kampagne gegen Genreis gestartet. Geert Ritsema von Friends of the Earth: "Genmodifizierter Reis stellt ein Gesundheitsrisiko für europäische Verbraucher dar und kann langfristig die Ernährung von Milliarden Menschen außerhalb der EU gefährden. Bei der Beurteilung des Antrags der Firma Bayer hat die EU die moralische Verantwortung, diese Risiken mit zu berücksichtigen." Ritsema befürchtet, daß das weltweit wichtigste Nahrungsmittel in die Hände multinationaler Unternehmen fällt: "Eine europäische Importgenehmigung gibt den multinationalen Konzernen grünes Licht, umweltfeindliche Anbaumethoden in Entwicklungsländer zu exportieren. Das Hauptnahrungsmittel Asiens in die Hände von Unternehmen wie Bayer zu geben, wäre ein gefährlicher Präzedenzfall." Vertreter der drei Verbände kritisierten in der Versammlung vor 7 000 Aktionären das skrupellose Vorgehen des Unternehmens. Bayer-Chef Werner Wenning gab zwar zu, daß die Verbraucher nichts von den Laborpflanzen haben, ging aber auf die Sicherheitsbedenken nicht ein.
 

EU-Kommission entscheidet

 
Daß Bayers Gentechreis niemals aus bundesdeutschen Laboren frisch auf den Tisch kommt, daran arbeiten Friends of the Earth, indische und US-amerikanische Initiativen sowie die Coordination gegen Bayer-Gefahren auch künftig mit vereinten Kräften. In einem gemeinsamen Aufruf heißt es: "Ungeachtet aller Risiken versucht der Bayer-Konzern, die grüne Gentechnik im Markt durchzusetzen. Doch die Ankündigungen der Konzerne, mittels Gentechnik das Welthungerproblem zu lösen, haben sich als bloße Produkteinführungskampagnen erwiesen." Die Verbände schrieben die EU-Kommission sowie die zuständigen Landwirtschaftsminister an und forderten eine Ablehnung der Importzulassung von LL-Reis.
 
Die Mehrheit der EU-Staaten teilt bislang die Bedenken: Neun von 15 Regierungen haben sich im Frühjahr gegen die Importgenehmigung von Genreis ausgesprochen und dadurch eine sofortige Zulassung verhindert. Nun liegt der Antrag zur weiteren Prüfung bei der EU-Kommission, eine endgültige Entscheidung ist nicht vor Anfang 2005 zu erwarten. Da die EU jedoch in den vergangenen Jahren eine Politik pro Gentechnik betrieben hat, ist der Ausgang des Verfahrens trotz des Widerstands in den Einzelstaaten unklar. Die Umweltverbände haben angekündigt, weiter öffentlichen Druck gegen eine Zulassung von LL-Reis zu mobilisieren.
 
Quelle: junge Welt vom 27.08.2004
 
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