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George W. Bush: «Dies ist eine amerikanische Operation – ausgeführt von Israel»

Die Neokonservativen und die Politik des «schöpferischen Chaos»

von Thierry Meyssan, Journalist und Autor, Präsident des Réseau Voltaire, Paris

In Washington und in Tel-Aviv sind die derzeitigen Militäroperationen im Nahen Osten Anlass zur Freude. Gemäss einer Aussage von Condolezza Rice sind die Schmerzen Libanons die «Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens». Für die Theoretiker der «Chaos-Herstellung» ist es notwendig, dass in einer Region Blut fliesst, die sehr reich an Erdöl ist. Nur so kann ihr, gemäss dieser Doktrin, eine neue Ordnung auferlegt werden. Die seit langem geplante Offensive der Tsahal* gegen Libanon wird vom amerikanischen Verteidigungsministerium überwacht.

Anlässlich ihrer Pressekonferenz im State Departement am 21. Juli wurde Condoleezza Rice gefragt, welche Art von Initiativen sie zu ergreifen gedenke, um den Frieden Libanon wiederherzustellen. Sie hat darauf folgendes geantwortet: «Ich sehe als einziges Interesse der Diplomatie, den Status quo ante zwischen Israel und Libanon wiederherzustellen. Ich denke, das wäre ein Fehler. Was wir hier mitverfolgen, sind gewissermassen die Anfänge, die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens, und was auch immer wir tun, wir sollten sicher sein, dass wir in Richtung eines neuen Mittleren Ostens voranschreiten und nicht zum alten zurückkehren.»1
Vom Standpunkt Washingtons aus hat das, was sich heute in Libanon abspielt, nichts mit der Befreiung der von der Hizbollah entführten Soldaten zu tun. Es handelt sich vielmehr darum, die lange gereifte Theorie der «Chaos-Herstellung» in die Praxis umzusetzen. Gemäss den Anhängern des Philosophen Leo Strauss, deren Medienabteilung unter der Bezeichnung «Neokonservative» bekannt ist, wird wahre Macht nicht in der Unbeweglichkeit ausgeübt, sondern im Gegenteil durch die Zerstörung jeder Form von Widerstand. Indem sie die Massen ins Chaos tauchen, können die Eliten danach trachten, ihre Posi­tion zu stabilisieren.
Weiter sagen die Anhänger von Leo Strauss, dass die Interessen der Vereinigten Staaten und Israels nur hinsichtlich dieser Gewalt miteinander einiggehen.
Der Wunsch Israels, Libanon aufzuteilen, dort einen christlichen Mini-Staat zu gründen und einen Teil seines Territoriums zu annektieren, ist nicht neu. Er wurde 1957 von Ben Gurion in einem berühmten Brief, welcher im Anhang seiner posthum erschienenen Memoiren veröffentlicht wurde, ausgesprochen.2 Der Plan wurde insbesondere in ein ausgedehntes Kolonisierungsprojekt des Nahen Ostens integriert, welches unter dem Titel: Eine klare Zäsur: eine neue Strategie zur Sicherung des (israelischen) Königreichs.3 Dieses Dokument wurde in einem neokonservativen Think tank (IASP) verfasst. Eine von Richard Perle einberufene Expertengruppe hatte es vorbereitet und an Benjamin Netanyahu übergeben. Es ist repräsentativ für das Gedankengut des revisionistischen Zionismus von Wladimir Jabotinsky.4 Es sah folgendes vor:
–    Annulierung der Osloer Abkommen
–    Eliminierung von Jassir Arafat
–    Annektierung der palästinensischen Gebiete
–    Sturz von Saddam Hussein im Irak, um in der Folge Syrien und Libanon zu destabilisieren
–    Auflösung/Zerstörung des Irak mit der Gründung eines palästinensischen Staates auf dessen Gebiet
–    Ausnutzung Israels als ergänzende Basis für den amerikanischen Krieg
Dieses Dokument inspirierte die Rede Netanyahus vor dem amerikanischen Kongress am darauffolgenden Tag.5 Man findet dort alle Bestandteile der aktuellen Situation: Drohungen gegen Iran, Syrien und die Hizbollah mit der zusätzlichen Forderung, Ost-Jerusalem zu annektieren.
Dieser Standpunkt stimmt mit dem der amerikanischen Regierung überein. Die Kontrolle der Regionen mit reichen Ölvorkommen, welche Zbignew Brzezinski und Bernard Lewis «Krisenbogen» nannten, das heisst die Achse, welche den Golf von Guinea via Persischen Golf mit dem Kaspischen Meer verbindet, geht von einer Neudefinierung der Grenzen, der Staaten und der politischen Regime aus: Es handelt sich um nichts Geringeres als eine «Neuformung des (grossen) Mittleren Ostens» wie sich George W. Bush ausdrückt.
Das ist in Wahrheit der «neue» Mittlere Osten, als dessen Hebamme sich Condoleezza Rice versteht und welchen sie heute «unter Schmerzen» entstehen sieht.
Die Idee ist einfach: Staaten, welche in der Folge des Zusammenbruchs des ehemaligen Osmanischen Reiches entstanden waren, werden zunächst durch kleinere monoethnische Einheiten ersetzt. Dann schwächt man diese Mini-Staaten, indem man ständig die einen gegen die anderen aufwiegelt. Anders gesagt: Es geht darum, auf die 1916 geschlossenen Geheimabkommen zwischen dem französischen und dem britischen Reich, die sogenannten Sykes-Picot-Abkommen,6 zurückzukommen und die totale Herrschaft über die Region von nun an den Angelsachsen zu übergeben. Um aber neue Staaten zu definieren, muss man zuerst die bestehenden zerstören. Dem widmen sich die Bush- Admin istration und ihre Verbündeten mit dem Eifer von Zauberlehrlingen.
Die Resultate dieses Plans sind mit Händen zu greifen:
–    Das besetzte Palästina wurde um 7% seines Territoriums beschnitten; der Gaza-Streifen und das Westjordanland sind physisch durch eine Mauer getrennt; die palästinensische Regierung ist ruiniert, ihre Minister und Parlamentarier sind abgesetzt und widerrechtlich eingesperrt.
–    Die Uno hat Libanon zur Abrüstung gedrängt, indem dieser die syrischen Verbände des Landes verwies und die Hizbollah auflöste; der ehemalige Premierminister Rafic Harriri wurde ermordet. Mit ihm verschwand der französische Einfluss. Die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes wurde zerstört; mehr als 500 000 Flüchtlinge irren in der Region umher.
–    Im Irak wurde die Diktatur Saddam Husseins durch ein grausameres Regime ersetzt, unter dem monatlich mehr als 3000 Menschen sterben; in völlige Anarchie versunken ist das Land «reif» für eine Aufteilung in drei verschiedene Teile.
–    Das Pseudo-Emirat der Taliban hat einer Pseudo-Demokratie den Platz gelassen, wo noch immer die finsterste Auslegung der Scharia sowie der Mohnanbau herrschen. De facto ist Afghanistan bereits zwischen umstrittene Zonen seiner Warlords aufgeteilt, entsprechende Kampfhandlungen gehören zur Tagesordnung. Die Zentralregierung hat es inzwischen aufgegeben, sich durchzusetzen, selbst in ihrer Hauptstadt.
In Washington werden die Schüler von Leo Strauss immer noch umtriebiger und träumen davon, ihr Chaos auf den Sudan, Syrien und den Iran auszudehnen. In dieser Übergangsperiode geht es nicht mehr um eine Demokratie der grossen Märkte, es geht nur um Blut und Tränen.
Jacques Chirac wollte in Libanon intervenieren, um dort die letzten französischen Interessen zu verteidigen, und sandte seinen Premierminister Dominique de Villepin dorthin. Jetzt muss er zurückbuchstabieren: Während des G-8-Gipfels in St. Petersburg hat Georg W. Bush ihm dies durchkreuzt. Bush liess Chirac wissen, dass es sich beim Krieg in Libanon nicht um eine israelische Operation mit Zustimmung der Amerikaner handle, sondern um eine amerikanische Operation, welche durch Israel ausgeführt werde. Infolgedessen konnte Villepin seinen Gesprächspartnern in Beirut nichts anderes mitbringen als schöne Worte und das Eingeständnis seiner Ohnmacht.
Heute ist bekannt, dass der Plan, Libanon zu zerstören, der Bush- Admin istration vor etwas mehr als einem Jahr von Tsahal vorgelegt wurde, wie der «San Francisco Chronicle» schreibt.7 Er war Diskussionsthema im Rahmen des Weltforums, welches das American Enterprise Institute wie jedes Jahr am 17. und 18. Juni in Beaver Creek veranstaltete. Benjamin Netanyahu und Dick Cheney haben sich lange mit Richard Perle und Nathan Sharansky unterhalten. In den darauffolgenden Tagen wurde vom Weissen Haus dazu grünes Licht gegeben.
Die Militäroperationen von Tsahal werden vom amerikanischen Verteidigungsministerium überwacht. Dieses legt die wesentlichen Punkte der Strategie und die Wahl der Ziele fest. Die Hauptrolle wurde General Bantz Craddock in seiner Funktion als Kommandant des amerikanischen Kommandos Süd zuerteilt. Craddock ist Spezialist für Panzerbewegungen, was er während des «Wüstensturms» zeigte und vor allem während er die Nato-Bodentruppen in Kosovo befahl. Er ist ein Vertrauensmann von Donald Rumsfeld, dessen Generalstab er leitete und für den er das Lager in Guantanamo entwickelte. Im November dieses Jahres soll er zum Chef des Europa-Kommandos der Nato ernannt werden. In dieser Funktion könnte er die Nato-Eingreiftruppen, welche in Südlibanon eingesetzt werden könnten, sowie die bereits in Afghanistan und im Sudan stationierten Eingreiftruppen befehlen.
Die enge strategisch-militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel hat Traditition: Die israelischen und amerikanischen Generäle stehen seit dreissig Jahren im Austausch, dank Zusammenkünften, welche das Jüdische Institut für Nationale Sicherheit (Jewish Institute for National Security Affairs – JINSA) organisierte, eine Vereinigung, die ihre Kader unter anderem dazu verpflichtet, Studienseminare über das Gedankengut von Leo Strauss zu besuchen.     •

*Tsahal ist der Kurzname der Israeli für die Israel Defence Forces IDF, hebräisch Tsva Haganah

1    «But I have no interest in diplomacy for the sake of returning Lebanon and Israel to the status quo ante. I think it would be a mistake. What we’re seeing here, in a sense, is the growing – the birth pangs of a new Middle East and whatever we do we have to be certain that we’re pushing forward to the new Middle East not going back to the old one».
Quelle: Special Briefing on Travel to the Middle East and Europe, State Departement, 21.7.2006.
2    Brief von David Ben Gurion an Moshe Sharett über die Errichtung eines maronitischen Staates in Libanon. Das Dokument ist über die elektronische Bibliothek des Réseau Voltaire verfügbar.
3    A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm, IASPS, 8.7.1996. Eine Kurzversion ist auf der Website des IASPS verfügbar. Der gesamte Inhalt des Dokumentes ist bekannt durch die Zusammenfassungen, die seinerzeit die englische Tageszeitung «The Guardian» machte.
4    Der Vater von Benjamin Netanyahu, Ben-Zion Netanyahu, war der Privatsekretär von Wladimir Jabotinsky, Begründer der zionistischen Revisionismus. Ehud Olmert gehört zur gleichen Bewegung.
5    Rede von Benjamin Netanyahu vor dem Kongress der Vereinigten Staaten, 9.7.1996.
6    Dieser Geheimvertrag wurde am 16.5.1916 von Sir Mark Sykes und François Georg Picot unterzeichnet für Grossbritannien und Frankreich, anschliessend gebilligt von Italien und Russland.
7    «Israel set war plan more than a year ago. Strategy was put in motion as Hizbollah began gaining military strength in Lebanon» von Matthew Kalman, «San Francisco Chronicle», 21.7.2006.

Quelle: www.voltairenet.org/article142364.html (Übersetzung Zeit-Fragen)