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Irak ist kein Ausverkaufsobjekt der USA

Das internationale Recht sagt klar: Paul Bremers Wirtschaftsreformen sind illegal! Dennoch geht der oberste Zivilverwalter der USA im Irak weiterhin daran, ehemals staatliche Betriebe an ausländische Privatkonzerne zu verscherbeln.

von Naomi Klein

Schickt Halliburton nach Hause. Hebt die Verträge auf. Weg mit den Deals. Zerreißt die Regeln. Dies sind nur ein paar Vorschläge für Slogans, die vielleicht helfen, die wachsende Bewegung gegen die Irak-Besatzung unter einen Hut zu bringen. Bislang konzentriert sich die Debatte unter Aktivisten auf die Frage: Sollen wir einen kompletten Truppenabzug fordern, oder sollen die USA die Macht an die Vereinten Nationen abtreten?
Die 'Truppen-raus'-Debatte übersieht aber eine wichtige Tatsache. Selbst wenn morgen der letzte Soldat aus dem Golf verschwindet und eine souveräne Regierung an die Macht kommt, der Irak bleibt besetzt: durch Gesetze, die im Interesse eines anderen Landes gemacht wurden, durch ausländische Konzerne, die entscheidende Dienstleistungen des Landes kontrollieren, durch eine Arbeitslosigkeit von 70%, deren Auslöser Entlassungen im öffentlichen Sektor waren. Jede Bewegung, die es ernst meint mit der Selbstbestimmung des Irak, sollte nicht nur das Ende der Militärokkupation des Irak fordern sondern auch das der Wirtschaftskolonialisierung, soll heißen, Rücknahme der Schocktherapie-Reformen - die von US-Besatzungschef Paul Bremer irreführenderweise als "Wiederaufbau" verkauft wurden -, und Aufhebung sämtlicher Privatisierungsverträge, die aus diesen Reformen hervorgegangen sind.

Wie ist so ein ehrgeiziges Ziel zu erreichen? Ganz einfach: Man weist nach, dass Bremers Reformen zumindest illegal sind. Sie stellen einen klaren Verstoß gegen jene internationale Konvention dar, die das Verhalten von Besatzungstruppen regelt: das Haager Abkommen von 1907 (ein Pendant zu den Genfer Konventionen von 1949, beides von den USA ratifiziert), und sie sind auch ein Verstoß gegen den Kriegskodex der US-Army. Das Haager Abkommen legt fest: "außer wo dies absolut unmöglich ist", hat eine Besatzungsmacht "die Gesetze, die im Land in Kraft sind" zu respektieren.
In hämischem Trotz hat die Provisorische Behörde der Koalition (CPA) diese simple Regel geshreddert. Laut Iraks Verfassung ist die Privatisierung maßgeblicher staatlicher Aktiva gesetzeswidrig, Ausländern ist es verboten, irakische Firmen zu besitzen. Ich komme auf kein plausibles Argument, warum es der CPA "absolut unmöglich" sein sollte, diese Gesetze zu befolgen. Und dennoch hat die CPA genau das vor zwei Monaten getan - sie unilateral über Bord geworfen. Am 19. September setzte Bremer die inzwischen schon berüchtigte 'Order 39' inkraft, mit der die Privatisierung von 200 irakischen Staatsunternehmen verkündet wurde. Die Order verfügt, dass ausländische Firmen bis zu 100% an irakischen Banken, Minen und Fabriken halten können, und diesen Firmen ist auch erlaubt, 100% der Profite außer Landes zu schaffen. Der 'Economist' erklärt die neuen Regeln zum "kapitalistischen Traum".

Aber auch in anderer Hinsicht verstößt 'Order 39' gegen das Haager Abkommen. Denn in dieser Konvention ist festgelegt, Besatzungsmächte "sind ausschließlich als Verwalter und Nießbraucher von öffentlichen Gebäuden, Immobilien, Wäldern and agrikulturellen Liegenschaften, die dem feindlichen Staat gehören und im besetzten Land liegen zu betrachten. (Die Besatzungsmacht) hat das Kapital dieser Besitztümer zu sichern sowie diese in Übereinstimmung mit den Regeln des Nießbrauchs zu verwalten." 'Bouvier's Law Dictionary' (Lexikon des Rechts) definiert "Nießbrauch" ('usufruct' - das vielleicht hässlichste englische Wort) als Vereinbarung, mit der einer Partei das Recht eingeräumt wird, den Besitz einer andern zu nutzen und daraus Gewinn zu erzielen, allerdings "ohne die Substanz der Sache" zu verändern. Simpler ausgedrückt: Ein Haus-Sitter darf zwar den Kühlschrank leeressen aber nicht das ganze Haus in Ferienwohnungen umwandeln und verhökern. Aber genau das tut Bremer. Wie könnte man "die Substanz" öffentlichen Besitzes wohl tiefgreifender verändern als durch Umwandlung in Privatbesitz? Falls der CPA dieses kleine Detail entgangen sein sollte - im Landkriegsrecht der US-Army ('Law of Land Warfare') steht: "der Besatzer hat nicht das Recht, (nicht-militärischen) Besitz zu veräußern oder unqualifiziert zu nutzen". Eine klare Sache: Wenn man etwas bombardiert, heißt das noch lange nicht, man hat das Recht, es zu verkaufen.

Sehr vieles spricht dafür, dass der CPA die Ungesetzlichkeit ihres Privatisierungsschemas wohl bewusst war. In einem durchgesickerten Memo vom 26. März warnt der britische Generalbundesanwalt Lord Goldsmith Tony Blair, dass "eine Auferlegung weitreichender struktureller Wirtschaftsreformen nicht durch das internationale Recht autorisiert wäre".
Bislang dreht sich die Kontroverse bezüglich Wiederaufbau des Irak meist um Verschwendung und Korruption bei der Vergabe von Verträgen - am wahren Ausmaß des Missbrauchs geht das aber extrem vorbei. Selbst wenn sich der Ausverkauf des Irak in völliger Transparenz und im offenen Wettbewerb vollzöge, er wäre illegal - aus dem einfachen Grund, der Irak ist kein Verkaufsobjekt der USA. Auch dass der UN-Sicherheitsrat die amerikanische bzw. britische Besatzungsbehörde anerkannt hat, kann hier keine rechtliche Deckung bieten. In der UN-Resolution vom Mai wird von den Besatzungsmächten ausdrücklich verlangt, "ihren Verpflichtungen gemäß internationalem Recht vollständig nachzukommen, einschließlich und vor allem den Genfer Konventionen von 1949 und dem Haager Abkommen von 1907". Eine wachsende Zahl internationaler Rechtsexperten vertritt mittlerweile die Auffassung, sollte sich die nächste irakische Regierung entscheiden, keine reine Filiale von Bechtel und Halliburton sein zu wollen, könnte sie starke rechtliche Argumente haben, eine Renationalisierung der Aktiva durchzuführen - Aktiva, die unter dem Edikt der CPA privatisiert wurden. Juliet Blanch - globaler Kopf einer großen internationalen Anwaltskanzlei (Norton Rose) und im Bereich 'Energie' und 'internationale Schiedsgerichtsbarkeit' tätig -, sagt, da Bremers Reformen in direktem Widerspruch zur irakischen Verfassung stehen, "verstoßen" sie auch "gegen internationales Recht und sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchsetzbar".

Blanchs Argument, die CPA "ist nicht in der Lage noch besitzt sie die Autorität, jene (Privatisierungs-)Kontrakte zu unterzeichnen". Somit hätte eine souveräne irakische Regierung "ein ziemlich schlagkräftiges Argument zur Renationalierung ohne Kompensationszahlungen". Unternehmen, die sich mit einer solchen Enteignung konfrontiert sähen, hätten, so Blanch "keine rechtlichen Mittel". Einzige Lösung für unsere Administration: dafür Sorge zu tragen, dass die nächste Regierung des Irak alles andere ist als souverän. Sie müsste vielmehr geschmeidig genug sein, die illegale Gesetzgebung der CPA zu unterschreiben. Und das Ganze wird man dann als glückliche Hochzeit des freien Markts mit einem freien Volk feiern.

Ist es erst soweit, ist alles zu spät: die Verträge unter Dach und Fach, die Deals durchgezogen, und die Besatzung des Irak permanent. Die Kräfte des Friedens sollten also das sich rasch schließende Fenster noch nutzen und eine künftige irakische Regierung fordern, die frei ist von den Fesseln der Reformen. Es ist zu spät, den Krieg zu verhindern. Aber es ist noch nicht zu spät zu verhindern, dass die Invasoren - myriadenfachen - wirtschaftlichen Lohn einheimsen - Lohn, für den sie diesen Krieg in erster Linie geführt haben. Es ist nicht zu spät, die Verträge zu canceln und die Deals zu stoppen.

Übersetzt von: Andrea Noll

Quelle: The Guardian / ZNet; 07.11.2003