Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Israelische Armee setzt Welle der Tötungen fort

Vom alltäglichen Terror der israelischen Armee an der palästinensischen Zivilbevölkerung.

von Kristen Ess Heute Morgen um 8 Uhr bebte in Gaza-Stadt die Erde. Ein Mann sagt zu mir: "Ich ging gerade die Treppe hoch, um zu arbeiten. Ich dachte, das ganze Gebäude stürzt auf mich runter." Die Nachbarn strecken die Köpfe zum Fenster heraus, um zu sehen, was los ist. Am Himmel kleben vier Apache-Helikopter (Geschenke der Amerikaner) - je zwei zur rechten und linken Seite unserer Köpfe - sie schießen Raketen auf ein Auto ab. Die Explosionen erschrecken die ohnedies terrorisierte, attackierte Bevölkerung. Es handelt sich um eine gezielte Ermordung. Einer der Ermordeten ist Zahnarzt in der Klinik der Islamischen Universität hier in Gaza-Stadt, zudem ist er einer der Führer des politischen Flügels der Hamas. Sein Name: Dr. Ibrahim Ahmad al-Maqadmeh. Nachdem das israelische Militär mit dem Raketenbeschuss fertig ist, hängen die Helikopter-Schlachtschiffe noch ungefähr 15 Minuten arrogant in der Luft. Keiner weiß, ob sie noch einmal anfangen werden zu schießen. Ein Mann hier sagt, seiner Ansicht nach wollten die Israelis nur sicherstellen, dass alle im Wagen tot sind. "Sie haben gewartet, ob noch einer lebend rauskommt". Aber keiner kam raus. Zusammen mit Dr. al-Maqadmeh starben heute Morgen durch die Hand des israelischen Militärs: Abdul Rahman Zuheer al-Amudi, ein 29jähriger aus dem ash-Shati-Flüchtlingslager, Khalid Jum'a, ein 30jähriger aus Jabalia sowie der ebenfalls 30jährige Ala' Udeh al-Shukri aus Gaza-Stadt. Zwei weitere Personen wurden verletzt. Mehrere Häuser u. ein zweites Auto wurden beschädigt. Vorgestern Nacht ermordete das israelische Militär 10 weitere Menschen - 8 im Flüchtlingslager el-Bureij, 2 im Namsawi-Viertel von Khan Younis. Somit sind allein im Gazastreifen binnen etwas mehr als einer Woche circa 100 Palästinenser getötet worden - durch das israelische Militär. Das Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt quillt über vor Patienten. Derzeit gibt es eine internationale Kontroverse, ob Israel (was die israelische Militärregierung bestreitet) in ihre Panzergranaten Flechette*-Munition (made in USA) mischt - was nach internationalem Recht verboten wäre. Es dreht sich um das Massaker vor zwei Tagen im Flüchtlingslager Jabalia**. Gerade habe ich Dr. Mu'awiya Hassanain dazu befragt. Er ist nicht nur Chefchirurg der Abteilung für Verletzte und Traumapatienten sowie Gefäßchirurg hier im Shifa-Krankenhaus (Hauptklinik von Gaza-Stadt) sondern auch Generaldirektor (Bereich: 'Casualty and Emergency') im Gesundheitsministerium der Palästinenserbehörde. Dr. Hassanain: "Ich möchte Ihnen sagen, ich möchte Ihnen zeigen, dass die Israelische Armee Panzergranaten einsetzt, die mit Flechettes gefüllt sind. Derartige Flechettes durchdringen den menschlichen Körper und töten, wenn sie durch den Kopf eindringen, durch das Genick, die Brust oder durch den Bauchraum, beziehungsweise, wenn sie in diese beiden wichtigen Gefäße eindringen: die Aorta oder die Oberschenkelader. Das führt dann zum Tod durch hämolytischen Schock, hämorrhagischen Schock oder durch andere Ursachen. Ich bin hier der verantwortliche medizinische und rechtliche Doktor für die ganze Intifada. Ich habe die Position von 'Dr. Intifada'. Ich bin der Erste, der die palästinensischen Opfer der israelischen Tötungen und die Angeschossenen, zu Gesicht bekommt und untersucht. Was ich an jenem Tag des Verbrechens gesehen habe, was wir hier reinbekommen haben an jenem blutigen Tag, an dem das im Flüchtlingslager Jabalia geschah, war das Resultat von Panzergranaten, die gefüllt waren mit Flechettes der Israelischen Armee. 8 Palästinenser starben binnen Minuten, 60 weitere waren durch die Flechettes und Panzergranaten verletzt worden. Ich möchte noch erwähnen, wenn die Flechettes am Kopf einschlagen, dringen sie bis ins Gehirn vor und führen zum Tod. Wenn sie in große Gefäße eindringen, kommt es zu massiven Blutungen, dringen sie in die Brust ein, in die Nähe des Herzens, bringen sie dieses oder die Lungen zum Explodieren. Genauso im Bauch. Alle Palästinenser (die bei dem Angriff getötet wurden) starben durch Flechettes". Ich besuche in der Klinik auch noch einen kleinen Jungen. Er war bei dem Angriff in Jabalia verletzt worden, als er neben den Feuerwehrmännern stand, die gerade ihre Arbeit taten. Seine beiden Oberschenkel sind dick bandagiert. Seine Nase ist zerschmettert u. voll mit verkrustetem Blut, die Wundheilung hat bereits eingesetzt. Es ist schwer für Familienangehörige, sich im Krankenhaus zurechtzufinden, es gibt einfach soviele Verletzte hier, die Zimmer, die Flure, alles voll. Ich frage den Doktor, ob er mir keins dieser Flechettes zeigen kann. Er hält mir ein Flechette hin u. sagt: "Ich habe es zusammen mit weiteren Schrapnells einer Leiche, einem Körper, entnommen. Wir müssen viel leiden durch die Israelische Armee". Anmerkung d. Übersetzerin * Die israelische Menschenrechtsorganisation B'tselem gibt zu der vom israelischen Militär (mutmaßlich) verwendeten Flechette-Munition an: Die Flechettes sind eine Antipersonen-Waffe; Flechettes werden mittels Panzergranaten abgefeuert. Die Granate explodiert in der Luft, dabei werden tausende von kleinen Metallpfeilen (3,75mm lang) freigesetzt. Streuung: 300 Meter in die Weite, 90 Meter in die Breite. ** Zum israelischen Angriff auf das Flüchtlingslager Jabalia siehe Kristen Ess Artikel 'Angriff auf Gaza', hier auf dieser Seite. Übersetzt von: Andrea Noll; ZNet 10.03.2003