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Kampf der Demokratie - im Namen der Demokratie

Der gewählte Anführer Haitis wurde von Frankreich und den USA als Bedrohung für ihre wirtschaftlichen Interessen angesehen. Deshalb wurde er aus dem Amt gejagt.

Von Peter Hallward

Jean-Bertrand Aristide wurde im November 2000 als Präsident von Haiti mit über 90% der Stimmen wiedergewählt. Er wurde von Menschen gewählt, die 1995 seine mutige Ablösung von den militärischen Kräften, die lange Zeit Haiti terrorisiert hatten und seine erste Regierung gestürzt hatten, unterstützten. Er wurde von Menschen gewählt, die seine vorsichtigen Versuche praktisch ohne Finanzierung oder Einnahmequellen in Bildung und Gesundheit zu investieren, unterstützen. Er wurde von Menschen gewählt, die seinen Überzeugung teilten, die US-amerikanische Opposition zu schwächen und die Bedingungen für die am schlechtesten bezahlten Arbeiter der westlichen Hemisphäre zu verbessern.

Aristide wurde am Sonntag von Leuten aus dem Amt gezwungen, die wenig gemeinsam haben, außer ihrer Opposition zu seiner fortschrittlichen Politik und ihrer Ablehnung des Demokratisierungsprozesses. Mit der begeisterten Unterstützung von Haitis früheren Kolonialherren wurde ein Präsident, der mit überwältigender öffentlicher Unterstützung gewählt worden war, von einer losen Gruppierung von verurteilten Menschenrechtsverletzern, von aufrührerischen früheren Armeeoffizieren und amerikafreundlichen Wirtschaftsbossen aus dem Amt vertrieben.

Es ist offensichtlich, dass Aristides Vertreibung für Jacques Chirac eine lang erwartete Möglichkeit bot, die guten Beziehungen zu einer amerikanischen Regierung wiederherzustellen, der er gewagt hatte im Falle der Frage des Angriffs auf den Irak zu widersprechen. Und es ist sogar noch offensichtlicher, dass die Charakterisierung von Aristide als ein weiterer verrückter, von absoluter Macht besessener Idealist in perfektem Einklang mit der politischen Version der Geschichte, die George Bush vertritt steht, und dass der Sturz des haitianischen Anführers die Tore für eine noch rücksichtslosere Ausbeutung der südamerikanischen Arbeiter öffnen würde.

Wer die Presse in den letzten Wochen verfolgt hat, wird wissen, dass diese spezielle Version der Ereignisse sorgfältig vorbereitet wurde von wiederholten Anschuldigungen, dass Aristide die Wahlen 2000 manipuliert und gewalttätige Milizen auf seine politischen Gegner angesetzt hätte, Haitis Wirtschaft kollabieren hätte lassen und sein Volk an den Rand einer humanitären Katastrophe gebracht hätte.

Aber sehen wir uns diese Wahlen doch einmal genauer an. Ein gründlicher und überzeugender Bericht der internationalen Vereinigung unabhängiger Beobachter kam zu dem Schluss, dass die Wahlen 2000 gerecht und friedlich abgelaufen seien. Und im Vergleich zu den, im gleichen Jahr in den USA abgehaltenen Präsidentschaftswahlen waren sie geradezu beispielhaft.

Warum wurden sie dann von der Organisation der amerikanischen Staaten (OAS) als "fehlerhaft" bezeichnet? Nachdem Aristides Lavalas Partei 16 von 17 Sitzen im Senat erreicht hatte, hatte die OAS die Methode der Errechnung der Wahlergebnisse kritisiert. Interessanterweise sahen jedoch weder die USA noch die OAS diese Methode im Vorfeld der Wahlen als problematisch an.

Doch nach dem Sieg der Lavalas reichte das plötzlich als Rechtfertigung um das Land in den wirtschaftlichen Ruin zu schicken. Bill Clinton berief sich auf die Vorwürfe der OAS um das lähmende Handelsembargo gegen Haiti zu rechtfertigen, das bis heute besteht, und das wirksam die Zahlung von ca. 500Mio US-Dollar an internationalen Hilfsgeldern verhindert.

Aber was ist mit Aristides randalierenden Anhängern in Port-au-Prince? Es besteht kein Zweifel, dass Aristide eine Mitverantwortung für die Dutzenden Toten trägt, die in den letzten 48 Stunden gemeldet wurden. Aber wenn man bedenkt, dass seine Anhänger keine Armee haben, die sie beschützt, und wenn man bedenkt, dass die Polizei des ganzen Landes nur ein Zehntel des Polizeiaufgebotes von New York City ausmacht, ist es wert sich zu erinnern, dass diese Zahl nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen ist, die in den letzten Wochen von den Rebellen getötet wurden.

Einer der Gründe, warum Aristide beständig von der Presse verunglimpft wird ist, dass die Kommunikationsdienste auf denen die meisten Nachrichtenübertragungen beruhen, von der lokalen Presse abhängen, die ganz Aristides Gegnern gehört. Ein anderer, wichtigerer Grund für diese Verunglimpfung ist, dass Aristide es nie gelernt hat freimütig an ausländische wirtschaftliche Interessen zu appellieren. Er akzeptierte, zur Bestürzung der armen Arbeiter, widerwillig eine Reihe von strengen Strukurreformplänen des IWF, aber er weigerte sich der völligen Privatisierung der staatlichen Ressourcen zuzustimmen, und blieb bei seinen Ansichten in Bezug auf Löhne, Bildung und Gesundheit.

Was in Haiti passiert ist, ist nicht, dass ein Führer, der früher vernünftig war, von der Macht zerfressen wurde, die Wahrheit ist, dass ein im Großen und Ganzen gleichbleibender Aristide nie ganz dazu bereit war, all seine Prinzipien aufzugeben.

Doch am schlimmsten ist, dass er, mit dem was von einer ernsthaften Bewegung für eine politische und wirtschaftliche Machtübernahme übrig geblieben war, fest verbunden blieb. Und nur deswegen war es unausweichlich, dass er nicht nur aus dem Amt verbannt wurde, sondern auch in den Augen seines Volkes und denen des Restes der Welt völlig in Verruf gebracht wurde. Wie Noam Chomsky sagte: die Androhung eines guten Beispiels führt zu Vergeltungsmaßnahmen, die in keinem Verhältnis zu der strategischen oder wirtschaftlichen Bedeutung des besagten Landes stehen. Deswegen haben sich die Anführer der Welt zusammengetan um eine Demokratie im Namen der Demokratie zu zerstören.

Peter Hallward unterrichtet Französisch am King's College in London und ist der Autor von "Absolutely Postcolonial"

Quelle: Guardian / ZNet 02.03.2004