Keine Sicherheit auf Kosten der Freiheit
Plädoyer Heiner Geißlers für Menschenwürde fand viel Beifall beim 55. Deutschen Anwaltstag.
Von Claus Dümde Der leidenschaftliche Appell des CDU-Politikers Heiner Geißler zur Verteidigung der Menschenwürde und des Rechtsstaats gegen Sicherheitsideologien einer globalisierten Welt des Profits und der Kriege hat am 21. Mai 2004 beim 55. Deutschen Anwaltstag in Hamburg politische Akzente gesetzt. "Sicherheit und Ordnung auf Kosten der Freiheit?" hieß das Thema des Festvortrags, zu dem der Deutsche Anwaltverein den Ex-CDU-Generalsekretär und Bundesminister a.D. eingeladen hatte. Der studierte Jurist, der Richter war, bevor er Politiker wurde, ging es so an, dass er von vielen begeisterten Beifall erhielt, während andere keine Hand rührten. So, als er mit der indischen Bürgerrechtlerin Arundhati Roy fragte, ob der internationale Terrorismus nicht nur Antwort auf eine Welt der Armut ist, in der 2,6 Milliarden Menschen weniger als zwei Dollar am Tag zum Leben haben, eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, der Diskriminierung und Unterdrückung, der kriminellen Ausbeutung der Natur.
Antwort des Westens heißt Profit und Krieg "So kann es nicht weitergehen", betonte Geißler. Denn die Antwort der westlichen Gesellschaften auf eine globalisierte Welt ohne Regeln, eine Welt der Anarchie, deren Teil die Terroristen sind, heiße ökonomisch Shareholder Value und politisch Krieg. Dies führe zur "Zerstörung der Freiheit von immer mehr Menschen". Die USA und Großbritannien hätten in Irak nahezu alle völkerrechtlichen Regeln und Gesetze des Krieges aufgegeben. Ultima Ratio sei dieser Krieg "mit Sicherheit nicht" gewesen, eine politische Lösung des Konflikts habe man gar nicht versucht. Nicht weniger scharf ging Geißler mit Deutschland und sich selbst um: Nach dem 11. September 2001 habe auch er im Bundestag "Antiterrorgesetze" rasch verabschiedet, die "unzweifelhaft" zu Teilen ebenso verfassungswidrig sind, wie das Karlsruhe unlängst dem Großen Lauschangriff attestiert hat. Er forderte Bundesjustizministerin Zypries auf, daher auch gleich diese Gesetze zu überarbeiten. "Die Demokratien antworten auf ihre Bedrohung mit Einschränkung von Grundrechten und Freiheit", kritisierte der CDU-Politiker. Dies bringe aber "nicht mehr Sicherheit, sondern immer mehr Verunsicherung". Geißler beklagte den Verlust des "ethischen Kompass", an dessen Stelle die Börsenkurse, der Dax getreten sind. "Beim Tanz um das goldene Kalb haben wir die Gesetzestafeln verloren", sagte er und starker Beifall gab ihm Recht. Die Antwort auf die Frage "Was ist der Mensch?" bestimme alles Weitere, betonte der Redner. Auch die in Artikel 1 Grundgesetz postulierte Menschenwürde sei für so manchen hier zu Lande nur unantastbar, wenn er Deutscher ist. Sonst könne man ihn durch eine Glastür jagen oder in einer Jauchegrube versenken. Freiheit gerate in Gefahr, wenn Behörden und öffentliche Gewalt die Achtung der Würde vermissen lassen, die dem Menschen um seiner selbst zukommen. Die Menschenwürde dürfe auch nicht durch das Strafverfolgungsinteresse des Staates relativiert werden. "Es gibt keine Sicherheit auf Kosten der Freiheit."
Quelle: Neues Deutschland, 22. 5. 2004 (www.nd-online.de) Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer
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