Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Konsolisierung des Krieges

Ein neuer Online-Dienst verkauft Ballerspiele mit echten Kriegsszenen aus dem Irak. Unterstützt wird das Geschäft mit dem Militainment vom Pentagon.

Der Spaß beginnt mit zwei Leichen: Udai und Kussei, die beiden Söhne von Saddam Hussein, liegen aufgebahrt nebeneinander, nackt, narbenübersät, vom US-Militär zur Schau gestellt wie Exponate in einem Gruselkabinett. Mit dieser Szene, die letzten Sommer weltweit Schlagzeilen machte, beginnt die erste Episode eines neuen Ballerspiels namens "Kuma: War", das seit einigen Tagen als Testversion angeboten wird. Damit ist der Auftrag vorgegeben: Die Gefangennahme der Saddam-Söhne soll nachgespielt werden. "Heute kehren wir zurück zum 22. Juli 2003. Der Ort: Mossul, Irak", begrüßt ein Moderator den Computerspieler, nachdem dieser das Programm auf seinen PC geladen und installiert hat. Die Moderation imitiert den Nachrichtenstil von CNN. Ein waschechter Militärexperte kommentiert dazu das Kampfgeschehen: Generalmajor Thomas Wilkerson, ein Offizier der Marines im Ruhestand, mimt seine Rolle gut: Er liefert eine krude Mischung aus Faktenschnipseln, Jargon und plumper Propaganda, wie es ein Pentagon-Pressesprecher nicht besser könnte. Schließlich erklärt eine junge "Game-Analystin", was der Spieler nun zu tun hat: "Die Feinde sind überall, und ihr solltet jeden, der eine Kalaschnikow hat, als Feind betrachten." An die Tasten, fertig, los. Der Spieler bewegt sodann eine Gruppe von US-Soldaten durch ein 3-D-Modell von Mossul und versucht so, die Villa der Saddam-Söhne einzukreisen. Hinter jeder Ecke hocken bewaffnete Pixel-Gegner und müssen per Mausklick erledigt werden. Schließlich gilt es, eine Rakete in den ersten Stock der Villa zu feuern - ähnlich wie es auch in der Realität geschah. Dann ist die erste Mission beendet - "ein Wendepunkt in der Operation ,Iraqi Freedom'", wie der Moderator lobt, "und ein Meilenstein im Krieg gegen den Terror". Im Monatsrhythmus sollen Abonnenten des Spiels neue Szenarien gegen einen Beitrag von zehn Dollar herunterladen können. Nächstes Highlight: die Gefangennahme von Saddam Hussein. Weitere Missionen wenden sich gegen die Taliban und nordkoreanische Soldaten. Mit "Kuma: War" geht das Kriegs-Entertainment in eine neue Runde. Kaum je zuvor bildete ein PC-Spiel jüngste Ereignisse so zeitnah ab; meist benötigen die Entwickler mindestens zwei Jahre, um aufwendige Spiele auf den Markt zu bringen. "Wir ermöglichen ihnen, die Nachrichten auf eine einzigartige Weise zu erleben, wie es im Fernsehen nicht geht", prahlt Keith Halper, Chef der Spiele-Klitsche "Kuma Reality Games" mit Sitz in New York City. Der erste Golf-Krieg habe CNN groß gemacht, sagt er, der zweite Golf-Krieg werde Kuma groß machen. Halper spricht lieber nicht von Spiel und Spaß, sondern von Simulation - das klingt seriöser. Stolz verweist er auf die Realitätsnähe seines Militainments: Die 3-D-Modelle basieren auf Satellitenkarten; die Videoszenen stammen von US-Truppen sowie von "Embedded Reporters"; die Waffen werden detailgenau mit Vor- und Nachteilen erläutert. Derlei schamlose Verramschung von menschlichem Leid taugt zum Skandal - und Halper scheint genau darauf zu setzen: öffentliche Entrüstung als kostenlose Werbung. Denn vom reinen Spielvergnügen her hat "Kuma: War" nicht allzu viel zu bieten. "Für das Entwickeln guter Spiele braucht man viele Monate Zeit", sagt Hartmut Gieselmann, Autor des Buchs "Der virtuelle Krieg" und Redakteur bei der Computerzeitschrift "c't". "Solche Schnellschuss-Spiele liegen oft nur wenig über dem ,Moorhuhn'-Niveau." Doch selbst mickrige Kriegsdaddeleien sind Teil einer großen Konvergenz aus Militär und Entertainment. Seit 2001 verwendet das Pentagon eine Variante des beliebten Ballerspiels "Tom Clancy's Rainbow Six", um Soldaten für den Häuserkampf zu trainieren. Und vor zwei Jahren kam der sechs Millionen Dollar teure Taktik-Shooter "America's Army" heraus, der heute zu den fünf beliebtesten Online-Spielen zählt. Entwickelt wurde er von der Naval Postgraduate School unter Mitwirkung von Lucasfilm als unterhaltsames Rekrutierungswerkzeug. Noch in diesem Jahr plant das US-Militär sogar den Einmarsch ins Reich der Xbox-Konsolen von Microsoft - mit dem Spiel "Full Spectrum Warrior". Dabei handelt es sich um eine Abwandlung der Militärsimulation "Full Spectrum Command", mit der die US-Armee Offiziere ausbildet. Entwickelt wurde der Taktiktrainer am Institute for Creative Technologies bei Los Angeles, einem mit Unterstützung des Pentagon gegründeten Entwicklungslabors, das eng mit der Filmindustrie zusammenarbeitet. Die größten Ambitionen hat das Amt für "Simulation, Training & Instrumentation" der US-Armee. Dort soll die gesamte Erdoberfläche wirklichkeitsgetreu nachgebildet werden, um eine Simulanten-Armee für Einsätze an jedem beliebigen Ort der Welt trainieren zu lassen. "Kuma: War" ist folglich nur ein kleiner Nebenschauplatz einer groß angelegten Kampagne zur Konsolisierung des Krieges - der lustvollen Grenzverletzung zwischen Simulation und Wirklichkeit. Der Sieger in diesem Spiel steht bereits fest: Full Score für das Pentagon. Hilmar Schmundt Quelle: DER SPIEGEL 11/2004 - 08. März 2004