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Norwegische und Schweizer Bauern gemeinsam gegen die WTO

"Alle Länder sollen das Recht haben, ihre eigenen Nahrungsmittel zu produzieren"
Schweizer BauernSeit mehreren Wochen ist eine Gruppe norwegischer Bauern unterwegs zum Sitz der WTO in Genf. Der Norwegische Bauernverband hat den Marsch organisiert, um den Forderungen der Bauern, die wie in anderen Ländern um ihre Existenz kämpfen, Nachdruck zu verleihen. In Genf, wo gegenwärtig Verhandlungen zur Vorbereitung der nächsten WTO-Konferenz in Hongkong geführt werden, wird am 26. Juli die Resolution mit den Forderungen der Bauern übergeben werden (siehe unten).
 
gl. 20 Männer und Frauen verschiedenen Alters aus allen Regionen Norwegens sind zu Fuss und mit dem Reisebus durch Deutschland und die Schweiz unterwegs und begegnen bei jedem Halt auch den einheimischen Bauern und ihren Problemen.
 
Im landschaftlich wunderschön gelegenen Lungern in der Zentralschweiz machten die norwegischen Bauern zum Beispiel halt auf dem Bergbauernhof der Familie Ming.
 
Wie erfinderisch die Bauern sind, um die Landwirtschaft am Leben zu erhalten, zeigt das Beispiel der Bergbauernfamilie Alois und Susanne Ming, den freundlichen Gastgebern. Sie bewirtschaften einen Bio-Betrieb von 12 Hektaren mit 13 Kühen, 14 Stück Jungvieh, 5 Muttersauen, einem Eber, Hund, Katzen, Enten und Hühnern. Typisch für das Bergdorf Lungern sind die 3-Stufen-Betriebe, das heisst Heimbetrieb, Berggut und Alp. Heimbetrieb und Berggut liegen in Bergzone 2 und 3, auf 750-900 m ü.M. Die Parzellen auf dem Heimbetrieb liegen weit auseinander, so dass diese Betriebsform sehr arbeitsintensiv ist.
 
Sohn Beat lebt von Mai bis Ende September mit dem Vieh auf der Alp im Kleinen Melchtal und stellt Seefelder Alpkäse und Butter her, die von Susanne Ming direkt vermarktet werden. Im Winter arbeitet er in seinem zweiten Beruf als Landmaschinenmechaniker in einer Fabrik. Von jeher ist Familie Ming auf einen Zuerwerb angewiesen.
 
Von Ende Mai bis Mitte Oktober betreiben sie Agrotourismus - das heisst "Schlaf im Stroh", Buirä Zmorgä (Bauernfrühstück), Ferienwohnung, Alphüttenferien, Gästebewirtung. Susanne Ming ist Präsidentin von "Schlaf im Stroh".
 
Der Vizepräsident des Norwegischen Bauernverbandes, Hans Ellef Wettre, erläuterte die in einem Gespräch die Besonderheiten der norwegischen Landwirtschaft. Sie ist von kleinen Bergbauernhöfen geprägt, die meist als Familienbetriebe geführt werden. Im Durchschnitt besteht eine norwegische Milchviehherde aus 15 Kühen, in den USA hingegen aus 80 und in Neuseeland aus 190 Kühen. Das kalte Klima ist für die Landwirtschaft ein Handikap. Im Südosten des Landes, der besten Lage, beträgt die Vegetationsperiode nur 190 Tage, verglichen mit zum Beispiel 281 Tagen in Paris. Für Norwegen ist die Schweiz einer der wichtigsten Alliierten im Kampf gegen die grosse Lebensmittelindustrie, hob Wettre hervor. Er forderte die WTO auf, endlich offen auszusprechen, was bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Die WTO muss das Recht aller Länder auf eigene Produktion schützen.
 

Ähnliche Probleme in der Schweiz

 
Die Probleme der Schweizer Berglandwirtschaft sind ähnlich wie in Norwegen, erläuterte der Präsident des Zentralschweizer Bauernbundes, Martin Ambauen. Mit durchschnittlich 12,5 Hektaren Land liegen die Betriebe deutlich unter dem schweizerischen Mittel von 18 Hektaren je Betrieb. Das Einkommen der Bergbetriebe je Familienarbeitskraft liegt rund 30% unter dem schweizerischen Mittel. Es ist viel Handarbeit nötig, und die Mechanisierung ist durch die schwierigen topographischen Bedingungen teurer als im Flachland. Trotzdem stellt die wichtigste Einnahmequelle nach wie vor der Produkterlös dar. Der Zuerwerb hat eine grosse Bedeutung. In höheren Bergregionen sind die Bauern noch mehr auf die staatlichen Direktzahlungen angewiesen als in tieferen Lagen.
 
Es ist wohl nur mit der starken Naturverbundenheit, der Liebe zu Land und Tieren und dem starken Freiheitsgeist der Bauern zu erklären, dass sie noch immer durchhalten und kämpfen. Sie nehmen die Verantwortung für den Erhalt unserer Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln und der Kulturlandschaft wahr, soweit es noch möglich ist - eine Aufgabe, die in unser aller Interesse liegt.
 
Die Forderungen des Norwegischen Bauernverbandes nach einem geregelten Welt-agrarhandel können von der Schweiz nur unterstützt werden. Auf dass überall auf der Welt eine von selbständigen, gerecht bezahlten Bauern betriebene Landwirtschaft erhalten werden möge - zum Wohle auch der künftigen Generationen.
 

Forderungen des Norwegischen Bauernverbandes

 
1. Alle Länder sollen das Recht haben, ihre eigenen Nahrungsmittel zu produzieren.
2. Die WTO sichert allen Ländern das Recht zu, ihre eigene Produktion von Nahrungsmitteln zu fördern und zu beschützen. Die Regeln für den Weltagrarhandel müssen sich auf internationale Solidarität und nachhaltige Entwicklung gründen.
3. Die Produktion von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung darf mit Zöllen geschützt werden.
4. Bei der Gewährung von Subventionen soll unterschieden werden zwischen dem Binnenmarkt und den Bauern, die für den Export produzieren.
5. Exportsubventionen sollen abgeschafft werden, insbesondere weil künstlich verbilligte Produkte den Binnenmarkt in den Entwicklungsländern bedrohen.
6. Die Verhandlungen der WTO, die den Agrarsektor betreffen, sollen nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern offener und demokratischer geführt werden.
 
Die Fähigkeit, die eigene Bevölkerung selber zu ernähren, ist für jedes Land von grosser Bedeutung. Eine dezentrale, umweltfreundliche Familienlandwirtschaft sorgt für eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Zusätzlich werden die Kulturlandschaft gepflegt, der ländliche Raum entwickelt und die biologische Vielfalt erhalten. Gleichzeitig stützt die Herstellung und Veredlung von Nahrungsmitteln die Volkswirtschaft.
 
WTO
 

Ausländisches Gentech-Food oder gesunde Schweizer Lebensmittel?

 
"Norwegen sollte sich seiner Bauern entledigen und sich statt dessen mit importierten Lebensmitteln versorgen", sagte der damalige Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Supachai Panitchpakdi,* in der norwegischen Zeitung "Nationen": "In Norwegen seid ihr so reich, dass ihr die Nahrungsmittel, die ihr braucht, kaufen könnt." (zit. nach Småbrukaren Nr. 2/2002). - So sieht Landwirtschaft aus der Perspektive der Globalisierer aus.
 
Rl. Der Druck, der auf die kleinen und mittleren Bauernbetriebe ausgeübt wird, ist immens. Jedes Jahr geben Tausende auf. Billige Waren aus dem Ausland - zunehmend gentechnisch verseucht - überschwemmen das Land, seit die Regierungen die Schutzbestimmungen gelockert haben. Die Regierungen verkaufen in den WTO-Verhandlungen ihre Landwirtschaft. Verschiedene Branchen, wie zum Beispiel Landwirtschaft, Schulen oder Bankgeschäfte, werden gegeneinander ausgespielt: "Du darfst bei mir deine billigen landwirtschaftlichen Produkte im Land verkaufen, dafür dürfen meine Banken bei dir bestimmte Geschäfte machen." Im Tauschverfahren werden so ganze Branchen verschachert. So handelt die Schweizer WTO-Delegation mit den Existenzen verschiedener Erwerbsfelder.
 
Transparenz und Offenlegung sind Fremdwörter. Keine Regierung gibt preis, wen sie opfert. Die berechtigte Angst vor Protesten lässt die Regierungen zu Falschspielern werden. So auch die bundesrätliche Delegation.
 
Keine Partei stellt sich hinter den Bauernstand. Keine. Selbst der Bauernverband tut sich schwer. Schlagworte wie "Liberalisierung", "Konkurrenzfähigkeit" oder "Wettbewerbsfähigkeit" sind das einzige, was zu hören ist. Wie, bitte schön, soll eine Landwirtschaft, die zwischen 4000 m hohen Bergen eingeklemmt ist, mit einer Landwirtschaft konkurrieren, die auf fruchtbarsten Böden über 100 Kilometer breit und topfeben mit Riesenmaschinen Rekordernten an genmanipulierten Pflanzen einfährt? Diejenigen, die die Schlagworte wie "Wettbewerbsfähigkeit" brauchen, wissen genau, dass es eben nur Schlagworte sind.
 
Es geht um mehr als um ein paar Rappen beim Milchpreis. Es geht um eine eigenständige Landwirtschaft, die einen Beitrag zu einer gesunden Ernährung leisten kann, und es geht um eine relative Versorgungsunabhängigkeit.
 
Die Verhandlungen, die der Bund innerhalb der WTO und bilateral zum Beispiel mit den USA führt, gehören offen und öffentlich diskutiert.
 
*Supachai Panitchpakdi (geb. 1946 in Bangkok) war bis 2005 Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO). Seine Amtszeit begann 2002 und dauerte drei Jahre. Supachai erhielt seine Ausbildung im St. Gabriel's College und der Triam Udom School. Zwischen 1963 und 1973 machte er seinen Master-Abschluss in "Econometrics, Development Planning" und verfasste seine Doktorarbeit (Ph.D.) im Bereich "Economic Planning and Development" an der Netherlands School of Economics (jetzt Erasmus University) in Rotterdam mit einem Stipendium der Bank of Thailand.
 

Immer mehr wirtschaftliche Macht von immer weniger und grösseren Unternehmen

 
"Die WTO entstand 1994 in der Zeit eines sich schnell verändernden globalen Nahrungssystems. Zwei Elemente sind dabei wichtig:
 
Der erste Trend ist die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen von immer weniger und grösseren Unternehmungen. Diese steuern immer mehr Aktivitäten in allen Sektoren des Systems - vom Anbau bis zum Transport fertig verarbeiteter Lebensmittel. Die Firmen sind zunehmend transnational und operieren in einem weltweiten Markt. Die WTO regelt diesen Markt.
 
Das zweite Element ist die zunehmende Kontrolle. Die Firmen entwickeln Technologien und Methoden, die ihnen erlauben, die Anbieter, Bauern, verarbeitende Industrien, Händler, Verteiler zu kontrollieren. Darunter fallen unter anderem: landwirtschaftliche Input-Techniken wie Pestizide, Saatgut; kulturelle Techniken, wie zum Beispiel ausgefeilte Marketing-Strategien, welche das Konsumverhalten beeinflussen, und juristische Methoden, wie die Absicherung der Techniken durch Patente oder die Verteilung der Vorteile und Risiken.
 
Diese Techniken und Elemente wurden in den Industrieländern entwickelt und sind die dominierenden Faktoren in der Globalisierung. Jene, die in diesem System die grösste Macht haben, schon Wohlstand besitzen und am besten organisiert sind, profitieren davon. Das System setzt die kleinen Bauern stark unter einen enormen Preisdruck und drängt sie aus der Produktion.
 
Die Gentechnologie ist für einige der Hauptakteure ein wichtiges neues Kontrollinstrument. Die Gentech-Produkte sind - vor allem in den USA - schon auf dem Markt und den Feldern. Die treibende Kraft dahinter sind die Interessen einiger Firmen, speziell aus dem Pestizid- und Saatgutsektor.
 
Über das Saatgut kontrollieren die Agrokonzerne den Markt für Nahrungsmittel: Hybridsorten können nur einmal ausgesät werden, maximale Erträge sind nur mit Chemikalien (Düngemitteln und Pestiziden) möglich, welche die Saatgutverkäufer im Multipack anbieten. Gentechnisch verändertes Saatgut kann patentiert und damit monopolisiert werden. Mit neusten Techniken soll sogar erreicht werden, dass praktisch alle Eigenschaften der wachsenden Pflanzen von aussen mit Chemikalien an- und abgeschaltet werden können. Die sogenannte Terminator-Technik, welche das Samenkorn unfruchtbar macht, braucht es dann gar nicht mehr."
 
aus: Miges Baumann (SWISSAID), Bestimmt die WTO, was auf unserem Teller landet? (Vgl. Homepage EvB)
 
Quelle: Zeit-Fragen Nr.30/31 vom 25.7.2005
 
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