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von Gideon Levy Ha'aretz / ZNet 19.02.2003 Die USA scheinen entschlossen, einen Krieg anzufangen - und das in Raketenschussweite unserer Häuser. Trotzdem findet in Israel keinerlei öffentliche Debatte statt - weder bezüglich der Notwendigkeit dieser kriegerischen Kampagne noch über deren Berechtigung. Mittlerweile gehen überall auf der Welt Menschen auf die Straße, demonstrieren gegen den Krieg. In Israel, das wie kaum ein anderes Land gefährdet ist - sowohl in militärischer als auch politischer Hinsicht -, herrscht indes Schweigen. (Fast) die einzige Position, die bei uns noch Gehör findet, ist die des Establishments u. dessen Sprecher - eine Pro-Kriegs-Position. Einige dieser Leute verhehlen nicht einmal mehr, wiesehr sie sich über die Entwicklung freuen. Kommentatoren aus verschiedenen Bereichen überschlagen sich mit goldenen Aussichten für Israels Zukunft nach dem Krieg: unsere Wirtschaftskrise werde sich in Luft auflösen, Jassir Arafat verschwinden, der Friede in greifbare Nähe rücken. In der gesamten arabischen Welt werde sich ein Wandel in Richtung liberale Demokratie vollziehen. Touristenströme würden wieder ins Land fließen, u. als Sonderbonus: wir werden endlich die lästige Intervention der Europäer in unserer Region los. Channel-2-Kommentator 'für arabische Angelegenheiten', Ehud Yaari, beschrieb die Vorbereitungen zum Krieg diese Woche auf so fesselnde Art, als handle es sich um ein Sportereignis: das "Volleyball-Team" in Stellung gebracht, das "Fußball-Team" noch unterwegs (US-Airforce u. Infanterie). Aber keine Rede von den Toten, der Zerstörung, die dieser Krieg kosten wird. Und keiner stellt die drängende Frage, ob dies alles denn wirklich nötig sei. Vertrauend auf jene Sichtweise, die inzwischen das politische Denken in Israel bestimmt - dass nämlich politische Probleme nur mit einem Maximum an Gewalt zu lösen sind -, erscheint uns ein vernichtender Schlag gegen den Irak als höchst vielversprechende Lösung. Unsere Militärkorrespondenten überschlagen sich mit tagtäglichen Deklarationen wie: "die Vorkehrungen unserer Verteidigungsstellen für den Kriegsfall sind abgeschlossen". Abgeschlossen? Es gibt doch noch nicht mal genügend passende Gasmasken bzw. nur recycelte, die Feuerwehrleute wissen nicht, was sie im Ernstfall tun sollen, manche öffentlichen Bombenbunker sind versiegelt, u. zehntausende Gastarbeiter sowie hunderttausende Palästinenser sind ohne jeden Schutz - heißt das etwa 'abgeschlossen'? Fragen zur Moralität des (geplanten) Kriegs, dem wohl in erster Linie das irakische Volk zum Opfer fallen wird, sowie Fragen hinsichtlich der Doppelmoral der Amerikaner, die ihre Angriffsziele je nach Interessenlage auswählen, werden bei uns ins keinster Weise gestellt. (Fast) das Einzige, was in Israel noch Gehör findet, ist jener Schwall aus einseitiger Kommentierung - einiges davon aggressiv u. vulgär ("Frankreich ist eine Hure" - Dan Margalit von der Tageszeitung 'Ma'ariv' diesen Freitag; "der Metzger von Bagdad" - Channel 10 Nachrichten über den irakischen Herrscher). Im Ausland bringen Autoren - siehe Paulo Coelho oder John Le Carré - ihre Amerika-Kritik aufs Schärfste zum Ausdruck. Unsere Autoren hingegen schweigen. In jedem Land sprechen sich Staatsmänner u. Politiker gegen den Krieg aus - nicht so in Israel. Massen gehen auf die Straße. Bei uns kaum ein Zeichen des Protests. Gestern Abend kam es in Tel Aviv zu einer Protestveranstaltung - organisiert von der radikalen Linken. Aber auch hier kamen keineswegs Zehntausende zusammen. Warum, so frage ich mich, ist in kaum einem der zahlreichen (israelischen) Radio- u. Fernsehprogramme, die über die aktuellen Ereignisse berichten, eine oppositionelle Stimme zu vernehmen - eine Stimme gegen den Krieg? Jemand, der glaubt, dieser Krieg sei unnütz u. bringe uns nicht ein Jota mehr Frieden, mehr Stabilität oder mehr Freiheit ein, jemand, der glaubt, dieser Krieg sei durch nichts anderes motiviert als durch Selbstgerechtigkeit u. Heuchelei? Wäre so Stimme denn nicht berechtigt? Das alles ist umso unverständlicher angesichts einer Meinungsumfrage des 'Dialogue-Institutes', veröffentlicht in der 'Ha'aretz' vom letzten Donnerstag. Die Umfrage ergab, dass fast die Hälfte der Israelis gegen einen sofortigen Kriegsbeginn sind. 20,4 Prozent sind sogar der Meinung, die USA sollten ihre Angriffspläne ganz aufgeben, u. 23,4 Prozent befürworten einen Angriff nur für den Fall, dass alle Inspektions- u. Vermittlungsversuche scheitern. Erstaunlich ähnlich die Umfrageergebnisse in den USA. Aber dort ist zumindest die Stimme des Protests gewährleistet - von den meisten europäischen Ländern gar nicht zu reden. Aber wie kann es kommen, dass die Stimme von fast der Hälfte aller Israelis keinen Ausdruck findet? Woher diese Gleichgültigkeit (der Israelis) im Angesicht einer Entwicklung, die alles vernichten könnte, was ihnen lieb u. teuer ist? Die Situation zeigt erstaunliche Parallelen zur israelischen Haltung bezüglich des Palästinenserkonflikts. Hier spricht sich auch eine Mehrheit der Israelis - 54 Prozent, laut 'Dialogue'-Umfrage - für die Schleifung bestimmter jüdischer Siedlungen aus, ansonsten aber rührt man keinen Finger, damit das Ganze Realität wird. Laut Umfrage von 'Peace Index' sprechen sich 58 Prozent (der Israelis) für einen Palästinenserstaat aus. Aber auch hier wird sich passiv verhalten, tut man schlicht nichts zu dessen Realisierung. Einfach alles - ob nun Terrorismus, Besatzung oder unnötiges Blutvergießen (auf beiden Seiten) - wird von uns als göttliche Fügung gesehen, und gegen die kann man ja bekanntlich nichts machen. Eine Wolke der Selbstzufriedenheit u. der Passivität hängt über dem öffentlichen Leben Israels. Selbst die massive Meeresverschmutzung - schuld daran ist das anhaltende Versagen unserer Behörden in puncto Abwasserentsorgung -, wird bei uns mit stoischer Schicksalsergebenheit u. Gleichgültigkeit hingenommen: soll wohl so sein. Das war nicht immer so. Der Jom-Kippur-Krieg - ein großer Fehler - hat damals zu Wellen des Protests geführt - die letztendlich in den Rücktritt der damaligen Regierung mündeten. Auch der Libanonkrieg brachte Massen von Israelis auf die Straße - was u.a. zu einer Untersuchungskommission u. zur anschließenden Entlassung des damaligen Verteidigungsministers Ariel Scharon führte. Und heute: Die Leute hamstern Nylonlaken u. Wasserflaschen u. ziehen sich ansonsten in ihre 'gesicherten Räume' zurück - ohne ein Wort. Übersetzt von: Andrea Noll Orginalartikel: "Deafening Silence in Israel" .
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