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Palästinensische Ironie

von Justin Podur

Eine weitverbreitete Ansicht unter denen, die gegen die Rechte der Palästinenser sind, lautet: die Araber wollen "Israel ins Meer treiben". Aber 1992 äußerte der damalige israelische Premier Yitzhak Rabin: "Ich wünschte, Gaza würde im Meer versinken". Und noch so eine weitverbreitete Ansicht: Die Palästinenser hätten damals, also im Jahr 2000, von Ehud Barak ein 'großzügiges Angebot' erhalten. Dieses hätten sie jedoch zurückgewiesen u. stattdessen die Intifada gestartet bzw. den Selbstmordattentats-Terror.
Dem widerspricht, dass die israelischen Siedlungen in Westbank u. Gaza unter Barak noch schneller wuchsen als unter Netanyahu. Eine Karte, auf der das 'großzügige Angebot' eingezeichnet ist (in den USA wurde sie übrigens nie veröffentlicht), zeigt Westbank u. Gaza gesprenkelt mit israelischen Siedlungen. Die Palästinenser hätten keine Kontrolle über Ost-Jerusalem bekommen, u. zwischen den einzelnen palästinensischen Ansiedlungen hätten (weiterhin) Checkpoints bestanden. Die Palästinenser hätten keine Bewegungsfreiheit erhalten u. auch keine Kontrolle über ihre Ressourcen.

Das Bild vom steinewerfenden palästinensischen Kind/Jugendlichen kennt jede(r) hier im Westen (ja, diese Kinder werfen tatsächlich Steine - u. zwar vorwiegend auf Panzer, die dann manchmal mit scharfer Munition antworten). Aber auch die andere Seite wirft Steine. In den (palästinensischen) Olivenhainen der Westbank sind es die bewaffneten israelischen Siedler, die, unter dem Schutz der Israelischen Armee (und diese wiederum stützt sich auf die USA, wo sie auch ihre Waffen herbezieht), den Hügel herunter kommen u. Steine (u. Schlimmeres) auf palästinensische Familien schleudern, die nichts weiter wollen, als ihre Olivenernte einbringen.
Die israelische Regierung argumentiert, sie könne sich nicht aus der Westbank bzw. aus Gaza zurückziehen, ohne die Siedler im Stich zu lassen, die ja geschworen hätten, dort zu bleiben. Tanya Reinhart hingegen berichtet: "... viele Bewohner der isolierten israelischen Siedlungen reden in den israelischen Medien ganz offen davon, sie würden gerne wegziehen. Alles, was es braucht, ist das Angebot einer vernünftigen (materiellen) Kompensation für den Besitz, den sie zurücklassen müssten".

Ein Mitglied der israelischen Schas-Partei, Rabbi Ovadia Yossef, tat die Äußerung, die Araber vermehrten sich wie die Insekten u. würden "überall herumkrabbeln wie Ameisen". Der ehemalige israelische Premierminister Menachem Begin nannte die Palästinenser "Tiere, die auf zwei Beinen gehen". Im Jahr 2001 bezeichnete der damalige israelische Tourismus-Minister Rehavam Zeevi die Palästinenser als "Läuse" bzw. als "Krebsgeschwür". Und da ist andererseits der Palästinenser Edward Said - einer der hartnäckigsten u. stimmgewaltigsten Kritiker der Politik Israels. Said nennt die Juden (im Jahr 2000): "... eines der aufgeklärtesten und historisch gesehen humansten Völker".

Die Leute schlagen die Hände über dem Kopf zusammen: "Nein, nein, Muslime und Juden werden niemals friedlich zusammenleben können". Aber die Geschichte beweist das Gegenteil: Meistens schafften es Muslime u. Juden sehr wohl, friedlich miteinander zu leben, während die Christen Europas unfähig waren, mit Juden u. Moslems zusammenzuleben. Sie vertrieben sie, veranstalteten Kreuzzüge gegen sie oder versuchten sie mittels Inquisition auszulöschen.
Auch der 'Holocaust' geht auf das Konto christlicher Europäer. Am 25. Januar 2002 äußerte ein (hoher) Offizieller der Israelischen Armee gegenüber 'Ha'aretz': "... wenn der Auftrag lautet, nehmen Sie ein dichtbesiedeltes Flüchtlingslager ein oder bringen Sie die Casbah in Nablus unter Ihre Kontrolle, dann muss der Kommandierende zuerst seine Lektion aus früheren (ähnlich gelagerten) Schlachten lernen - sie analysieren und internalisieren - und dazu zählt eben auch, selbst wenn es sich schockierend anhören mag, die Art und Weise, wie die deutsche Armee im Warschauer Getto gekämpft hat".

Israel weigert sich, das, was im März 2002 in Dschenin geschah, als Massaker zu bezeichnen. Dort waren neben 23 israelischen Soldaten mindestens 56 Palästinenser (das meiste Zivilisten) ums Leben gekommen. 'Ha'aretz': "Es gibt Hinweise, dass dort schwere Gefechte stattfanden. Mit der gebotenen Vorsicht kann jedoch schon jetzt gesagt werden, was im Flüchtlingslager von Dschenin nicht stattgefunden hat - nämlich ein Massaker. Weder gab es einen Befehl von oben, vorsätzlich u. systematisch unbewaffnete Menschen zu töten, noch gab es eine entsprechende Initiative vor Ort, die umgesetzt wurde."
Medien auf der ganzen Welt übernahmen diese Sichtweise. Als neulich eine Gruppe israelischer Soldaten u. bewaffneter Siedler von palästinensischen Heckenschützen angegriffen wurde (im Nov. 2002 in Hebron) - wobei 12 Israelis starben -, sprach der israelische Außenminister sofort vom "Sabbat-Massaker", und der UN-Generalsekretär Kofi Annan von einem "abscheulichen Terroranschlag". Viele Nachrichtenagenturen verbreiteten die Geschichte, als seien hier "jüdische Gläubige" von Palästinensern angegriffen worden.

Viele Menschen glauben, die amerikanischen Juden würden es nicht akzeptieren, wenn Israel gegenüber den Palästinensern zu Konzessionen bereit wäre - im Hinblick auf die palästinensischen Rechte. Dem widerspricht, dass laut einer Meinungsumfrage 87 Prozent der befragten jüdischen Amerikaner u. 97 Prozent der befragten arabischen Amerikaner die Ansicht vertraten, sowohl die Israelis als auch die Palästinenser hätten das Recht auf einen sicheren u. unabhängigen Staat. 52 Prozent der befragten amerikanischen Juden u. 79 Prozent der befragten arabischstämmigen Amerikaner favorisierten eine Zwei-Staaten-Lösung - inklusive Evakuierung von (israelischen) Siedlungen in Westbank u. Gaza. Ich frage mich: Würde es etwas an diesem Konflikt ändern, wenn den Leuten klar wäre, dass so ziemlich alles, was sie glauben, über diesen Konflikt zu wissen, im Grunde falsch ist?


Quelle: ZNet Kommentar 23.01.2003
Übersetzt von: Andrea Noll Orginalartikel: "Palestine Ironies"