Sie sind im News-Archiv der ZeitenSchrift gelandet.
Aktuelle Beiträge finden Sie im Bereich Aktuell.

Pharmabluff: Offen und ehrlich

Auszug aus dem Buch «Der Pharma-Bluff»:

Dieses Buch will ein Bild der wahren Pharmaindustrie zeichnen, einer Branche, die sich in den letzten 20 Jahren sehr schnell von ihrem ursprünglichen, hochgesteckten Ziel, der Entdeckung und Herstellung nützlicher neuer Medikamente, verabschiedet hat. Heute ist sie vor allem ein Marketingapparat, der Medikamente von zweifelhaftem Nutzen verkauft. Mit ihrem Geld und ihrer Macht bringt die Industrie jede Institution, die ihr im Weg stehen könnte, unter ihre Kontrolle, auch den US-Kongress, die Food and Drug Administration, Universitätskliniken und die Ärzteschaft. [...]
Ich habe 20 Jahre beim New England Journal of Medicine gearbeitet und dort aus erster Hand miterlebt, welchen Einfluss die Branche auf die medizinische Forschung hat. Das Hauptthema dieser Fachzeitschrift sind Artikel über die Erforschung von Krankheitsursachen und Therapieverfahren. Solche Arbeiten werden zunehmend von Pharmakonzernen finanziert. Ich wurde Zeuge, wie die Unternehmen im Laufe der Zeit über die Durchführung der Forschung eine Kontrolle gewannen, die am Anfang, als ich neu bei der Zeitschrift war, unerhört gewesen wäre.
Immer bestand das Ziel eindeutig darin, die Karten so zu zinken, dass die Produkte des Unternehmens gut aussahen. Die Konzerne verlangten beispielsweise, dass Wissenschaftler ein neues Medikament mit einem Plazebopräparat (das heißt einer Zuckerpille) verglichen und nicht mit einem bereits am Markt eingeführten Medikament. Auf diese Weise sah das neue Produkt selbst dann gut aus, wenn es in Wirklichkeit schlechter war als sein Vorgänger. Man kann Forschung auch auf anderen Wegen einseitig beeinflussen, und zwar so, dass selbst Fachleute es nicht immer merken. Natürlich lehnten wir die Veröffentlichung solcher Artikel ab, wenn wir die Manipulation bemerkten, aber häufig erschienen sie dann in anderen Zeitschriften. Sind die Befunde der Wissenschaftler für ein Produkt ungünstig, gestattet der Hersteller ihnen manchmal die Veröffentlichung überhaupt nicht. Als ich miterlebte, wie der Einfluss der Industrie wuchs, beunruhigte mich zunehmend der Gedanke, dass ein so grosser Teil der veröffentlichten Forschungsergebnisse ernsthafte Schwächen hat und die Ärzte damit gleichzeitig zu der Ansicht verleitet, neue Medikamente seien generell wirksamer und sicherer, als sie in Wirklichkeit sind.     •

Marcia Angell. Der Pharma-Bluff. Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist. Kompart Verlagsges. Bonn/Bad Homburg 2006. ISBN 3-9806621-9-5

Quelle : www.zeit-fragen.ch