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Phase Zwei des Finanz-Tsunamis hat begonnen

In den vergangenen Tagen haben die amerikanische »Federal Reserve« und die Bank von England signalisiert, dass sie nie da gewesene Maßnahmen ergreifen werden, um mit der angloamerikanischen Finanzkrise fertig zu werden, die im August letzten Jahres auf dem amerikanischen Immobiliensektor begann. Zum ersten Mal in der Geschichte des Zentralbankwesens haben sowohl die US-amerikanische als auch die britische Zentralbank erklärt, dass sie die »giftigen« Wertpapiere im Besitz ihrer Banken und Finanzinstitutionen als Kreditsicherheit akzeptieren und im Gegenzug dafür den Banken mit der Bestnote AAA eingestufte amerikanische und britische Regierungsanleihen geben werden. Diese Maßnahme bestätigt, dass momentan Phase Zwei des Finanz-Tsunamis b egon nen hat. Man wird jetzt Illusionen über einen Aufschwung verbreiten und erklären, »das Schlimmste« sei »vorbei«. In Wirklichkeit werden aber die amerikanischen und britischen Steuerzahler dafür zahlen müssen, dass ihre Regulierungsbehörden in den vergangenen acht Jahren (wenn nicht noch länger) dem ganzen Debakel der unregulierten Verbriefung durch die Privatbanken tatenlos zugesehen haben.

Die Bank von England, die bereits bei der ersten Verstaatlichung einer britischen Großbank seit 140 Jahren, der Northern Rock, den Vorsitz führen musste, hat jetzt bekanntgegeben, dass sie ein fast unbegrenztes Gebot für die (fast wertlosen) hypothekengestützten Wertpapiere (Mortage Backed Securities, MBS) der britischen Banken unterbreiten und dafür als Gegenleistung Anleihen des Britischen Schatzministeriums ausgeben wird. Damit hat die Bank von England zum ersten Mal in ihrer 314-jährigen Geschichte zugestimmt, Sicherheiten zu akzeptieren, deren Wert nicht von realen Anlage- bzw. Vermögenswerten, sondern von Schuldscheinen und Obligationen gedeckt ist; allerdings ist deren Zusammen setzung derart komplex, dass selbst Gerald Corrigan, der ehemalige Präsident der Federal Reserve von New York, zugibt, es sei nicht zu erkennen, wer welches Konkursrisiko trägt.

Der Plan der Bank von England zielt nicht auf die eigentliche Erhaltung der Banksolvenz ab, sondern soll vielmehr die finanzielle Lage der Banken »liquide« halten, indem kreditwürdige Vermögenswerte gegen die unverkäuflichen anlagengestützten Wertpapiere der Banken angeboten werden. Der Gouverneur der Bank von England, Mervyn King, hat unterdessen angekündigt, man werde Wertpapiere von Banken akzeptieren, »selbst wenn es mehr als 100 Milliarden $ sind. Es gibt keine willkürliche Grenze«, erklärte er.

Einige Tage zuvor hatte der Chef der US-Federal Reserve, Ben Bernanke, angekündigt, die Fed sei bereit, erstklassige(AAA) Schuldverschrei-
bungen der US Regierung im Wert von 200 Milliarden $ gegen anlagengestützte Wertpapiere der Banken einzutauschen. Bernanke hat nach einer Rede im November 2002, also während des schlimmsten Einbruchs am US-amerikanischen Aktienmarkt und des Enron-Skandals, den Spitznamen »Helikoper-Ben« verliehen bekommen.

Im Deutschland der Weimarer Republik wurde diese Politik Anfang der 1920er-Jahre als Hyperinflation bekannt. Im Jahre 2008 nennt man es »Besonnenheit« der Zentralbank. Die Auswirkungen auf den allgemeinen Lebensstandard der Menschen, die ihr Geld für ihre Nahrungsmittel, Benzin oder andere Dinge brauchen, sind allerdings in beiden Fällen gleich verhängnisvoll.

Das Epizentrum der jetzigen Finanzkrise, die ich als Finanz-Tsunami bezeichnet habe, lag in den stark fremdfinanzierten Positionen bei den Hypothekenkrediten – das können hypothekenbezogene Wertpapierpositionen wie Mortgage Backed Securities sein, oder komplizierte Kreditstrukturen wie die Collateralized Debt Obligations (CDO) oder Structured Investment Vehicles (SIVs); aber auch unterschiedliche Derivatbelastungen wie Credit Default Swaps und synthetische CDOs sowie eine ganze Palette von Finanzgarantien und Liquiditätsvereinbarungen wie Monoline-Versicherungen, Hypothekenversicherungen und anlagengestützte kurzfristige Geldmarktpapiere. Die gegenwärtige Krise ist weit mehr als nur ein simples Problem »zweitklassiger« Immobilien, und stellt den Zusammenbruch der gesamten exotischen Architektur des amerikanischen Wall-Street-Finanzgefüges dar  –  sie markiert das Ende der Finanzherrschaft der Wall Street. Diese Dimension muss weltweit erst noch verdaut werden.

Der Kollaps drohte das gesamte Kreditsystem zum Einsturz zu bringen. In krassem Gegensatz zu traditionellen Kreditkrisen brachte diese Krise das gesamte Finanzsystem schon ins Wanken, bevor die allgemeine Wirtschaft in eine eindeutige Rezession abrutschte. Die Wirtschaft der USA und in ähnlicher Weise auch die Großbritanniens erleben jetzt die Rezessions-/Depressions-Phase der laufenden Krise.

Um eine Kernschmelze des Kreditsystems zu verhindern, musste eine ganze Palette von Notmaßnahmen ergriffen werden: Intervention unter Führung der Federal Reserve zur Rettung einer der führenden Wall-Street-Firmen, Bear Stearns; Öffnung des Diskontfensters für die Wall-Street-Wertpapierhäuser durch die Fed; Einsatz massiver Liquiditätsinstrumente auf nationaler und internationaler Ebene; außerdem musste die Fed Hypotheken-Wertpapiere als Sicherheit für Anleihen akzeptieren; es musste eine Marktintervention riesigen Ausmaßes (Ankäufe von Hypotheken und Garantien) durch die US-Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac zugesichert werden; es mussten deutlich negative reale Zinsraten für kurzfristige Kredite eingeführt werden; und schließlich mussten unbegrenzte öffentliche Anreize und Finanzgarantien gewährt werden.

Die ganze Dimension der Rettungsversuche der Fed und der Bank von England ist noch nicht absehbar. Da viele der exotischen neuen Wertpapiere den Investoren als Anleihen mit fünfjähriger oder mittlerer Laufzeit angeboten wurden, wird ihr Marktwert erst dann deutlich, wenn ihre Inhaber versuchen, sie zu verkaufen. Bisher ist es alleine in den USA seit August 2007 bei Schulden im Wert von 180 Mrd. $ – bei sogenannten CDOs, eine Form verbriefter Anlagen – wegen Wertberichtigungen bei Hypothekenanleihen oder anderen Vermögenswerten zu einem Zahlungsverzug gekommen.

Unternehmenskonkurse werden dramatisch zunehmen

Finanzinsider berichten, die nächste Phase der Krise werde eine massive Welle von Unternehmenskonkursen sein, die mit dem Problem der leicht erhältlichen Kredite verbriefter Schulden zusammenhängen, die jetzt kollabieren. Den Investoren, die in der Hoffnung auf hohe Zinsgewinne Unternehmensschulden mit hohem Risiko aufgekauft haben, drohen jetzt verheerende Verluste bei diesen in Verzug geratenen Anleihen.

Der Kreditboom der letzten sechs Jahre in Amerika und teilweise auch in der EU wurde von der sogenannte Verbriefung getragen, die Private Equities (Beteiligungsgesellschaften oder »Heuschrecken«) wie Lone Star oder Blackstone Inc. bei Übernahmen riesige finanzielle Möglichkeiten bot. Die amerikanische Beteiligungsgesellschaft Cerberus erklärte sich im letzten Jahr bereit, Chrysler von seinem früheren Besitzer Daimler zu übernehmen und lieh sich auf dem Höhepunkt des Schuldenbooms 20 Milliarden $ von Wall-Street-Banken wie Goldman Sachs und Citigroup. Goldman Sachs und auch Citigroup verkaufen ihre Kredite für lediglich 63 Prozent ihres Nominalwerts. In dem Maße, wie immer mehr Banken verzweifelt versuchen, derartige Anleihen, die zur Finanzierung hochriskanter Übernahmen aufgenommen wurden, zu verschleudern, werden die Preise für diese Anleihen fallen.

Außerdem fallen die Immobilienbewertungen – der Kern von Greenspans Verbriefungs-Revolution – auch weiterhin, was zu mehr Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit bei Hypotheken  sowie Zwangsversteigerungen von Eigenheimen durch Banken führt. Die Zahl der zwangsversteigerten Häuser in Kalifornien stieg im ersten Quartal um 327 Prozent gegenüber dem Vorjahr – was mehr als 500 Zwangsversteigerungen pro Tag bedeutet. In einem Bericht von DataQuick heißt es, das wachsende Problem der Zwangsversteigerungen könnte »sich über die gegenwärtige Kategorie riskanter Hypotheken auch auf Immobilienkredite der Mittelklasse ausdehnen«. Die Zahl der zur Zwangsversteigerung anstehenden Häuser in Kalifornien stieg im letzten Quartal auf den höchsten Wert seit über 15 Jahren. Der Hauptfaktor hinter diesem Anstieg der Zwangsversteigerungen bleibt auch weiterhin der Wertverfall der Häuser. Es kann Jahre dauern, diesen Prozess zu lösen.