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Powells Präsentation

Die von US-Aussenminister Colin Powell vor der UNO dargelegten Beweise gegen den Irak sind mehr als dürftig.

Quellen, ausländische Geheimdienstquellen, "unsere Quellen", Abtrünnige, Quellen, Quellen, Quellen. Colin Powells gestrige Rede vor dem UN-Sicherheitsrat klang wie ein von der Regierung inspirierter Bericht auf der Titelseite der New York Times, wo sie höchstwahrscheinlich mit entsprechender Hochachtung in der morgigen Ausgabe thematisiert wird. Es schmeckte ein wenig nach aufgewärmtem Essen. Haben wir das meiste nicht schon vorher gehört? Sollte man dem Mann vertrauen? Ich meine General Powell, nicht Saddam. Wir vertrauen Saddam gewiss nicht, aber Außenminister Powells Präsentation war eine Mischung eindrucksvoller, lustiger Aufzeichnungen von abgehörten Telefongesprächen der irakischen Republikanischen Garde, die immer wieder an Samuel Beckett erinnerten, und vielleicht einen erschreckenden kleinen Beweis liefern könnten, dass Saddam die UN-Inspekteure erneut betrügt sowie einiges an altem Material, in dem die schon bekannte Brutalität des Monsters von Bagdad aufgelistet wird. Ich warte noch darauf, die arabische Übersetzung von "Okay Buddy" - "Betrachten Sie es als erledigt, Sir." aus dem Mund des Mitglieds der Republikanischen Garde "Captain Ibrahim" zu hören, um Himmels Willen - und schließlich einige niedliche Abbildungen von mobilen Biolabors, deren LKWs und Eisenbahnwagons in einem derart perfekten Zustand waren, dass sie nahe legten, der Pentagon wüsste nichts von dem ruinösen Zustand, in dem sich die Armee Saddams befindet. Wir mussten das aufgewärmte Essen erneut zu uns nehmen, als wir auf Halabja, Menschenrechtsverletzungen und die kompletten Sünden Saddams, die von der in Verruf geratenen Unscom-Gruppe aufgezeichnet worden waren, zurückkamen. Der britische Außenminister Jack Straw könnte dies als "stärkstes und verlässlichstes Beweismaterial" betrachtet haben, aber als wir gezwungen wurden, dem irakischen Offizierskorps bei einem Telefongespräch zuzuhören - "yeah", "yeah", "yeah?", "yeah ..." - war es unmöglich, sich nicht die Frage zu stellen, ob Colin Powell wirklich an den Effekt, den dies auf die übrige Welt haben würde, gedacht hatte. Von Zeit zu Zeit tauchten auf der großen Videoleinwand hinter General Powell die Wörter "Irak: Versagte bei der Entwaffnung - Verweigerung und Betrug ". War dies das CNN-Logo, fragten sich einige von uns? Aber nein, es war der Schwester- Sender von CNN - das US-Außenministerium. Weil man annimmt, dass Colin Powell der gute Polizist beim Geschäft der bösen Polizisten Bush-Rumsfeld ist, wollte man ihm glauben. Der per Telefon von einem irakischen Offizier an seinen Untergebenen erteilten Befehl - ".. entferne das Wort ‚Nervengifte', wann immer es bei Funkgesprächen auftaucht" - sah aus, als ob die Amerikaner tatsächlich eine ekelhafte neue Spur der irakischen Irreführungen entdeckt hätten. Aber das überraschende Bild eines ferngesteuerten Flugzeuges, das in der Lage war, chemische Gifte zu versprühen, stellte sich als einfallsreiches Werk eines Künstlers aus dem Pentagon heraus. Und als General Powell anfing, über " die jahrzehntelangen Kontakte" zwischen Saddam und al-Qaida zu schwatzen, machte der Außenminister einen Fehler. Al-Qaida wurde erst vor fünf Jahren gegründet, weil Bin Laden - vor "Jahrzehnten" - für den CIA, dessen gegenwärtiger Leiter mit ernstem Gesicht hinter General Powell saß, gegen die Russen arbeitete. Und Colin Powells neue Version der Lüge aus der Rede des Präsidenten an die Nation, dass es sich bei "den Wissenschaftlern", die von den UN-Inspektoren interviewt worden seien, um getarnte Mitglieder des irakischen Geheimdienstes gehandelt habe, war nicht besonders beeindruckend. In der neuen Version heißt es, die UNO sprach zwar mit Wissenschaftlern, aber diese vertraten nur die wirklichen Nuklear- und Biobombenspezialisten, mit denen die UNO sprechen wollte. General Powell sagte, Amerika würde seine Informationen an die UN-Inspekteure weitergeben, aber gestern wurde deutlich, dass vieles von dem, was er über die angeblich neue Waffenentwicklung berichtete, wie z.B. der Entseuchungs-LKW bei der chemischen Munitionsfabrik in Taji oder die "Säuberung" der Raketenfabrik Ibn al-Haythem am 25. November, der UNO zum damaligen Zeitpunkt nicht mitgeteilt worden war. Warum gab man den Inspekteuren diese Geheimdienstberichte nicht vor einem Monat? Forderte General Powells vielgeliebte UN-Resolution 1441 nicht, dass solche Informationen sofort an Hans Blix und seine Leute weitergegeben werden sollten? Waren die Amerikaner vielleicht nicht "kooperativ" genug? Der schlimmste Augenblick kam, als General Powell anfing, über Anthrax und die Anthrax-Angriffe in Washington und New York im Jahre 2001 zu reden und er mitleiderregend einen Teelöffel mit scheinbaren Sporen hoch hielt und arglistig auf eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und der Hysterie von 2001 hinwies, ohne dies exakt zu sagen. Als der Außenminister Iraks Unterstützung für die Palästinenserorganisation Hamas, die ein Büro in Bagdad unterhält, als Bewes für Saddams Unterstützung des "Terrors" vortrug, erwähnte er natürlich nicht die amerikanische Unterstützung Israels und dessen Besetzung palästinensischen Landes und so fing das ganze Theater an, zusammenzubrechen. Es gibt Hamas-Büros in Beirut, Damaskus und im Iran. Ist jetzt damit zu rechnen, dass die 82. Fliegerstaffel unaufhaltsam auf den Libanon, Syrien und dem Iran vorrückt? Die Eröffnung des Spiels war beinahe makaber, als General Powell beim Sicherheitsrat ankam, die Delegierten auf die Wangen küsste und seine großen Armen um sie schlang. Jack Straw sprang richtig auf, um seine amerikanische Umarmung zu bekommen. Es gab tatsächlich Momente, in denen man hätte denken können, dass der gesamte Raum mit lächelnden, händeschüttelnden Männer gefüllt sei, die eher den Frieden als den Krieg feierten. Leider war das nicht der Fall. Diese elegant gekleideten Staatsmänner errichteten das Gerüst, das ihnen gestatten sollte, eine Menge Menschen zu töten, den monströsen Saddam vielleicht mit seinen Kumpanen, aber auch eine beträchtliche Anzahl unschuldiger Menschen. Man wurde natürlich an den gleichen Raum vor vierzig Jahren erinnert, als General Powells Vorgänger, Adlai Stevenson, Fotos von Schiffen zeigte, die sowjetische Raketen nach Kuba brachten. Leider enthielten die heutigen Bilder keine solchen Beweise. Und Colin Powell ist nicht Adlai Stevenson. Die Reaktion der Welt: Irak Eine "typische amerikanische Show einschließlich der Stunts und Spezialeffekte" war die vernichtende Zurückweisung der Präsentation Powells. Mohammed al-Douri, der irakische UN-Botschafter, beschuldigte die USA, Beweise zu konstruieren und erklärte, die Beschuldigungen hätten "mit der Wahrheit ganz und gar nichts zu tun." "Es wurden keine neuen Informationen vorgelegt, einzig normale Aufnahmen, die nicht als echt bewertet werden können," sagte er. "Das sind falsche Anschuldigungen, ungenannte Quellen, unbekannte Quellen." Generalleutnant Amir al-Saadi, ein Berater Saddam Husseins, sagte die Satellitenfotos "beweisen gar nichts". Zu der Anschuldigung, der Irak habe die Totenscheine von Wissenschaftlern gefälscht, um sie vor den UN-Inspekteuren zu schützen, fügte er hinzu: "Falls [General Powell] glaubt, dass einer dieser als tot erklärten Wissenschaftler noch am Leben sei, soll er das beweisen. Großbritannien Außenminister Jack Straw lobte General Powell für sein "starkes und verlässliches Beweismaterial". Er sagte die Präsentation "enthüllt den vom Regime Saddam Husseins praktizierten Betrug, und schlimmer noch, die große Gefahr die er darstellt." "Außenminister Powell hat höchst beunruhigende Berichte über die Anwesenheit von al-Zarqawi, einem Leutnant Osama bin Ladens, und anderer Mitglieder der al Qaida im Irak und deren Bemühungen Gifte zu produzieren, dargelegt." "Die vor kurzem gemachte Entdeckung des Gifts Rizin in London hat unterstrichen, dies ist eine Bedrohung, mit der wir alle konfrontiert werden." "Saddam fordert jeden von heraus... Er stellt unsere Entschlossenheit in Zweifel und spekuliert damit, dass wir unsere Nerven verlieren, anstatt ihm unseren Willen aufzuzwingen." Frankreich Frankreich fordert, die Zahl der Inspekteure zu verdreifachen und den Prozess zu intensivieren. Außenminister Dominique de Villepin sagte die Inspektionen sollten mit einem "verbesserten Kontrollsystem" fortgeführt werden. Der Irak müsse auch besser kooperieren, was auch die Erlaubnis für Flüge der U-2 Spionageflugzeuge einschließe. "Der Gebrauch von Gewalt kann nur kann nur ein letztes Mittel sein." China China sagte, die Arbeit der Inspekteure solle fortgesetzt werden. Außenminister Tang Jiaxuan erklärte direkt nach Powells Präsentation: "Solange es die kleinste Hoffnung für eine politische Lösung gibt, sollte wir unsere äußersten Anstrengungen darauf richten, diese umzusetzen." Russland Außenminister Igor Iwanow sagte, die Inspektionen sollen fortgeführt werden. Weitere Untersuchungen der von General Powell präsentierten Beweise seien nötig, fügte er hinzu. In der Zwischenzeit "müssen die Inspektionen weitergeführt werden." Deutschland Die Präsentation Powells und die Funde der Waffeninspekteure "müssen sorgfältig geprüft werden", sagte Außenminister Joseph Fischer. "Wir müssen fortfahren, eine friedliche Lösung zu finden." Israel Außenminister Binyamin Netanyahu sagte: "Wir haben das schon lange gewusst. Wir tauschen mit den USA Informationen aus und ich glaube, die USA haben einige davon heute weitergegeben." General Powell "enthüllte den wahren Charakter des Regimes von Saddam Husseins, und ich glaube, er hat auch die größten Gefahren (...)für die Region und die Welt aufgedeckt. Übersetzt von: Tony Kofoet Quelle: Robert Fisk, The Independent / ZNet 06.02.2003