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Rätsel um Israels geheime Uranbombe

Alarm wegen radioaktiver Hinterlassenschaft nach Angriff auf Libanon

von Robert FiskHat Israel im 34tägigen Angriff auf Libanon, der mehr als 1300 libanesische Menschen – zumeist Zivilisten – das Leben kostete, im Südlibanon eine geheime, neue, auf Uran basierende Waffe eingesetzt? Wir wissen, dass die Israeli gegen das Hauptquartier der Hizbollah in Beirut amerikanische «Bunkerbrecher»-Bomben einsetzten. Wir wissen, dass sie in den letzten 72 Stunden des Krieges Südlibanon mit Cluster-Bomben (Streubomben) ersäuften und damit Zehntausende von Minibomben zurückliessen, die weiterhin jede Woche libanesische Zivilisten töten. Und wir wissen jetzt – nachdem der Einsatz solcher Waffen anfänglich kategorisch geleugnet wurde –, dass die israelische Armee auch Phosphorbomben einsetzte – Waffen, die gemäss dem Dritten Protokoll der Genfer Konventionen, das weder Israel noch die Vereinigten Staaten unterzeichnet haben, als beschränkt gelten. Aber wissenschaftliche Belege, die mindestens zwei Bombenkratern aus Khiam und At-Tiri entnommen wurden – im vergangenen Juli und August ein Ort heftiger Kämpfe zwischen Guerillakämpfern der Hizbollah und israelischen Truppen –, legen nahe, dass auf Uran basierende Waffen nun auch zu Israels Waffenbestand gehören und dass sie gegen Ziele in Libanon zum Einsatz kamen. Laut Dr. Chris Busby, dem britischen wissenschaftlichen Sekretär des European Committee on Radiation Risk, wiesen zwei Bodenproben, die von israelischen schweren Bomben oder Lenkwaffen in die Höhe aufgeworfen worden waren, «Zeichen erhöhter Radioaktivität» auf. Beide Proben wurden zur weiteren Untersuchung durch Massenspektrometrie ans – auch vom Verteidigungsministerium eingesetzte – Harwell Laboratory in Oxfordshire weitergeleitet, das die Konzentration von Uranisotopen in den Proben bestätigt hat. Dr. Busbys erster Bericht hält fest, dass es zwei mögliche Ursachen für die Kontamination gibt: «Die erste ist, dass es sich bei der Waffe um einen neuartigen kleinen experimentellen Sprengsatz mittels Kernspaltung oder um andere experimentelle Waffen (z. B. thermobarische Waffen) handelt, die auf der hohen Temperatur eines Uranoxidationsblitzes basiert […] Die zweite [Ursache] ist, dass die Waffe eine bunkerbrechende konventionelle Uran-Durchschlagswaffe war, die anstelle von abgereichertem Uran angereichertes enthielt.» Auf der Photographie von der Explosion der ersten Bombe sind grosse Wolken schwarzen Rauches zu sehen, die von brennendem Uran stammen könnten. Angereichertes Uran wird aus natürlichem Uranerz hergestellt, und es wird als Brennstoff für Nuklearreaktoren benutzt. Ein Abfallprodukt des Anreicherungsprozesses ist abgereichertes Uran; es ist ein extrem hartes Metall, das bei Anti-Panzer-Raketen verwendet wird, um die Armierung zu durchdringen. Abgereichertes Uran ist weniger radioaktiv als natürliches Uran, welches wiederum weniger radioaktiv ist als angereichertes Uran. Israel hat einen schlechten Ruf, wenn es darum geht, die Wahrheit über seinen Einsatz von Waffen in Libanon zu sagen. 1982 leugnete es, Phosphormunition in zivilen Gebieten verwendet zu haben – bis Journalisten sterbende und tote Zivilisten entdeckten, deren Wunden Feuer fingen, wenn sie der Luft ausgesetzt wurden. Ich sah zwei tote Babys, die plötzlich erneut in Flammen aufgingen, als sie während der israelischen Belagerung von Beirut aus dem Behälter im Leichenschauhaus herausgenommen worden waren. Israel stritt erneut offiziell ab, während dieses Sommers in ­Libanon Phosphor eingesetzt zu haben – ausser zur «Markierung» von Zielen – selbst nachdem Zivilisten mit Brandwunden, wie sie durch Phosphormunition hervorgerufen werden, in libanesischen Krankenhäusern photographiert wurden. Dann, plötzlich, am Sonntag, gab Israel zu, dass es nicht die Wahrheit gesagt hatte. Jacob Edery, der für die Beziehungen zwischen Regierung und Parlament zuständige israelische Minister, bestätigte, dass in direkten Angriffen auf die Hizbollah Phosphorgranaten eingesetzt worden waren. Er fügte hinzu: «Das Völkerrecht erlaubt die Verwendung von Phosphormunition, und die (israelische) Armee hält sich an die Regeln völkerrechtlicher Normen.» Auf die Frage des «Independent», ob die israelische Armee in diesem Sommer in ­Libanon auch uranhaltige Munition eingesetzt habe, sagte Mark Regev, Sprecher des israelischen Aussenministeriums: «Israel verwendet keine Waffen, die nicht durch das Völkerrecht oder durch internationale Konventionen autorisiert worden sind.» Diese Antwort wirft allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Ein grosser Teil des Völkerrechts befasst sich nicht mit modernen Uranwaffen, weil sie noch nicht erfunden waren, als die humanitären Regeln, wie die der Genfer Konventionen, festgelegt wurden und auch, weil die westlichen Regierungen sich noch immer weigern anzuerkennen, dass deren Einsatz langfristige Gesundheitsschäden für Tausende von Zivilisten, die im Gebiet der Explosionen leben, verursachen kann. Amerikanische und britische Streitkräfte brachten 1991 im Irak Hunderte Tonnen an Granaten mit abgereichertem Uran (DU) – deren gehärtete Sprengköpfe mit riesiger Durchschlagkraft aus Abfallprodukten der Atomindustrie gefertigt werden – zum Einsatz –, und fünf Jahre danach entwickelte sich im ganzen Süden des Irak eine wahre Plage von Krebserkrankungen. Anfängliche Begutachtungen des US-­Militärs warnten vor schwerwiegenden Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit, wenn solche Waffen gegen gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt würden. Aber die US-Administration und die britische Regierung scheuten später keine Mühe, diese Behauptungen herunterzuspielen. Aber die Krebs­erkrankungen breiteten sich weiter aus, während gleichzeitig Berichte eintrafen, dass Zivilisten in Bosnien – wo von Nato-Flugzeugen ebenfalls DU eingesetzt worden war – an neuen Krebsformen litten. DU-Geschosse wurden auch im Zuge der anglo-amerikanischen Invasion im Irak von 2003 eingesetzt, aber es ist zu früh, irgendwelche Auswirkungen auf die Gesundheit aufzulisten. «Wenn ein Urangeschoss ein hartes Ziel trifft, sind die Partikel der Explosion in der Umgebung sehr langlebig», sagte Dr. Busby gestern. «Sie verteilen sich über grosse Distanzen. Sie können von den Lungen eingeatmet werden. Das Militär scheint wirklich zu glauben, dass dieses Zeug nicht so gefährlich sei, wie es tatsächlich ist.» Doch warum sollte Israel solche Waffen einsetzen, wenn seine Ziele – im Fall von Khiam zum Beispiel – nur zwei Meilen von Israels Grenzen entfernt sind? Der Staub, der durch die Entzündung von DU-Munition entsteht, kann über internationale Grenzen verweht werden, genauso wie das Chlorgas, das bei Angriffen während des Ersten Weltkriegs von beiden Seiten zum Einsatz gebracht wurde, oft zu den Tätern zurückgeweht wurde. Chris Bellamy, der Professor für Militärwissenschaften und Militärdoktrin an der Cranfield University, der den Busby-Bericht nachgeprüft hat, sagte: «Im schlechtesten Fall handelt es sich um eine Art experimenteller Waffe mit einer angereicherten Urankomponente, deren Verwendungszweck wir bisher nicht kennen. Im besten Fall – wenn man das so sagen kann – zeugt es von einer erstaunlichen Leichtfertigkeit gegenüber dem Einsatz von atomaren Abfallprodukten.» Die Bodenprobe aus Khiam – Ort eines berüchtigten Foltergefängnisses während Israels Besetzung des südlichen Libanon zwischen 1978 und 2000 und ein Frontstützpunkt der Hizbollah im jüngsten Krieg – war ein Stück durch eine Explosion zusammengepresste rote Erde; das Isotopenverhältnis betrug 108, was auf das Vorhandensein von angereichertem Uran schliessen lässt. «Die Auswirkungen auf die Gesundheit der lokalen Zivilbevölkerungen, die sich aus dem Einsatz grosser bunkerbrechender Uranbomben und den grossen Mengen lungengängiger Uranoxidpartikel in der Atmosphäre ergeben, sind wahrscheinlich bedeutend», sagt der Busby-Bericht. «[…] wir empfehlen eine Untersuchung des Gebietes nach weiteren Spuren dieser Waffen im Hinblick auf Aufräumarbeiten.» Der Krieg in Libanon in diesem Sommer begann, nachdem Hizbollah-Guerillas die libanesische Grenze nach Israel überschritten, zwei israelische Soldaten gefangennahmen und drei weitere töteten, was Israel den Anlass zur Auslösung eines massiven Bombardements der Dörfer, Städte, Brücken und der zivilen Infrastruktur Libanons gab. Menschenrechtsgruppen erklärten, dass Israel mit dem Angriff gegen Zivilisten Kriegsverbrechen begangen hat, dass die Hizbollah aber auch solcher Verbrechen schuldig sei, weil sie Raketen nach Israel feuerte, die mit Kugellagern gefüllt waren, was ihre Raketen in primitive, nur einmalige Streubomben verwandelt habe. Viele Libanesen sind schon lange zum Schluss gekommen, dass der jüngste ­Libanon-Krieg ein Waffentestgelände für die Amerikaner und die Iraner war, die Israel beziehungsweise die Hizbollah mit Munition versorgen. So wie Israel bei seinen Angriffen bisher nicht erwiesene US-Raketen einsetzte, so konnten die Iraner probeweise eine Rakete abfeuern, die eine Korvette [kleines Kriegsschiff] vor der libanesischen Küste traf, vier israelische Matrosen tötete und das Schiff beinahe versenkte, nachdem es an Bord während 15 Stunden brannte. Was die Waffenhersteller aus den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen über den möglichen Einsatz von Uranwaffen in Südlibanon machen, ist noch nicht bekannt. Genauso wenig kennen wir deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. • Quelle : The Independent vom 28. Oktober 2006 (Übersetzung Zeit-Fragen) Lesen Sie weitere interessante Artikel auf unserer News-Seite