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"Rettet unser Land"

Tausende Israelis fordern Abzug aus besetzten Gebieten Palästinas und Rücktritt Scharons.

Von Rüdiger Göbel

Tausende Israelis sind am Wochenende in Tel Aviv auf die Straße gegangen und haben gegen die Politik der Regierung Ariel Scharon protestiert. Unter dem Motto "Rettet unser Land" forderten die Demonstranten den sofortigen Abzug der israelischen Besatzungstruppen aus den palästinensischen Gebieten sowie ein Ende der Ermordung palästinensischer Aktivisten. Organisiert wurde die staatstragende wie regierungskritische Aktion von der Friedensgruppe "Shalom Ahshav - Frieden jetzt". Politiker der oppositionellen Arbeitspartei und der linksliberalen Meretz sprachen zu der Menge. Der Generalsekretär der Arbeitspartei, Ofir Pines, forderte Premier Scharon gar zum Rücktritt auf. Die israelische Regierung startete derweil eine PR-Kampagne: Hollywood-Stars werden kostenlos nach Israel eingeladen, wo sie ihre Solidarität mit der Bevölkerung bekunden und deren Moral heben sollen.

Ungeachtet der drohenden Charme-Offensive aus Los Angeles zeigten sich die Organisatoren des Anti-Scharon-Protestes optimistisch. "Frieden jetzt" gab die Zahl der Teilnehmer mit über 10000 an. Es sei seit Monaten die erste Demonstration dieser Größe gewesen. Das ist lange nicht so viel wie bei früheren Friedensprotesten des bürgerlichen Lagers, doch immerhin ein Anfang. Die Demonstration am späten Samstag abend sei der Auftakt einer "Straßenkampagne", die in den kommenden Monaten intensiviert werde, erklärte "Frieden jetzt"-Sprecher Yariv Oppenheimer. Man wolle dafür werben, daß es im "besten Interesse Israels" sei, endlich Frieden zu schließen und die jahrzehntelange Besetzung der Westbank und des Gazastreifens zu beenden, aus der die gegenwärtige palästinensische Intifada resultiere.

Der Protest startete symbolträchtig auf dem Rabin-Platz im Zentrum von Tel Aviv - am 4. November 1995 war dort der damalige israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin von einem israelischen Extremisten wegen seiner Friedensbemühungen ermordet worden - und endete vor dem Verteidigungsministerium. Ausnahmslos alle Sprecher riefen zum Armeerückzug aus den besetzten Gebieten auf und forderten den Abbau der illegalen jüdischen Siedlungen in Westjordanland und Gazastreifen. Verurteilt wurden darüber hinaus die anhaltenden Liquidierungen palästinensischer Aktivisten sowie die daraus resultierenden antiisraelischen Anschläge palästinensischer Selbstmordattentäter. Für die Demonstranten war klar: Israel ist verantwortlich für die Gewalteskalation im Nahen Osten; wer Israel retten will, müsse Scharon stoppen.

Zu den prominenten Rednern gehörten neben dem Generalsekretär der Arbeitspartei unter anderem der Meretz-Abgeordnete Avshalom Vilan und die frühere Knesset-Angehörige Yael Dayan. Die Politikerin der Arbeitspartei verwies auf die enormen Kosten der Siedlungen. Die Scharon-Regierung pumpe Unsummen in diese Projekte, während andere Israelis Hunger leiden müßten. Unerwähnt blieb allerdings, daß es gerade die vormalige Arbeitspartei-Regierung unter Ehud Barak war, die ungeachtet der Friedensvereinbarungen den illegalen Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten forciert hatte.

Die israelische Regierung machte am Wochenende indes deutlich, daß sie auf eine Eskalation der Gewalt abzielt und an der geplanten Deportation oder Liquidierung des palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat festhält. Regierungsvertreter wiesen eine Resolution der UN-Vollversammlung zum Schutz Arafats als "irrelevant" zurück. Der Beschluß sei eine Legitimation für "bekannte Terroristen", hieß es in Tel Aviv. Arafat-Berater Nabil Abu-Rudeinah nannte die Resolution dagegen einen "Schlag ins Gesicht Israels" und einen klaren Aufruf zur Unterstützung des palästinensischen Präsidenten und des palästinensischen Volkes.

Die UN-Vollversammlung hatte am Freitag abend die von Israel beschlossene Ausweisung Arafats verurteilt. 133 Länder unterstützten die Resolution, darunter auch Deutschland sowie alle anderen EU-Staaten. Neben den USA hatte Israel bei der Abstimmung in der UNO nur die Marshallinseln und Mikronesien auf seiner Seite. In der vergangenen Woche hatten die USA mit ihrem Veto eine entsprechende Entschließung im UN-Sicherheitsrat verhindert. In der alle 191 UN-Mitgliedstaaten umfassenden Vollversammlung ist kein Veto möglich. Allerdings haben ihre Beschlüsse im Gegensatz zu denen des Sicherheitsrates auch keine völkerrechtlich bindende Wirkung.

Weitaus wichtiger für die israelische Regierung war deshalb das Ergebnis der 47. Generalkonferenz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Auf Antrag der Arabischen Liga sollen die Atommacht Israel in das Kontrollregime der IAEA eingebunden und der Nahe Osten in eine atomwaffenfreie Zone verwandelt werden. Im Gegensatz zu Iran und Nordkorea gab es auf der fünftägigen Konferenz, die am Freitag abend zu Ende ging, diesbezüglich allerdings keine förmliche Entschließung. Israel, das einzige Land im Nahen Osten mit nuklearen militärischen Kapazitäten, hat weder den Atomwaffensperrvertrag noch entsprechende Zusatzprotokolle unterzeichnet. Israelische Diplomaten begrüßten im Vorfeld der IAEA-Konferenz Gespräche über eine atomwaffenfreie Zone - in Lateinamerika.

Quelle: http://www.jungewelt.de, 22.9. 2003