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Soldaten haben Angst, nachts nach draußen zu gehen

Impressionen aus dem ‚befriedeten' Irak - und wie dieses Land von den amerikanischen Befreiern wirtschaftlich ‚ausgewaidet' wird.

von Robert Fisk Ich war Freitagabend unterwegs in die schiitisch-muslimische Iraker- Stadt Nasiriyah, als plötzlich 3 amerikanische Soldaten vor unser Auto sprangen. "Auto anhalten! Auto anhalten!" schrie einer u. fuchtelte mit seiner Pistole vor der Windschutzscheibe herum. Ich schrie den Fahrer an, sofort anzuhalten. Der Fahrer sah nicht, wie sie auf die Straße kamen - ich auch nicht. Von hinten tauchten jetzt noch zwei Soldaten auf - mit auf das Fahrzeug zielenden Gewehren. Ich zeigte unsere Ausweise. Der Offizier, mit einem dieser Camouflage-Schlapphüte, war höflich aber kurzangebunden. "Sie hätten unseren Checkpoint eigentlich sehen müssen", schnarrte er, dann: "Schönen Aufenthalt in Nasiriyah. Aber gehen Sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht nach draußen. Es ist nicht sicher". Ich glaube, was er meinte, war, wenn es draußen dunkel ist, ist es nicht sicher für amerikanische Soldaten. Stunden später ging ich tatsächlich auf die Straßen Nasiriyahs. Ich besorgte mir einen Chicken Burger. Die Irakis, die mich in einem heruntergekommenen Café bedienten, hätten nicht freundlicher sein können. Wie üblich entschuldigte man sich für die dreckigen Tische u. den Mangel an Servietten, und dann war da noch das übliche schmutzige Viereck an der Wand, wo wohl bis vor zwei Monaten das Portrait Saddam Husseins gehangen hat. Was hier los ist? Die "Befreier" betreten bereits den Dschungel der Besatzung, während unsere Herren und Meister in London u. Washington noch immer von Sieg und Mut tönen. Ich zitiere Tony Blair, der an jenem Tag 60 Meilen südlich in Basra zu britischen Truppen sprach: Sie (die Soldaten) "fahren fort zu versuchen, etwas aus diesem Land zu machen, das Sie befreit haben". Einige Stunden zuvor hatte mich in Nasiriyah ein Milizionär Ahmed Chalabis angeschrien, die Amerikaner würden die Menschen "demütigen". So hätten sie "einen Mann dazu gezwungen, vor seinen Freunden auf allen Vieren zu kriechen, nur weil die ihren Befehlen nicht gehorcht haben". Wenn das so weiterginge, würde es zur Revolte kommen, so seine Warnung. Ich kann nicht entscheiden, ob die Geschichte wahr ist oder falsch, und ich gebe zu, jeder Schiit, den ich in Nasiriyah getroffen habe, sprach mit Wärme von den britischen Soldaten weiter im Süden. Aber fest steht, schon jetzt ist etwas furchtbar schiefgelaufen. Selbst der Wächter des örtlichen Museum, den ich zuvor im Auto mitgenommen hatte, sagte, der einzige Kriegsgrund sei das Öl. "Hundert Tage Saddam waren besser als ein Tag Amerikaner", brüllt er mich an. Ich bin nicht seiner Meinung. Schließlich haben die Amerikaner seine Schiiten-Brüder nicht zu zehntausenden abgeschlachtet, so wie Saddam vor 12 Jahren. Aber hier ist offensichtlich schon eine neue "Wahrheit" am entstehen. Washington kann eigentlich nur hoffen, dass das Beinhaus mit Leichen, das gerade weiter nördlich aus der Wüste gegraben wird, einen posthumen neuen Grund für den Konflikt liefert. "Jetzt kann man endlich die Wahrheit aussprechen...". Wir kannten die Wahrheit schon längst - seit damals, als George Bush senior dieselben armen Menschen dazu aufrief, gegen Saddam zu kämpfen und sie dann einfach ihren Schlächtern überließ. "Saddam war eine Schande für den Irak", sagt mir ein Mann, als wir neben 400 Schädeln und Knochen in einer Schulhalle bei Hillah stehen. "Aber sterben lassen haben die hier die Amerikaner". Die Realität sieht so aus: Die Lügen, die uns in den Irak-Krieg verwickelt haben, entfernen sich mehr u. mehr von jenen Männern, die die amerikanischen u. britischen Armeen nach Mesopotamien geschickt haben. Mr. Blair tauchte diese Woche in Basra auf - mit seiner leicht churchill-haften Rhetorik ("Tapferkeit"), seinem Gerede von "Blutvergießen und den realen Verlusten" und einer Trauerrede vonwegen britische Soldaten, die "nie mehr heimkehren werden". Wer hat denn diese Briten zum Sterben in den Irak geschickt? Und wenn sie 'reale Verluste' sind, wo sind dann bitte die realen Massenvernichtungswaffen - die für Blair noch so real waren, als er in Kriegsstimmung war, aber jetzt, da der Krieg kaum vorbei ist, schon so unreal? Mr. Blair meint, wir werden sie schon noch finden, nur Geduld. Donald Rumsfeld, der amerikanische Verteidigungsminister, hingegen erklärt uns, die Waffen hätten womöglich zum Zeitpunkt des Kriegs gar nicht existiert. Die innenpolitischen Nachwehen in London u. Washington diesbezüglich halten an. Viel gefährlicher jedoch die Reaktion im Irak selbst. Das frische Graffiti an einer Wand des Bagdader Slums 'Sadr City' (vormals 'Saddam City') erzählt seine eigene Geschichte: "Bedroht die Amerikaner mit Selbstmordattentaten", steht da lakonisch. Ich habe es am Mittwoch gesehen. Nicht schwer zu erkennen, wie hier die Wut wächst. So ist die Straße von Nasiriyah nach Bagdad nachts nicht mehr sicher. Räuber treiben auf den Schnellstraßen ihr Unwesen, streifen durch die Straßen Bagdads. Mir fällt dabei eine seltsame Symmetrie auf: Unter den verhassten Taliban konnte man Tag und Nacht durch Afghanistan fahren. Jetzt kannst du dich bei Dunkelheit dort nicht mehr bewegen - du wirst bestohlen, vergewaltigt, ermordet. Unter dem verhassten Saddam genau das Gleiche: Unter ihm konnte man in weiten Teilen des Irak gefahrlos herumfahren, Tag und Nacht. Das ist nun vorbei. "Befreiung" made in USA ist zum Synonym für Anarchie geworden. Dann ist da noch dieses Confetti aus Tageszeitungen, das täglich auf Bagdads Bürgersteigen ausliegt. Die Zeitungen teilen ihren Lesern mit, wieviel die USA durch ihre Geschäfte am Krieg verdienen. Die irakischen Flughäfen werden versteigert, die Hafenmeisterei des Ports von Umm Kasar hat sich ein US-Unternehmen für $8,4 Millionen geschnappt. Ein Lobbyist dieses Unternehmens war ganz zufällig George Bushs stellvertretender Assistent, als Bush noch Gouverneur von Texas war. Auch Halliburton, zufällig die alte Firma von Vize-Präsident Dick Cheney, hat umfangreiche Verträge (Löschen irakischer Ölquellen, Errichtung von US-Basen in Kuwait, Transport britischer Panzer) abgeschlossen. Und die Verträge über den Wiederaufbau des Irak wird höchstwahrscheinlich der Gigant Bechtel absahnen. Dessen senior Vize-Präsident ist niemand anderes als der pensionierte General Jack Sheehan, der auch in Bushs 'Verteidigungspolitischem Beirat' sitzt. Die Firma Bechtel ist übrigens jene Firma, die - wie die UN-Abrüstungsaktion im Vorkriegs-Irak ergab (was Washington sofort zensierte) -, Saddam früher mal geholfen hat, eine Anlage zur Äthylen-Herstellung zu bauen; Äthylen braucht man zur Senfgasproduktion. Im Bechtel-Vorstand sitzt zudem der frühere US-Außenminister George Schultz, der - wieder so ein Zufall - dem Beratergremium des 'Committe for the Liberation of Irak' (Komitee zur Befreiung des Irak) vorsitzt, und dieses Komitee unterhält natürlich enge Kontakte ins Weißen Haus. Der Wiederaufbau Iraks kostet vermutlich $100 Milliarden. Diese Kosten - und jetzt kommt das Allerfeinste - werden die Iraker selbst bezahlen müssen, aus ihren künftigen Öleinnahmen, was wiederum den US-Ölgesellschaften zugutekommt. Den Irakern ist das alles bewusst. Was werden diese Leute wohl denken, wenn sie, so wie ich jetzt, an einer der großen Schnellstraßen südlich, westlich von Bagdad stehen und die langen Militärkonvois der Amerikaner vorbeiziehen sehen? Denken sie vielleicht an Tom Friedmans jüngsten Essay in der 'New York Times', in dem dieser Kolumnist schreibt (nachdem er die Armut im Irak Saddam zugeschoben hat, ohne die von den USA gestützten 13-jährigen UN-Sanktionen auch nur mit einem Wort zu erwähnen): "Das Beste An Dieser Armut: die Iraker sind so erschöpft, dass die große Mehrzahl zweifellos bereit ist, den Amerikanern die Chance zu geben, diesen Ort zu einem besseren Ort zu machen". Solche Kommentare - "Expertenkommentare" - der US-Ostküsten-Intelligenzija jagen mir Angst ein. Denn wenn ich mir Amerikas beängstigende Kontrolle über diesen Teil der Welt ansehe sowie seine massive Feuerkraft, seine Basen u. Truppen überall in Europa, auf dem Balkan, in der Türkei, in Jordanien, Kuwait, im Irak, in Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan, Bahrain, Doha, Oman, Jemen und Israel, dann denke ich, es geht gar nicht nur ums Öl sondern eben auch um globale Macht - und wir sprechen hier von einer Nation, die tatsächlich Massenvernichtungswaffen besitzt. Kein Wunder hat mich dieser Soldat gewarnt, nachts nicht nach draußen zu gehen. Er hat recht. Es ist hier nicht mehr sicher. Und es wird noch viel, viel schlimmer. Quelle: The Independent / ZNet 31.05.2003 Übersetzt von: Andrea Noll