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UN-Mitarbeiter in Palästina getötet!

Interview mit dem angeschossenen Caoimhe Butterfly.

"Heute morgen erklärte die Israelische Besatzungsarmee im Zuge ihres Wiedereinmarschs ins Flüchtlingslager Dschenin den Unterbereich des Lagers zur 'Militärischen Sperrzone'. Die Zone setzte man mittels zwölf Panzern, zehn Jeeps, und mindestens zwei Apache-Kampfhubschraubern durch. Ich versuchte gerade, zwischen die wehrlosen Kinder und die Panzer zu kommen, als mich der Anruf einer Freundin erreichte. Ich solle doch bitte helfen, ihre kranke Tochter zu evakuieren. Die Armee lasse keine Ambulanzen durch. Also machte ich mich zusammen mit einem Freund, einem palästinensischen Journalisten, auf den Weg. Wir wurden sofort verhaftet - ebenso ein weiterer "internationaler Freiwilliger". Man brachte uns irgendwo hin, wo bereits etwa 20 männliche Palästinenser gefangengehalten wurden. Man hatte ihnen Handfesseln angelegt, die Augen verbunden und sie bis auf Hose bzw. Unterwäsche ausgezogen; zudem hatte man sie übel verprügelt. Ich wurde zwei Stunden festgehalten und kurz verhört, dann sagten mir die israelischen Soldaten, ich sei frei und könne gehen. Ich bat darum, bei den Männern zu bleiben - in der Hoffnung, dann würde man die Gefangenen weniger misshandeln -, aber es wurde mir verweigert. Die Soldaten sagten, das wäre nicht erlaubt. Ich weigerte mich zu gehen. Also schleppte man mich gewaltsam hinaus, man zerrte mich die Straße entlang, sagte, wenn ich zurückkehren würde, würde man mich einfach erschießen. Ich ging den Weg zurück, den ich gekommen war und kam am Gebäude der UN vorbei. Dort führte ich ein kurzes Gespräch mit Ian Hook, Projektleiter der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen) in Dschenin. Er sagte, er würde mit den israelischen Soldaten verhandeln, damit sie wenigstens die Frauen und Kinder nach Hause ließen. Er verließ das UN-Gebäude, mit einer blauen UN-Fahne in der Hand, die er schwenkte. Die Soldaten antworteten via Megaphon auf Englisch: "Interessiert uns nicht, ob du die Vereinten Nationen bist oder sonstwer. F*** off, geh heim!". Ian sagte, die Sache laufe schief. Aber er bestand weiter darauf, eine "sichere Passage" für seine 40 palästinensischen Mitarbeiter und sich auszuhandeln. Inzwischen hatten einige besorgte Eltern schon damit begonnen, ein Loch in die Rückwand des UN-Gebäudes zu schlagen, um ihre Kinder rauszuschaffen. Die Kinder waren nur zur Schutzimpfung dort gewesen. Wir begleiteten einige der Kinder heim. Danach rannte ich wieder zum Haus des kranken Mädchens. Aber unterwegs traf ich eine Gruppe Kinder. Sie teilten mir mit, ein Freund von mir, der 10jährige Muhammad Bilalo, sei durch Panzerbeschuss getötet worden, drei weitere Kinder verletzt, eines davon habe eine schwere Kopfwunde. Also ging ich dahin, wo die Kinder standen. Die Panzer schossen noch immer wahllos auf sie. Ich lief die Straße hinunter - mich immer zwischen den Kindern und den Panzern haltend -, bis ich nur noch etwa 50 Meter von einem Panzer entfernt war. Ich versuchte in einen Dialog mit den Soldaten zu treten und beschwor sie, keine scharfe Munition auf wehrlose Kinder abzuschießen. Sie hörten tatsächlich auf. Aber ein paar Minuten später kam ein APC (bewaffneter Mannschaftswagen - fast wie ein Panzer, nur ohne Kanonenrohr). Ich konnte die Gesichter darin genau erkennen, also gehe ich davon aus, sie konnten mein Gesicht auch erkennen. Ich hatte beide Panzerfahrzeuge heute schon gesehen. Ein Soldat öffnete die Luke des zweiten Fahrzeugs, hängte sich mit dem Oberkörper raus und feuerte mit seinem Gewehr drauflos. Zuerst feuerte er nur in die Luft, und die meisten Kinder verschwanden in einer Gasse auf der linken Straßenseite. Aber drei ganz kleine Kinder blieben zurück. Ich versuchte sie gleichfalls in die Seitenstraße zu zerren, ich schleppte und schob die Kleinen. Als ich über meine Schulter sah, bemerkte ich plötzlich, wie der Soldat aus dem APC die Waffe auf mich richtete. Er war ungefähr 100 Meter entfernt. Kurz bevor ich die Seitenstraße erreichte, traf mich die Kugel in den Oberschenkel. Ich fiel, aber sie schossen weiter in meine Richtung. Ich konnte noch ein Stück Richtung Seitenstraße kriechen - das restliche Stück schleppten mich die Kinder hoch. Keine Ambulanz kam ins Camp, also schleppte man mich auf einer provisorischen Trage bis nahe zum Camp-Eingang, von wo aus mich eine Rot-Kreuz-Ambulanz abholen konnte. Während ich im Notfallraum des Krankenhauses behandelt wurde, brachten sie Ian Hook herein. Ein paar Minuten später war er tot. Wir haben Folgendes erfahren: Nachdem Hook verwundet worden war, weigerte sich die Israelische Armee fast eine Stunde, eine klar markierte UN-Ambulanz durchzulassen, so dass er nicht evakuiert, nicht abtransportiert werden konnte. Während dieser langen Zeit kam es zu hohem Blutverlust bei dem Verletzten. Ich war den ganzen Morgen im Flüchtlingslager. Ich kann bezeugen, dass die palästinensischen Kämpfer schon gut zwei Stunden bevor Ian Hook bzw. ich angeschossen wurden, das Feuer eingestellt hatten. Als ich morgens am Gebäude der UN vorbeikam, habe ich gesehen, dass Heckenschützen und Soldaten der Israelischen Armee das Gebäude umstellt hatten. Sie schossen wahllos in das Lager. Auf die Art wurden zwei Menschen getötet, sechs weitere verletzt. Außer einer Person wurden alle Opfer außerhalb der von der Armee erklärten "militärischen Sperrzone" angeschossen - durch Panzerfeuer. Ich bin keineswegs in ein "Feuergefecht" geraten, wie das die Israelischen Besatzungstruppen fälschlicherweise behaupten, ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Ians Fall so war. Die Massaker hören nicht auf. Was die Welt im April so unverhüllt mitansah - die Menschenrechtsverletzungen, die Kriegsverbrechen in Dschenin - sie passieren immer noch, tagtäglich. So gesehen war der gestrige Tag, mit seinen ganz beiläufigen Tötungen, auch eigentlich kein ungewöhnlicher Tag in Dschenin. Die Israelische Besatzungsarmee - ständig verfolgt sie diese Totschlags-Strategie. Es interessiert sie nicht, ob ihre Ziele Zivilisten sind oder bewaffnete Kämpfer. Warum auch? Im April dieses Jahres hat man den Israelis ja deutlich signalisiert, sie können sich Massaker leisten. Die Israelis zeigen immer weniger Skrupel. Die gestrigen Ereignisse sind fast schon Standard. Von wegen Militäraktionen. Das sind ganz einfach Akte des Terrors. Um die Palästinenser zu demütigen, zu drangsalieren, um sie zu quälen, damit sie sich unterwerfen. Was man den Palästinensern verweigert, ist nicht das Recht auf Widerstand, es ist das Recht auf Leben." Quelle bzw. Originalartikel: "UN Worker Killed in Palestine" (www.zmag.de)