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Verfassungswidriger Eingriff in den Datenschutz?

Von Mag. Martin Müller

Am Freitag, den 2. Dezember 2005, haben sich die Justizminister und -ministerinnen der Europäischen Union (EU) auf einen „Kompromissvorschlag“ bei der Speicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten geeinigt: In allen EU-Staaten müssten danach bei sämtlichen Formen der Telekommunikation – vom Telefonieren über die Handy-Nutzung bis zum Emailen und Internet-Surfen – die so genannten „Verkehrsdaten“ mindestens sechs Monate lang gespeichert werden. Den nationalen Parlamenten soll bei ihrer gesetzlichen Regelung kein Spielraum eingeräumt werden. Diese Initiative wird von der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, deren Vorsitz derzeit beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) liegt, als unverhältnismäßiger und damit verfassungswidriger Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis und in den Datenschutz abgelehnt.

Der Leiter des ULD, Dr. Thilo Weichert, kommentiert den Beschluss der Justizminister: „Es ist erschreckend, welche grundrechtliche Verrohung bei den europäischen Justizministern festzustellen ist: Es wird als Sieg der Bürgerrechte verkauft, dass bei der auf Vorrat vorgenommenen Telekommunikationsüberwachung keine Inhalte und keine Bewegungsprofile erstellt werden sollen. Unseren Verfassungsministern ist wohl nicht klar, dass unsere freiheitlichen Verfassungen verbieten, die Menschen anlasslos staatlich bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu überwachen und zu kontrollieren. Der Beschluss verstößt genau gegen dieses Verbot: Wenn über Monate hinweg minutiös nachvollzogen werden kann, wer wo im Internet gesurft hat, wer wann mit wem per Telefon, Handy oder Email kommuniziert hat, wer wann welche Online-Dienste in Anspruch genommen hat, dann wird die Schwelle von der freiheitlichen Informationsgesellschaft zum digitalen Überwachungsstaat überschritten. (...) Mit einem kurzfristigen Einfrieren von TK-Verbindungsdaten, einem „Quick freeze“, wäre eine gezielte Gewährleistung von Sicherheit in unseren Telekommunikationsnetzen möglich, ohne dass die gesamte Bevölkerung wie eine potenzielle Verbrecherbande behandelt wird. Die Justizminister sind dabei, die ,Büchse der Pandora’ zu öffnen. Diese würde die Menschen, die überwachungsfrei leben wollen, dazu zwingen Telefon und Internet nicht mehr zu nutzen. Wir erwarten, dass das Europaparlament, der Bundestag und die Verfassungsgerichte in Europa dafür sorgen, dass diese Büchse verschlossen bleibt.“

Am 14. Dezember hat das EU-Parlament nun mit Zwei-Drittel-Mehrheit die obligatorische Speicherung von Telekommunikations(TK)-Verkehrsdaten zwischen sechs und 24 Monaten auf Vorrat beschlossen. Nach Ansicht des Datenschutz-Experten Dr. Weichert hat das Parlament damit einen richtungsweisenden Beschluss gefällt, mit dem aus unserer freiheitlichen eine überwachte Informationsgesellschaft wird:
„Die neue europäische Überwachung zielt ausschließlich auf die Köpfe der Menschen: Jede und jeder soll und muss wissen, dass jeder Kontakt per Telefon, Fax, Mobilfunk, SMS oder Email, jede Nutzung des Internet langfristig gespeichert wird. Die Polizei wird hierauf Zugriff haben. Leugnen hilft nichts. Was als präventive Terrorismusbekämpfung beschlossen wurde, ist nichts anderes als die Bekämpfung der freien Kommunikation. (...) Ich befürchte, die Parlamentarier wussten nicht, was sie hier anrichten. Kurzsichtige Sachzwänge haben einen 'Kompromiss' zustande gebracht, der eine Kapitulation der Freiheitsrechte vor vermeintlichen Sicherheitsbelangen darstellt. In einem ersten Schritt muss geprüft werden, welche Spielräume noch den nationalen Parlamenten und Verfassungsgerichten bleiben. Gehofft werden muss, dass der Europäische Gerichtshof - wie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht (z. B. bei seinem Entscheid gegen den EU-Haftbefehl, Anm. d. Red.)- seine Funktion als Wahrer der Freiheitsrechte erkennt. Die einzige demokratische Lösung der aktuell ausweglos erscheinenden Situation ist eine öffentliche Debatte, die dem EU-Parlament die Tragweite seiner Entscheidung klar macht und dieses dazu bringt, seine Entscheidung rückgängig zu machen.“

Quelle: Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
www.datenschutzzentrum.de

Um nun diese öffentliche Debatte ins Rollen zu bringen kann man sich unter https://www.datenschutzzentrum.de/rotekarte/ der Kampagne gegen Vorratsdatenspeicherung im Internet anschließen! Dem Anlass entsprechend hier noch einmal der Hinweis auf das Programm „JAP“ (vgl. Dep. Nr. 31/2005), das anonymes Surfen im Internet ermöglichen soll: http://anon.inf.tu-dresden.de/.